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# taz.de -- Spielfilmporträt von US-Politiker: Sex? Ist ja wohl privat!
> Der Anti-Trump: Jason Reitman porträtiert im Spielfilm „Der
> Spitzenkandidat“ den gescheiterten demokratischen
> Präsidentschaftskandidaten Gary Hart.
Bild: Hugh Jackman als Gary Hart
Das Jahr 1987, Red Rocks Park bei Denver, Colorado: Vor der Kulisse der
roten Sandsteinfelsen erklärt der US-Senator Gary Hart seine Kandidatur für
die US-Präsidentschaftswahlen 1988. Nach der zweiten Amtszeit des
republikanischen Präsidenten Ronald Reagan machen die Umfragen den
Demokraten Hoffnung. Vier Jahre zuvor war Hart in den Vorwahlen der
demokratischen Partei unterlegen.
Hart steht für eine Erneuerung der Partei, für Themen, die seine
Mitbewerber in beiden Parteien nicht präsent haben: die Gefahr von
Terrorismus, die Notwendigkeit, in der US-Wirtschaft von schwerer Industrie
auf Dienstleistungen umzusteuern, Digitalisierung. Kurz vor Ende der
Vorwahlen gilt Hart als einer der Favoriten. Bis er über eine Affäre
stolpert.
Jason Reitman widmet sich in seinem neuesten Film „Der Spitzenkandidat“
einem Moment der Weichenstellung in der Art, wie Wahlkämpfe in den USA
geführt werden und wie über sie berichtet wird. Harts Kampagne endet
abrupt, als bekannt wird, dass er bei einer Party in Florida auf einem Boot
mit dem sprechenden Namen „Monkey Business“ eine Affäre mit einer jungen
Frau namens Donna Rice angefangen hat.
## Die lauernde Horde
Hart weigert sich, auf die Berichte über die Affäre einzugehen. Die Affäre
gehe nur ihn, die junge Frau und seine Familie etwas an, alle anderen
hätten mit seinen inhaltlichen Positionen vorliebzunehmen. Seine Ehefrau
und die gemeinsame Tochter werden im Haus der Familie in Colorado von
Journalisten belagert. Aus dem Fenster auf die lauernde Journalistenhorde
blickend, sinniert Harts Ehefrau, die Presse empöre sich an ihrer Stelle
über die Tat ihres Mannes, ohne ein Recht auf diese Empörung zu haben.
Unterdessen ringt ein junger afroamerikanischer Reporter der Washington
Post, der die Kampagne begleitet, mit sich und seinen Redakteuren, ob ein
solcher privater Fehltritt Nachrichtenwert hat. Die einzige Redakteurin der
Washington Post beharrt darauf, dass die Berichterstattung gerechtfertigt
sei, weil sie ein bezeichnendes Licht auf Harts Frauenbild werfe. Affären
und persönliche Fehltritte wurden Mitte der 1980er Jahre anders behandelt
als in den Jahrzehnten zuvor, unter anderem der allmähliche Einzug von
Frauen in Medien veränderte den Blick auf das Handeln von Figuren des
öffentlichen Lebens.
Die Welt von Harts Kampagne zeigt Reitman als eine Welt weißer Männer, in
der Frauen nur in Randrollen und Schwarze überhaupt nicht vorgesehen sind.
(Die Kampagne von Harts Mitbewerber als demokratischer
Präsidentschaftskandidat, Jesse Jackson, dürfte anders ausgesehen haben.)
Kein Zufall: Ende der 1980er Jahre griff die sogenannte Südstrategie
endgültig auf die Demokraten über.
Hart verzichtet zwar auf den Rassismus, der in dieser Strategie aufseiten
der Republikaner zentral war, inszeniert sich jedoch schon bei seiner
Kandidatur als weißer Mann aus dem mittleren Westen – von der Bergkulisse
bis hin zu seiner Teilnahme an einem Axtwurfwettbewerb. Irene Kelly, die
einzige Frau in Harts Kampagne, wird erst dann zentral, als es darum geht,
Donna Rice ruhig zu halten. Irene beruhigt Donna, betrinkt sich mit ihr an
der Hotelbar und kurz scheint so etwas wie Solidarität unter Frauen
aufzublitzen. Ein Moment, der nicht lange anhält.
Reitman beginnt seinen Film mit Harts Niederlage in den Vorwahlen der
Demokraten 1984, Harts erstem Versuch, Präsidentschaftskandidat zu werden,
und endet kurz nach Harts Rede im Saal eines Hotel in Denver, in der er das
Ende seiner Kampagne erklärt.
## Als es boulevardesk wurde
Geschickt arbeitet Reitman anhand des Endes einer Präsidentschaftskampagne
von vor über 30 Jahren Fragen rund um Politik, Medien und Ethik heraus,
zeichnet Umbrüche und Konstanten nach und beleuchtet die Fragen von
verschiedenen Seiten, ohne dass die Dialoge deshalb didaktisch geraten.
Gestützt hat er sich dabei auf das Buch des Kolumnisten Matt Bai „All the
Truth Is Out: The Week Politics Went Tabloid“.
„Der Spitzenkandidat“ ist ein nüchterner Film, der ganz auf die Stärke
seiner Erzählung setzt. Trotz Bais Buch als Grundlage hat Reitman
zahlreiche fiktive Charaktere eingeführt, um die verschiedenen Facetten der
Handlung zu verdichten. Geholfen hat dem Film dabei eine gute Besetzung:
Hugh Jackman überrascht positiv in der Darstellung von Gary Hart, die
zwischen Zurückgezogenheit und Alphamännchen schwankt. J. K. Simmons als
Harts Wahlkampfmanager und Molly Ephraim als Irene Kelly beeindrucken
ebenfalls.
Wenn es jenseits der gut herausgearbeiteten Fragestellungen von „Der
Spitzenkandidat“ eine Schwäche gibt, dann die, dass Reitman Hart letztlich
als Opfer einer skandalsüchtigen Presse zeigt. Trotz dieser Tendenz ist
„Der Spitzenkandidat“ insgesamt ein sehenswerter Film, weil Reitman der
Versuchung widersteht, die Dinge allzu sehr zu vereinfachen.
17 Jan 2019
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Politikerporträt
Hugh Jackman
Gary Hart
Michail Kalik
Marvel-Superhelden
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