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# taz.de -- Kolumne German Angst: Herzenswärme und Bier am Büdchen
> Da wohin wir doch immer wieder zurückkehren, ist Stille eingekehrt. Wohin
> nun als Nächstes, mit Essen im Magen und unerfüllten Wünschen im Kopf?
Bild: Unter dem Baldachin der unerfüllten Wünsche schleppen wir uns dahin
Zum allerletzten Mal im alten Jahr habe ich, hoffentlich, die Arschkarte
gezogen. Ich soll nämlich eine Kolumne schreiben – für den ersten Tag im
neuen, verfasst aber im vergangenen Jahr. Ganz abgesehen von dem Unglück,
das dies vermutlich mit sich bringt, entspricht es auch ganz der
Jahresendzeitstimmung, wie sie uns pünktlich ereilt, im Bordbistro zwischen
irgendeiner mittelgroßen Stadt irgendwo in der Mitte von Deutschland.
Zwischen [1][weihnachtsmüden Menschen] (oder dem, was nach dem emotionalem
und kulinarischen Kahlschlag der Feiertage von ihnen übrig blieb), und dem
was wir „Zuhause“ nennen. Die kaputten ICE-Kleinkinder sind so, wie wir uns
bloß fühlen dürfen: überdreht und familienmüde, magenkrank und hungrig, und
in ihrer Bedürftigkeit nach Verständnis und Geborgenheit ganz fundamental
enttäuscht.
Da wo wir weggezogen sind, und wohin wir doch immer wieder zurückkehren,
ist Stille eingekehrt. Schlechtes Essen und gute Drinks: eine
kräftezehrende Kombination. Von unseren Luftbetten in schlecht geheizten
Jugend-zu-„Arbeitszimmern“-umgeräumten Gästedomizilen starren wir auf die
stille, schneelose Welt. Was bleibt uns sonst, im kilometertiefen Funkloch
der elterlichen Wohnung?
In den mittelgroßen Wohnzimmern auf mittelguten Couchgarnituren sitzend,
sprengen die BewohnerInnen mit Händen wie Schraubstöcken Wallnussköpfe.
Jeder gibt zu guter Letzt dem Druck nach. Was diese Metapher nun bedeuten
soll? Keine Ahnung. Aber zum Ende des Jahres darf man sich ja alles
mögliche Halbgare erlauben.
## Strangulierte Nikoläuse
Die Straßen der mittelgroßen Städte jedenfalls: leer. Herzenswärme wie
Bier: nur noch in Büdchen, die „Oase“ heißen. Oder „Laternchen“.
„Paradies-Eck“. Die Krankenhäuser und Psychiatrien übervoll mit
Selbsteinweisungen und gescheiterten Suizidalen. An den Strommasten und
Laternenpfosten der mittelgroßen Straßen jenseits des Marktplatzes baumeln
strangulierte Nikoläuse, gefallene Sterne und Schlitten, deren Kufen steil
abwärts zeigen, im Begriff mitsamt Rentier auf die verkehrsberuhigte Straße
zu stürzen, um die [2][Passantinnen und Verzweiflungsflaneure mit
Geschenkequadern zu erschlagen].
Unter diesem Baldachin der nicht eingehaltenen Versprechungen und
unerfüllten Wünsche schleppen sich Verbliebene wie Zurückgekehrte durch den
letzten Rest des Jahres. Wie jedes Jahr hatten sie pünktlich zum 24.
Dezember festgestellt, dass die schwarze Welle, die sich das ganze Jahr
lang langsam über ihnen aufgetürmt hat, einfach nicht hinabstürzen will.
Ewig beschattet sie ihr Gemüt, eine riesige Gewitterwolke, über dem Kopf
festgeschraubt wie der Heiligenschein über den Holzköpfen des ramponierten
Krippenspiels in der Nachbarstraße.
Irgendwie bin ich jetzt vom Thema abgekommen. Auch hier jedenfalls, wo ich
schreibe, neigt sich das Jahr dem Ende zu. Wir sehen uns auf der anderen,
auf der besseren Seite.
1 Jan 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
German Angst
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Feiertage
Köthen
Schwerpunkt Neues Deutschland
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