# taz.de -- Im Norden Tansanias: Die Leidenschaft des Jagens | |
> Eine Reminiszenz an die Ethnopsychoanalyse der fünfziger Jahre und eine | |
> Reise zu den Hadzabe in Tansania. | |
Bild: Die Hazdabe in Tansania sind eine der letzten Sammler- und Jägergesellsc… | |
Der Mond ist eine nach oben hin offene Sichel. Die Sterne sind hell wie | |
eine Lichterkette. Die Nacht verschluckt die Menschen, die früh aus dem | |
Busch auftauchen, eh man ihr Gesicht erkennen kann. Kinder eilen in ihren | |
Schuluniformen über die Brücken hinweg. Sie laufen bis zu zehn Kilometer | |
weit, hoffen, dass Schule und Ausbildung ihnen helfen kann wegzukommen. | |
Aber der See ist ausgetrocknet wie die Wüste und das Leben ist hart und | |
trist. | |
Die meisten Touristen fahren an der Stadt Karatu im Norden Tansanias | |
vorbei, sie nehmen den Lake Eyasi nicht einmal wahr, vor ihnen liegt der | |
berühmte Ngorongoro-Krater und danach kommt schon gleich die Serengeti. Die | |
Europäer haben es eilig, sie wollen die Löwen sehen, die Nashörner erahnen, | |
sie wollen die Angst spüren und den Ort erkunden, den der deutsche Zoologe | |
Bernhard Grzimek berühmt gemacht hat: Serengeti darf nicht sterben. | |
Unser Weg führt uns über die Salzkrusten hinweg, jetzt wird die Sonne | |
aufgehen und an einem Steinhügel halten wir an. Unser Führer ist 24 Jahre | |
alt, er beherrscht die Sprache der Hadzabe, ihre Laute werden geschnalzt | |
und gepfiffen und dazwischen gibt es Konsonanten. Die Hadzabe sind eines | |
der letzten Völker, die noch frei leben, deren Ernährung auf der tägliche | |
Jagd beruht und die keinerlei Vorratshaltung betreiben, weil ihre Götter | |
für sie Sorge tragen. | |
Der kleine Jeep ist deplatziert, seine Kraft reicht kaum aus, dennoch hat | |
Johannes, mein Sohn uns bis hierher gebracht. Cyprian, der Guide, eilt den | |
Hügel aus Fels und Stein hinauf. Als er wiederkommt, ruft er: „Sie | |
empfangen euch.“ Und so finden wir fünf Männer an einer Feuerstelle und | |
einen kleinen Jungen. Sie haben einen Affen mit Pfeil und Bogen erlegt und | |
zum Frühstück werfen sie ihn mit Haut und Haaren in das Feuer. | |
Es riecht nach verbranntem Fell, in meiner Verlegenheit will ich mich | |
nützlich machen und sammle kleine Holzstöcke auf. Die Männer lachen über | |
mich und mit einem Knall platzt der Körper des Affen auf und Gedärm wird | |
sichtbar. Die Männer reißen die Eingeweide heraus und schauen uns | |
freundlich an. | |
Sie essen das Fleisch und ein Stück vom Herzen bekommt das Kind. Ihr | |
Medizinmann ist unterwegs im Busch, eine Frau sei krank und er suche nach | |
Kräutern, um sie zu heilen. Der Mann ist die wandelnde Bibliothek dieses | |
Clans, er hat alles Wissen gesammelt, die Geheimnisse des Jagens und | |
Heilens sortiert. Wenn er zurückkommt, findet ein Meeting statt, bei dem | |
alle gleichrangig sind, auch die Frauen. | |
Zwei der Männer tragen auf dem Kopf ein Stück Affenfell, das ist das | |
Zeichen dafür, dass sie gerade geheiratet haben. Auf ihrer Haut tragen sie | |
Häute von Tieren, aber zwei haben eine Stoffhose an. Die haben Touristen | |
ihnen geschenkt, sagt unser junger Führer. Später gehen die Männer mit dem | |
Affenfell auf die Jagd. „Kommt mit“, sagen sie. Wir eilen mit ihnen durch | |
den Busch, wir sind zu Jägern geworden. | |
Die Züricher Psychoanalytikerin Goldy Parin sagte kurz vor ihrem Tode zu | |
ihrem Mann: „Du solltest einmal ein Buch über die Jagd schreiben, du bist | |
der einzige Psychoanalytiker, der das kann.“ Paul Parin gehorchte und | |
formulierte; wenn man über Jagd schreibt, muss man über geschlechtliche | |
Lust schreiben und über Grausamkeit und Verbrechen. Als ich ihn in Zürich | |
das letzte Mal besuchte (2008), war er der Überzeugung, eine Grausamkeit | |
des Kapitalismus in der Schweiz bestünde darin, das Jagen in den Bergen | |
nach lebendem Getier verbannt zu haben und anstelle dessen die Jagd auf das | |
Geld zu intensivieren. Das aber könne nur billiger Ersatz sein für das | |
Fieber, das Jäger ergreift und dem nur eine Waffe bedrohlich werden könne: | |
die Vernunft. | |
## Der Psychoanlytiker Paul Parin unterwegs | |
Die Hadzabe haben bei allem Eifer ein vernünftiges Verhältnis zur Jagd. Sie | |
formulieren es so: „Wir machen uns keinen Stress darüber, was wir morgen | |
essen. Die Jagd ernährt uns. Wir denken nicht viel darüber nach. Wir fühlen | |
uns großartig und wohl.“ Dieses Gottvertrauen, dass der Calvinismus oder | |
der Protestantismus uns ausgetrieben hat, findet seine Entsprechung im | |
Horten und Akkumulieren von Waren, eine Vorsorge, die wiederum im kälteren | |
Teil der Welt, die Voraussetzung dafür war, dass wir ohne die alltägliche | |
Jagd überleben konnten. | |
Die Hadzabe sind dabei auszusterben. Ihr Lebensraum verengt sich, die | |
Massai mit ihren großen Rinderherden nehmen ihnen die Möglichkeit der Jagd. | |
Es gibt noch knapp 45 Clans und insgesamt 700 alte und junge Menschen. Sie | |
bräuchten im Lärmen der Zeit eine Stimme, die gegenüber der tansanischen | |
Regierung ins Gewicht fällt. Doch, wer könnte das sein? | |
Als in den 50er Jahren die Schweiz begann, eine neue ökonomische Identität | |
zu entwickeln, die Waschmaschine in die Arbeiterhaushalte einzog, „Schöner | |
leben – mehr haben“ zum Slogan der Alltagskultur wurde, brachen die | |
Schweizer Psychoanalytiker Goldy und Paul Parin, Ruth und Fritz | |
Morgenthaler auf, um im entfernten Mali die Eigenheiten des Volkes der | |
Dogon zu erkunden. | |
Sicherlich spielte bei ihnen das Motiv eine Rolle, zumindest temporär dem | |
Mief der 50er entfliehen zu können, aber eine dogmatische Abkehr von den | |
Westgesellschaften sollte es nicht sein. Die vier Pioniere hatten in Europa | |
schon zu viel erlebt, um Ade zu sagen, aber die Lust am anderen, die | |
Erkundung des Fremden trieb sie auf den schwarzen Kontinent. | |
Das Glück der Dogon bestand darin, sich nicht mit materiellen Dingen zu | |
belasten. Die Behutsamkeit mit der die Züricher Stadtmenschen sich auf die | |
Dogon zu bewegten, traf auf die Empfindsamkeit von Menschen, die tagtäglich | |
der Härte der Natur ausgesetzt waren. Daraus ist 1963 ein Buch entstanden, | |
das den Titel trägt: „Die Weißen denken zu viel.“ | |
## Mut, Kraft und Ausdauer | |
Was uns in Europa aus dem Dunkel des Mittelalters befreite, die Vernunft, | |
war den Dogon von Anbeginn nicht recht geheuer. Ihre Welt war vielmehr | |
geprägt von Märchen und Mythen. Heute ist der Lebensraum der Dogon | |
geschrumpft, in das Reich ihrer Freiheit ist die Brutalität des Denkens | |
eingebrochen, nicht nur die Radikalisierung des Islam, auch die Kraft des | |
autoritären Staates, hat die Sanftheit ihrer Stammesstrukturen bedroht. | |
Dennoch hat die Nähe zum Fremden Wirkung erzielt. | |
Weniger ein Gefühl von Mitleid als der alte unstillbare Forschergeist der | |
Europäer haben dazu geführt, dass das Buch der Parins erheblich dazu | |
beigetragen hat, dass die Dogon überleben konnten. Die Hadzabe sind nicht | |
weniger interessant, wenn es um die alte Frage der Notwendigkeit von | |
Hierarchien geht. Sie haben bis heute keine. | |
Anführer oder Häuptlinge gibt es nicht. Reputation erreichen | |
Hadzabe-Männer, wenn sie sich durch Mut, Kraft und Ausdauer als tüchtige | |
Jäger hervortun. Die Jagd dient dem Gemeinwohl, dem Einzelnen bringt sie | |
keine materiellen Vorteile – wohl aber sexuellen Nutzen. Top-Jäger gelten | |
bei den Frauen als begehrenswerte Partner; sie zeugen mehr Kinder und ihr | |
Nachwuchs hat bessere Überlebenschancen. Das bedeutet: Auch in einer | |
egalitären Gesellschaft lohnen sich Anstrengung und Engagement, „Faulenzer“ | |
gibt es bei den Hadzabe nicht. | |
Alle Männer beteiligen sich an den oft gefährlichen Jagdzügen. Auf dem | |
Markt der Partnerwahl könnten sie, wie der renommierte Soziobiologe Eckart | |
Voland betont, sonst nicht bestehen. Die protestantische Ethik, der Fleiß | |
der Schweizer Eidgenossen und die Tüchtigkeit der Hadzabe sind durchaus | |
zueinanderzubringen, bedenkt man, dass die Bergvölker in der Mitte Europas | |
keineswegs dem Jagen abhold geworden sind. | |
## Jagd und Tierschutz | |
Der Präsident der JagdSchweiz, Hans-Peter Egli, hat ein | |
Meinungsforschungsinstitut beauftragt, dass zu folgendem Ergebnis kommt: | |
Mit steigender Tendenz kann festgestellt werden, dass 80 Prozent der | |
Befragten bestätigen, dass sich die Jäger für die Umwelt und die | |
Lebensräume von Tieren einsetzen. 76 Prozent der Bevölkerung ist überzeugt, | |
dass es eine Regulation der Wildtierbestände in unserer Kulturlandschaft | |
braucht. Weiter kann mit einer Zustimmungsrate von 80 Prozent festgestellt | |
werden, dass die Jagd in der Schweiz tierschutzgerecht stattfindet. | |
Oder wie Paul Parin formuliert: „In jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder | |
Kultur wird anders gejagt. Jagd ist ubiquitär, hat aber einen viel | |
geringeren Anteil am Schicksal der Menschen als der Krieg.“ | |
Als wir aus dem Busch herauskommen, treffen wir eine ältere Amerikanerin | |
mit ihrem Mann in Begleitung eines Massai. „Ich bin glücklich“, sagt sie. | |
„Es ist mein Kindertraum gewesen, nach Afrika zu kommen.“ Woher wir kämen, | |
will sie wissen. Ich antworte ihr ehrlich, und sie kommentiert unser | |
Deutschsein mit dem Satz: „Aber sie sind ja so freundlich.“ Wir haben | |
unbeabsichtigt zur Völkerverständigung beigetragen: „Nicht alle Deutsche | |
sind Faschisten.“ | |
Die Hadzabe spannen zum Abschied ihre Bögen und schießen zum Abschied auf | |
einen Baum. Das tut keinem weh, es ist so etwas wie Theater, sagt unser | |
Führer und alle sind sich einig, dass die Jagd der Hadzas das Fremde ins | |
uns berührt hat. | |
26 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Johannes Nix | |
Christoph Nix | |
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