# taz.de -- Indien wird Cricket-Weltmeister: 28 lange Jahre | |
> Indien wird durch einen Finalerfolg gegen Sri Lanka Weltmeister im | |
> Cricket. Noch wichtiger als der Titel ist vielen die gelungene | |
> Organisation, die eine ältere Scharte auswetzt. | |
Bild: Freudentaumel: Millionen indische Fans feiern den Weltmeistertitel. | |
DEHLI taz | Nach 43 Tagen, 20.781 Runs, 721 Wickets, einem Unentschieden | |
und etlichen Herzschlagmomenten steht fest: Indien ist der neue Weltmeister | |
im Cricket. Das Team von Kapitän Mahendra Singh Dhoni schlug am Samstag in | |
der indischen Finanzmetropole Mumbai den Nachbarn Sri Lanka souverän mit | |
sechs Wickets. Die Nation mit ihren mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern ist | |
im Freudenrausch. Es ist 28 Jahre her, dass die cricketverrückte Nation | |
zuletzt die WM gewann. | |
"Es ist der stolzeste Moment meines Lebens", sagte Indiens sichtlich | |
gerührter Spieler Sachin Tendulkar nach dem Finale im voll besetzten | |
Wankhede Stadium. Am Sonntag folgten Indiens Helden in Weiß der Einladung | |
der indischen Präsidentin Pratibha Patil zum High Tea in der Hauptstadt Neu | |
Delhi. Und noch in der Nacht zogen tausende Fans vor das Haus von Skipper | |
Dhoni in Ranchi, um ihr Idol lautstark zu feiern. | |
## Nationalheld Dhoni | |
Es war ausgerechnet Dhoni, der ein spannendes Endspiel mit seinen 91 Runs | |
entschied. Eine späte Genugtuung, hatte der Kapitän doch in den Wochen | |
zuvor noch unter Form agiert und war kritisiert worden. | |
Aber trotz aller Spannung - für Indien war das Endspiel gegen Sri Lanka | |
fast antiklimatisch nach dem sportlich und politisch brisanten Halbfinale | |
gegen den Erzfeind Pakistan, das Indien knapp gewann. Das Spiel zwischen | |
den Rivalen war erstaunlich fair und angenehm verlaufen. Statt Animositäten | |
und Beleidigungen herrschte auf beiden Seiten Sportsgeist und | |
Kollegialität: "Warum hassen wir eigentlich Indien?", fragte Pakistans | |
Skipper Shadid Afridi offen, als er zurück in seiner Heimat war. | |
Afridi hatte sich mit seinem tadellosen Verhalten bei den Indern viel | |
Respekt verschafft. Kurz nach der Niederlage seines Teams im nordindischen | |
Mohali sah es einen Moment so aus, als würde der bärtiger Cricketer in | |
Tränen ausbrechen, doch dann sprang Afridi auf, lief auf das Spielfeld und | |
schüttelte jedem Spieler der indischen Mannschaft herzlich die Hand. | |
Aber das große Lob für Afridi und seine Männer konnte nicht alle Wunden bei | |
den pakistanischen Fans heilen, die so sehr auf den Einzug ins Finale | |
gehofft hatten: "Es ist, wie deiner Ex mit einem anderen Mann zuzusehen - | |
gleich nach der Trennung", bemerkte ein pakistanischer Journalist vor dem | |
Beginn der Begegnung Indien gegen Sri Lanka. | |
Pakistan hätte nach all den Negativschlagzeilen der letzten Zeit einen Sieg | |
gut gebrauchen können. Eigentlich war das Land als Mitveranstalter | |
vorgesehen, doch nachdem das Nationalteam von Sri Lanka 2009 bei einem | |
Auswärtsspiel im ostpakistanischen Lahore auf dem Weg zum Stadion von | |
Terroristen angegriffen wurde, war Pakistan von der Liste der | |
Austragungsorte für internationale Cricketspiele gestrichen worden. | |
## Angst vor der Austragung | |
Doch auch Indien hatte sehr auf einen Sieg gehofft, um die Erinnerung an | |
die von Pannen und Pleiten geprägte Ausrichtung der Commonwealth-Spiele | |
2010 in Delhi vergessen zu machen: Viele Spitzensportler hatten ihre | |
Teilnahme aus Sicherheitsgründen abgesagt. Eine Brücke zum Hauptstadium | |
brach zusammen, Wettkampfstätten wurden nicht fertig, und manche Athleten | |
mussten ihre Wohnungen im Sportlerdorf selbst putzen. Indien, das sich gern | |
als kommende Großmacht fühlt, war blamiert. | |
Experten bemühten sich, vor Beginn der Cricket-WM alle Ängste zu | |
zerstreuen, dass sich ein solches Debakel wiederholen könnte. Dennoch wurde | |
mit großer Sorge registriert, dass mehrere Stadien den Sicherheits-Check | |
noch kurz vor Beginn der Spiele nicht bestanden. Doch diesmal lief alles | |
rund für Indien. Beobachter lobten die WM als beste seit 1992. Nur der | |
Spielplan war manchen zu aufgebläht, manche Spiele waren zu einseitig, vor | |
allem Kenia oder Kanada blieben chancenlos. | |
## Milliardengeschäft Cricket | |
"Das perfekte Spiel", wie die Anhänger ihren Sport nennen, hat gerade durch | |
Indiens rasanten Aufstieg zur Wirtschaftsmacht einen neuen Stellenwert | |
bekommen. Wegen der riesigen Fangemeinde und einer wachsenden Mittelklasse | |
mit dem nötigen Geld für Freizeit und Vergnügen ist Cricket in Indien | |
inzwischen zu einem Milliardengeschäft geworden. Die Veranstalter behaupten | |
gar, dass die Cricket-WM die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt sei - | |
nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaft. | |
Der Weltmeistertitel für Indien wird den Sport weiter florieren lassen. | |
Denn bei dieser WM wurde kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Geld zu machen: | |
Manche Fernsender übertrugen die Wettkämpfe gleich so, dass auf dem | |
Bildschirm neben dem Spiel in einem weiteren Fenster ständig Werbung lief. | |
Und selbst die Münze, mit der die beiden Mannschaftskapitäne vor dem Finale | |
das Recht auslosten, mit Werfen oder Schlagen beginnen zu dürfen, wird vom | |
Cricket-Weltverband ICC meistbietend versteigert. | |
3 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Agnes Tandler | |
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