Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sportart Kabaddi in Indien: Die große Show der Fänger
> Der archaische Sport Kabaddi ist in Indien vom TV zum Spektakel aufgebaut
> worden. Bei den Zuschauerzahlen nähert man sich dem Cricket an.
Bild: Eine Mischung aus Fangen und Ringen: Kabaddi-Spiel in der indischen Liga
Mumbai taz | Jedes Mal, wenn Siddarth Desai mutterseelenallein ins
Feindesland aufbricht, verwandelt sich die Stimmung im Sardar Vallabhbhai
Patel Stadium im Süden von Mumbai. Es ist diese erwartungsvolle Anspannung,
diese stille Unruhe, die Menschenmassen ergreift, wenn sie darauf hoffen,
bald Zeuge eines außergewöhnlichen Moments zu werden. „Siddarth! Siddarth!
Siddarth!“, der Chor der gut 3.000 wird langsam lauter.
Der neue Star der Pro Kabaddi League tänzelt und täuscht, treibt die Gegner
von einer Ecke in die andere. Doch der Chor erstirbt urplötzlich, als sich
die gegnerische Übermacht auf den Helden wirft und ihn unter sich begräbt.
Kabaddi ist eigentlich ein simples Spiel. Eine Mischung aus Fangen und
Ringen. Ein Spiel, das fast jedes indische Kind in der Schule gespielt hat.
Ein archaischer Sport, der vermutlich vor viertausend Jahren im Süden
Indiens entstanden ist. Der aber in Indien nun inszeniert wird wie ein
Gladiatorenspektakel – und damit große Erfolge feiert. Was Einschaltquoten
und Spielergehälter angeht, ist Kabaddi nun die Nummer zwei in Indien nach
[1][dem alles beherrschenden Cricket].
Die Regeln sind einfach: Auf einer 10 mal 13 Meter großen Matte stehen sich
jeweils sieben Kabaddispieler gegenüber. Abwechselnd wird ein sogenannter
Raider in die gegnerische Hälfte geschickt und hat 30 Sekunden Zeit, so
viele Gegner wie möglich zu berühren und wieder zurück in die eigene Hälfte
zu gelangen. Während des Angriffs darf der Raider nicht einatmen, und um
das dem Schiedsrichter anzuzeigen, muss er dauernd „Kabaddi, Kabaddi,
Kabaddi“ sagen. Die berührten Spieler müssen das Spielfeld verlassen.
Ein Schicksal, das aber auch den Raider ereilen kann, wenn er getackelt
wird, bevor er es zurück zur Mittellinie geschafft hat. Punkte gibt es für
jeden Spieler, der aus ist, Zusatzpunkte für komplett eliminierte Teams,
die danach aber wieder auf Sollstärke aufgefüllt werden. Der Claim der
aktuellen Saison der Pro Kabaddi League (PKL): „Kabaddi ist das Spiel
unserer Kindheit, aber kein Kinderspiel.“
## Eine ganze Reihe von Rekorden gebrochen
In der PKL wird das Spiel aus antiker Vergangenheit vermarktet wie Football
in der NFL. Die Spieler kommen durch einen mit Trockeneisnebel gefüllten
Tunnel aufs Spielfeld gestürmt, und während die satten Beats der eigens
komponierten Vereinshymnen die Halle erschüttern, wird das Rund in
wechselndes Licht getaucht wie eine Diskothek. Ob Bengaluru Bulls, Patna
Pirates oder Telugu Titans: jedes der zwölf Teams der Liga hat einen
schicken Namen, ein martialisches Logo und ein vermarktbares Maskottchen.
Der Hallensprecher gibt sich alle Mühe, wie Michael Buffer zu klingen
(„Ladies and Gentlemen, are you ready for some action?“), und schießt in
der Halbzeitpause aus einer Pumpgun T-Shirts ins Publikum.
Nach dem Wiederanpfiff wird Siddarth immer wieder losgeschickt. U Mumba,
die aktuell die Tabelle der PKL anführen, hatte nach einem frühen Rückstand
das Spiel gegen die Haryana Steelers vor allem dank der erfolgreichen Raids
des Publikumslieblings in den ersten 20 Minuten gedreht. Doch die Partie
bleibt knapp, Mumbai braucht dringend Punkte. Der 1,92 Meter große
Modellathlet ist eine erstaunliche Mischung aus Kraft und Schnelligkeit.
Eine seiner Spezialitäten sind blitzschnelle, karateähnliche Stöße mit dem
Fuß, die auch schon mal auf den Kopf eines Gegners zielen. Kabaddi ist kein
Spiel für Zartbesaitete.
Der 26-Jährige spielt seine erste Saison in der PKL, hat aber schon eine
ganze Reihe von Rekorden gebrochen. Noch vor wenigen Jahren sollte der
Bauernsohn Ingenieur werden, ging ins Fitnessstudio („Da ging es nur darum,
ein paar Muskeln aufzubauen. Ich wollte gut aussehen“) und spielte Kabaddi
nur zum Spaß auf matschigen Dorfplätzen. Nun ist der Liganeuling nach nur
wenigen Partien zum Gesicht der Liga aufgestiegen.
Für die Sportwebsite The Bridge ist er „die heißeste Sache im indischen
Kabaddi“, für die Tageszeitung Mint eine „Abrissbirne“. Dass er für das
Team aus der indischen Entertainmenthauptstadt Mumbai aufläuft, dürfte
ebenso zu seiner Popularität beigetragen haben wie sein gutes Aussehen. Auf
den riesigen Plakatwänden, auf denen Desai mit seinem markanten, von einem
kurz gestutzten Bart umrahmten Kinn zu sehen ist, erinnert er kaum zufällig
an einen Bollywoodstar.
## Sponsoren überall
Eines von Siddarths großen Vorbildern steht ihm an diesem Abend gegenüber:
Monu Goyat ist Kapitän der Haryana Steelers und der teuerste
Kabaddi-Spieler der Welt. Für die Saison von drei Monaten bekommt der
26-Jährige gut 15 Millionen Rupien und ist damit der bestbezahlte Sportler
Indiens, der nicht Cricket spielt. Die etwa 180.000 Euro, die Goyat
einstreicht, sind allerdings nur ein Taschengeld, verglichen mit den 2,4
Millionen, die Virat Kohli, Kapitän der indischen
Cricketnationalmannschaft, vergangene Spielzeit in der Indian Premier
League (IPL), der umsatzstärksten Cricket-Liga der Welt, verdiente.
Dass Monu und Siddarth überhaupt Berühmtheiten werden konnten, dafür ist in
erster Linie Star TV verantwortlich. Die indische Tochter des
Medienkonzerns Fox hat die PKL 2014 aus der Taufe gehoben und seitdem
systematisch zu dem Spektakel aufgebaut, das die Liga heute ist. Dazu
wurden Vorbilder aus Übersee wie die NFL oder die NBA studiert, aber vor
allem, wie sich die IPL vermarktet.
Produziert werden die TV-Übertragungen der PKL in einem 41-stöckigen
Glasturm in der völlig überfüllten 20-Millionen-Metrole Mumbai. Hier werden
mit modernster Fernsehtechnik, in virtuellen Studios und mit
Computeranimation aus Athleten, die zumeist aus bescheidenen, ländlichen
Verhältnissen stammen, Helden gemacht, die die Fans nur beim Vornamen
kennen. Star TV hat einige Regeln geändert, um Kabaddi schneller und
spannender zu machen. Die Matches werden von 16 Kameras aufgezeichnet,
einzelne Spieler und Trainer mit Mikrofonen ausgestattet, die besten
Akteure mit Home- und Backgroundstorys zu Charakteren aufgebaut, auf dem
Fernsehschirm kann der Zuschauer den ansteigenden Herzrhythmus des Raiders
sehen, und in Pre- und Post-Game-Shows analysieren Experten das Geschehen.
TV-Auszeiten sorgen für ausreichend Unterbrechungen für Werbung. Sponsoren
überall, selbst der gern eingesetzte Videobeweis wird präsentiert von einem
Kekshersteller. Man überlege, erzählt Siddarth Sharma, Kreativdirektor bei
Star TV, ob bald auch Kameras auf den Spielern selbst platziert werden
könnten.
## Teams aus dem Iran erfolgreich
Alle Partien werden parallel live auf fünf Kanälen in Englisch und den
indischen Sprachen Hindi, Tamil, Telugu und Kannada übertragen, um ein
möglichst großes Publikum zu erreichen. Die Einschaltquoten geben Star TV
recht: Während der letzten Saison erreichte die PKL drei Viertel der
Zuschauerzahlen, die die in Indien übermächtige Cricket-Liga IPL
verzeichnet. Der aktuelle Vertrag mit dem Namenssponsor, einem chinesischen
Technologiekonzern, spült 32 Millionen Euro über fünf Jahre in die Kassen
der Liga.
Zu sehen ist die PKL nicht nur in Indien, sondern auch in Nordafrika, im
Nahen und Mittleren Osten. Denn längst wird Kabaddi nicht mehr nur in
Indien gespielt. Bei den letzten Asienspielen im August traten immerhin elf
Männer- und neun Frauenteams an. Und erstmals wurde die Dominanz Indiens
durchbrochen: Beide Wettbewerbe in Jakarta gewannen sensationell die Teams
aus dem Iran. Nach der Halbfinale-Niederlage der Männer flossen Tränen in
der indischen Mannschaft, die heimischen Medien diagnostizierten einen
„Schock“.
Folgerichtig haben auch die besten Iraner Verträge in der indischen
Vorzeige-Liga bekommen, zudem gibt es einzelne Profis aus Südkorea,
Bangladesch, Thailand und Kenia. Die iranische Hochburg in der PKL ist
zweifellos U Mumba: Der Klub von Jungstar Siddarth Desai wird trainiert von
Gholamreza Mazandarai, sonst iranischer Nationaltrainer. Unbestrittener
Anführer der Mannschaft ist Fazel Atrachali. Der langjährige Kapitän der
iranischen Nationalmannschaft hat zuvor wie viele andere Profis als Ringer
reüssiert und gilt als einer der besten Verteidiger der Welt.
## Schnell ein Selfie mit den Stars
Als Kapitän ist Fazel verlängerter Arm des Trainers. Vor jedem Raid gibt er
Siddarth exakte Anweisungen, welchen Gegner er wie zu attackieren hat. Seit
die PKL das altmodische Spiel in die Neuzeit befördert hat, haben sich
Technik, Taktik, athletische Ausbildung und Infrastruktur rapide
weiterentwickelt. Die allermeisten der knapp 300 PKL-Akteure sind gebaut
wie Profi-Handballer, längst gibt es Scouting Reports, werden Stärken und
Schwächen der Gegner in Video-Sessions analysiert, die Talentsichtung wird
professionalisiert, Star TV hat eine Nachwuchs-Liga aufgebaut und bildet
Trainer aus.
Doch diesmal verpuffen die Tipps des Chefstrategen Fazel. Zu oft wird ein
müder werdender Siddarth von der Verteidigung gestellt und muss
ausgetauscht werden. Die anderen Mumbaier Raider können ihn nicht ersetzen.
U Mumba verliert in einem dramatischen Match 31:35 gegen die Haryana
Steelers. Trainer Mazandarai erklärt danach, dass seine beiden Stars leicht
verletzt in die Partie gegangen seien, zum nächsten Spiel aber wieder fit
sein sollten.
Draußen, in der immer noch fast 30 Grad warmen Mumbaier Nacht, drängeln
sich die aus der Halle strömenden Zuschauer vor den großen Fotowänden, auf
denen Siddarth und Fazel zu sehen sind. Schnell ein Selfie mit den Stars.
Aber die Fans sind nicht enttäuscht, sie haben ihre Helden gesehen. Sie
werden wiederkommen.
18 Nov 2018
## LINKS
[1] /Indien-wird-Cricket-Weltmeister/!5123504
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Indien
Kolumne Kulturbeutel
Indien
Indien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gepflegter Elitismus: Ein Königreich für Cricket
Für Mitteleuropäer ist der Sport nur schwer zu verstehen. Eine literarische
Annäherung hilft zumindest dabei.
Ergebnis der Regionalwahlen in Indien: Schlappe für die Hindunationalisten
Die Congress-Partei war fast schon totgesagt. Nun gewinnt sie überraschend
gegenüber der zuletzt dominierenden hindunationalistischen BJP.
Gesellschaftsroman aus Indien: Groß rauskommen
Indien Cricket, Korruption, Coming-out: „Golden Boy“ von Aravind Adiga ist
ein erhellender Roman über Väter und Söhne als Kapital.
Indien wird Cricket-Weltmeister: 28 lange Jahre
Indien wird durch einen Finalerfolg gegen Sri Lanka Weltmeister im Cricket.
Noch wichtiger als der Titel ist vielen die gelungene Organisation, die
eine ältere Scharte auswetzt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.