# taz.de -- Rechtsextreme Szene im Allgäu: Grüne Wiesen, brauner Sumpf | |
> Sebastian Lipp beobachtet auf dem Blog allgaeu-rechtsaussen Rechtsextreme | |
> im Allgäu. Dort agiert Bayerns größte Nazi-Kameradschaft. | |
Bild: Das Allgäu, eine Idylle mit braunen Einsprengseln | |
Das [1][Allgäu] ist für viele Deutsche nicht viel mehr als eine schmucke | |
Urlaubsregion: grüne Wiesen, weißblauer Himmel, die Berge am Horizont, die | |
Küh vor der Nase. Sebastian Lipp, quasi dialektfrei, 30 Jahre jung, stammt | |
von hier, aus Kempten. Er sagt: „Es gibt hier einen Sumpf, der reicht | |
zurück bis in die 90er Jahre.“ Lipp meint nicht das Werdensteiner Moos, das | |
nahe der Kleinstadt zu aufregenden Wanderungen einlädt. Er meint Bayerns | |
größte noch existierende Neonazi-Kameradschaft. | |
Der Verfassungsschutz spricht von 60 bis 80 Personen in der Vereinigung | |
Voice of Anger. Lipp sagt, der Dunstkreis, den diese Personen mobilisieren | |
können, ist weitaus größer. Der Journalist beobachtet die Szene seit Jahren | |
und verkauft die Geschichten an regionale und überregionale Medien. Für all | |
die Zusatzinformationen, die weiterführenden Recherchen, den „Detailkram“, | |
gibt es seit 2017 die Homepage [2][allgaeu-rechtsaussen.de]. | |
Der Name des Blogs mag irreführend sein. Zwischen dem ersten und dem | |
zweiten Wort befindet sich im Layout der Homepage ein durchgestrichener | |
Pfeil. Lipp möchte über Dinge aufklären, die in der Bilderbuchidylle gern | |
weggeschwiegen werden. Er behauptet, die Allgäuer Gesellschaft begünstige | |
Untergrundstrukturen, weil so gar kein Bewusstsein für die Problematik | |
herrsche: „Wir glauben, wir müssen das in die Öffentlichkeit zerren, damit | |
die Leute gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen.“ | |
Für Lipp und seinen Kollegen Norbert Kelpp heißt das, ständig hinzuschauen. | |
Und Verbindungen zu erkennen. Wie diese Arbeit funktioniert, lässt sich am | |
Beispiel Gastraum Illertissen nachvollziehen. Im Mai dieses Jahres | |
eröffneten Philipp Mörwald und Oliver Rieger die neue, hippe Eventlocation | |
mit Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten. Über ein Jahr lang hatten | |
die beiden dafür die ehemalige evangelische Christuskirche aufwendig | |
umgebaut. | |
## Duftbaum „Obersalzberg“ | |
Philipp Mörwald – der Name allerdings kommt Sebastian Lipp bekannt vor. Und | |
er hat recht: Mörwald, der sich tagsüber im werdenden Gastraum nützlich | |
macht, steht nach Feierabend mit der Gitarre im Studio. Hier entsteht das | |
neue Album seiner Band Act of Violence. Der limitierten Ausgabe der Platte | |
liegt ein Duftbaum „Obersalzberg“ bei. AoV ist keine vorsichtig mit dem | |
rechten Rand liebäugelnde Band. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende | |
Medien indizierte das dritte Album wegen Gewaltaufrufen sowie | |
nationalsozialistischer und antisemitischer Texte. | |
Sebastian Lipp telefoniert mit Oliver Rieger, dem Geschäftspartner des | |
Rechtsrockers Mörwald: „Was macht’s ihr da eigentlich? Ist das eine | |
Eventlocation oder ein Nazitreff?“ Rieger bestätigt, er sei aus allen | |
Wolken gefallen. Er bezahlt Mörwald aus, der dann gegenüber der | |
Regionalpresse von der Unvereinbarkeit des Projekts mit seinem Hauptberuf | |
schwadroniert. Lipp, triumphal: „Da haben wir gesehen, dass unsere | |
Recherchen etwas bewirken.“ | |
Gleichzeitig soll die Geschichte als symptomatisch gelten für | |
Parallelstrukturen inmitten der eigentlich dörflichen Gesellschaft, in der | |
doch jeder jeden kennt. Die Besonderheit der Szene: Nur wenige Mitglieder | |
entsprechen dem klassischen Skinhead-Klischee. „Die geben sich hip“, sagt | |
Lipp, „die sind bei Instagram. Der eine ist Tätowierer, der nächste | |
Landwirt, noch einer hat eine Biogasanlage. Das sind keine Randtypen, die | |
sind extrem gut in die Gesellschaft integriert.“ | |
Die traditionelle Verankerung der organisierten Neonazis im Allgäu und in | |
Schwaben bedingen einen Fokus der Arbeit von Sebastian Lipp. Er hat in den | |
vergangenen Jahren mehr Rechtsrock gehört, sei es für die Recherche oder | |
auf Konzerten, als gesund sein kann. Im Zuge der Etablierung der AfD, ihrem | |
Einzug in den Bundestag und, [3][jetzt, in den Landtag], kam ein neuer | |
Aspekt hinzu. Mit 10,2 Prozent liegt die AfD bei der Landtagswahl im Allgäu | |
exakt auf dem Landesdurchschnitt. Ein Verlust im Vergleich zur | |
Bundestagswahl. | |
## Der AfD im Allgäu gefällt die Arbeit des Journalisten nicht | |
Ob es auch an den vermehrten Protesten Lag? Lipp will das gerne glauben. | |
Handfester ist der Zusammenhang mit einer Personalie: Peter Felser aus | |
Dillingen an der Donau, Wahlkreis Oberallgäu, ist mittlerweile | |
Vize-Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Die Personalie fehlt der Partei | |
im Allgäu. | |
Über Felser schrieb Lipp zum Beispiel, dass der einen ehemals militanten | |
Neonazi in seinem Medienverlag angestellt hatte. Und dass Peter Felser | |
selbst in den 90ern Videos für die Republikaner produzierte. | |
Der AfD im Allgäu gefällt die Arbeit des Journalisten freilich nicht. Man | |
verweigerte dem Journalisten die Akkreditierungen für | |
Wahlkampfveranstaltungen – weil der Saal schon voll sei. Also schickte Lipp | |
übertrieben frühzeitige Anmeldungen. Die Ehrenvorsitzende des Kreisverbands | |
Oberallgäu, Dorothe Merlot, teilte ihm daraufhin mit, er könne wegen seiner | |
„Hass-Berichterstattung“ nicht mehr als „normaler Gast“ betrachtet werd… | |
Die E-Mail verdeutlicht auf eindrückliche Art, wie die AfD versucht, sich | |
kritische Berichterstattung vom Leib zu halten. Damit verstoße sie, so die | |
Gewerkschaft Verdi in einer Mitteilung, gegen das Grundrecht auf | |
Pressefreiheit. | |
## „Bei uns gibt es keine Probleme“ | |
Sebastian Lipp muss damit leben, dass es andere Journalisten gemütlicher | |
haben. Aber sein Fokus hat sich nicht aus dem Beruf ergeben, sondern | |
andersherum, der Beruf aus dem Fokus. Durch den Einzug der AfD in den | |
Landtag wird die Arbeit für ihn nicht weniger werden. „Die Alternative | |
wäre, dass die machen können, was sie wollen, und keiner schaut hin. Das | |
will man natürlich nicht haben.“ | |
Also begeben Kelpp und er sich in ein Milieu, das mit linker Journaille | |
nicht gerade zimperlich umgeht. Nach einer NPD-Veranstaltung waren die | |
Scheiben von Kelpps Auto eingeschlagen. Beide müssen sich Bedrohungen unter | |
Facebook-Posts der AfD gefallen lassen. | |
Klar werde man vorsichtiger, wenn man nachts allein durch Kempten gehe, | |
klar schaue man sich um. Aber andererseits dürfe man sich nicht | |
einschränken, weil die dann gewonnen haben. Und überhaupt: „Das Allgäu ist | |
so idyllisch und so schön. Bei uns gibt es keine Probleme“, sagt Sebastian | |
Lipp, meint’s ironisch und grinst. | |
2 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /!t5035974/ | |
[2] https://allgaeu-rechtsaussen.de/ | |
[3] /AfD-Landtagsfraktion-in-Bayern/!5544143 | |
## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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