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# taz.de -- Fernsehfilm über die RAF: Darf man das?
> Der ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ nimmt sich erstaunliche Freiheiten
> in der Umdeutung von Nachwendezeit und RAF-Terrorismus.
Bild: Der Treuhandchef Dahlmann (Ulrich Tukur) mit der Terroristin (Petra Schmi…
Nicht dass daraus irgendetwas zu schließen wäre. Aber ein bemerkenswertes
Detail ist es schon: dass in dem ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ Jenny
Schily, die Tochter des ehemaligen RAF-Anwalts Otto Schily, eine eiskalte,
berechnende RAF-Terroristin der sogenannten dritten Generation spielt.
Und da fangen die Probleme auch schon an. Nicht bei den schauspielerischen
Fähigkeiten der Schily und ihrer Kollegen – die weiteren Hauptrollen sind
mit einem amtierenden (Ulrich Tukur) und zwei Ex-„Tatort“-Kommissaren
(Petra Schmidt-Schaller und Maximilian Brückner) besetzt. Sondern da, wo
die berechnende Kälte der Terroristin anschaulich gemacht werden soll. Sie
soll eine sein, die sogar über die Leichen von Kindern geht. Also setzen
die Filmemacher dem Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, der hier Albert
Wegner heißt, noch eine kleine Tochter mit ins Auto, als er seiner
Ermordung entgegenfährt.
Darf man das? Am Anfang eine Texttafel einblenden: „Dieser Film orientiert
sich an historischen Ereignissen, die Handlung ist fiktiv. Die handelnden
Personen sowie ihre beruflichen und privaten Konflikte sind frei erfunden.“
Und dann die RAF-Geschichte nach Lust und Laune umschreiben, historische
Motive neu montieren?
Genau fünfzig Jahre nachdem mit den Kaufhausbrandstiftungen Baaders und
Ensslins alles angefangen hat, blicken wir auf eine beachtliche Zahl
filmischer Befassungen mit der RAF zurück. Margarethe von Trottas „Die
bleierne Zeit“ (1981), Heinrich Breloers „Todesspiel“ (1997) und Andres
Veiels „Black Box BRD“ (2001) gelten wohl als die gelungensten Filme.
## Das Konzept: Junge Frau liebt schönen Terroristen
Das konzeptuelle Spektrum reicht von der dramaturgie-befreiten,
quasi-dokumentarischen Aufzählung der RAF-Attentate in Bernd Eichingers/Uli
Edels „[1][Der Baader Meinhof Komplex]“ (2008) bis zur maximal
fiktionalisierten Überhöhung in Christopher Roths „Baader“ (2002), der
Andreas Baader im Shoot-out mit der Polizei einen romantischen Heldentod à
la Clyde Barrow sterben lässt. Die Frage wurde natürlich damals auch schon
gestellt: Darf man das?
Darf man das – einen Film machen wie „Der Mordanschlag“: Berlin 1991. Jun…
Frau (Schmidt-Schaller) liebt schönen RAF-Terroristen (Nikolai Kinski!) und
geht deshalb als Referentin – und RAF-Informantin – zu Detlef Karsten
Rohwedder (der hier Hans-Georg Dahlmann heißt), dem Chef der
Treuhandanstalt. „Hier geht’s nicht um Abwickeln, sondern um Gestalten!“
Tukur spielt ihn als charmantes Alphatier, anständig und integer. Die DDR
soll verramscht werden – aber nicht von ihm, sondern von einem korrupten
Beamten in und einem skrupellosen Wirtschaftsanwalt außerhalb seiner
Behörde. Bevor er ihnen das Handwerk legen kann … – Es ist kein Spoiler zu
verraten, dass er erschossen wird.
Aber Vorsicht, jetzt kommt der dicke Spoiler – es geht nicht anders: Dass
ausgerechnet zu dem Termin, bei dem die RAF-Terroristen ihr Attentat
geplant haben, andere ihnen zuvorkommen und den Treuhand-Chef gemäß dem von
den Terroristen geschmiedeten Plan, also per Gewehrschuss durchs Fenster
seines Arbeitszimmers, ermorden! Auf die Idee muss man erst mal kommen, als
Stasi-Veteran (Sorry für den Spoiler!) – und als Filmschaffender. Stellt
sich doch die Frage: Wieso den Terroristen bei einem Attentat zuvorkommen;
warum den RAF-Leuten einen Anschlag in die Schuhe schieben, den sie sowieso
– genau so – ausführen wollten?
André Georgi (Buch) und Miguel Alexandre (Regie) waren beide für Dutzende
TV-Krimis verantwortlich. Von Polizei- und Strafrecht haben sie trotzdem so
wenig mitbekommen, dass die Polizei (Brückner als privat und beruflich arg
gebeutelter BKA-Mann) in ihrer Vorstellung Terroristen – auch ohne
Vorliegen einer Gefahr – per Schießbefehl und Ansitzjagd erledigen darf.
## Bad Kleinen als historische Kulisse
Tot oder lebendig? Wenn dem so wäre, wäre die ganze Aufregung um den in Bad
Kleinen von der GSG 9 erschossenen RAF-Terroristen Wolfgang Grams nicht
nötig gewesen. Apropos Bad Kleinen: Heißt hier Bad Gronau und interessiert
Georgi/Alexandre auch nur als historisch verifizierter Schauplatz.
Früher hätte man so eine zwischen hemdsärmeligem Doku-Drama und
hanebüchenem Whodunit lavierende Räuberpistole bar jeder Plausibilität
„spekulativ“ und „reißerisch“ genannt. Heute … ach, sagen wir einfac…
RAF-Porno.
Und, ja: Man darf das.
5 Nov 2018
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## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
ZDF
Fernsehfilm
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
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