# taz.de -- Filmstart "Baader Meinhof Komplex": Der Spuk geht weiter | |
> Seit es die RAF gibt, gibt es Filme über die RAF. Damals wie heute ist es | |
> schwer, sich den Affekten zu entziehen, die mit ihnen einhergehen. | |
> Traumata verschwinden, wenn man lange genug drüber redet. | |
Bild: Ein paar markante Bilder, und schon gehts weiter zum nächsten Event. | |
Die RAF ist Geschichte. 1998 hat sie sich aufgelöst, linksradikaler Terror | |
existiert höchstens noch in den Köpfen einiger Staatsschützer, die sich von | |
brennenden Autos in Prenzlauer Berg irritieren lassen. Auf T-Shirts des | |
Labels Mägde und Knechte, in einem Film wie "Baader" mit seinem finalen | |
Shoot-out oder in einer Zeitschrift wie Tussi Deluxe ist die RAF längst Pop | |
geworden, beim kanadischen Underground-Regisseur Bruce LaBruce sogar Porno. | |
Auch die jüngste Kinoproduktion, Uli Edels "Der Baader Meinhof Komplex", | |
will die Ereignisse der 70er-Jahre kurz und flashy aufrufen und dann | |
abhaken. Der Schuss auf Benno Ohnesorg, das Dutschke-Attentat, der Angriff | |
aufs Springer-Hochhaus - all das stiftet ein paar markante Bilder, und | |
schon gehts weiter zum nächsten Event. Lauter abrufbare Chiffren, bis | |
Schleyers Kopf im Close-Up auf dem Boden liegt. | |
Die Historisierung und die Popwerdung stehen in merkwürdigem Kontrast dazu, | |
wie auffällig oft das Wort Gespenst fällt, wenn von der RAF die Rede ist. | |
31 Jahre nach dem Deutschen Herbst gibt es etwas, was uns in regelmäßigen | |
Abständen heimsucht - eine Art Spuk, eine Unruhe, ein Erregungszustand. Die | |
Publikationswut, die Edels Film begleitet und die von der Produktionsfirma | |
Constantin geschickt orchestriert wird, widerspricht zwar dem abhakenden | |
Erzählmodus von "Der Baader Meinhof Komplex", reiht sich zugleich aber ein | |
in hochgradig nervöse Diskussionen, wie sie etwa die RAF-Ausstellung in den | |
Berliner Kunstwerken oder die Frage nach der Begnadigung Christian Klars | |
auslösten. Die RAF ist eben doch kein Gegenstand, den man ruhigen Herzens | |
den Historikern überlässt; sie ist kein Sujet, das in poppiger | |
Zeichenhaftigkeit sein Unruhepotenzial verwirkt. Wie etwas Verdrängtes | |
kehrt sie zyklisch wieder - nur dass in ihrem Fall der Begriff Verdrängung | |
wenig Sinn ergibt, denn die RAF genießt ja jede Menge Öffentlichkeit. Sie | |
wird weder ganz vergessen, noch so erinnert, dass ein Schlussstrich möglich | |
wäre. Sie ist wie ein Trauma, das nicht im Versteck arbeitet, sondern | |
größte Sichtbarkeit genießt. | |
Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum sich dieses Trauma trotz seiner | |
Sichtbarkeit, trotz seiner Gegenwärtigkeit nicht auflöst. Der | |
nächstliegende ist der, dass die Taten der Terroristen nicht aufgeklärt | |
sind. Wer auf wen schoss, bleibt im Dunkeln. Hans-Joachim Klein, Mitglied | |
eines Kommandos der "Revolutionären Zellen", das 1975 in Wien eine | |
Opec-Konferenz stürmte, bildet eine große Ausnahme, wenn er in dem | |
Dokumentarfilm "Mein Leben als Terrorist" erklärt, wie diese Aktion | |
zustande kam und was dabei passierte. Eine noch größere Ausnahme bildet er, | |
weil er sich klar distanziert, indem er vor laufender Kamera seine damalige | |
Naivität und Blindheit eingesteht. Die meisten ehemaligen RAFler hingegen | |
schweigen zu ihren Taten so bleiern, wie die Behörden Dokumente und | |
Abhörprotokolle unter Verschluss halten. Und dieses Schweigen gilt nicht | |
nur für die Akte des Terrorismus, sondern auch für die Antworten des | |
Staates. Nachdem das Kommando der GSG 9 in Mogadischu die entführte | |
Lufthansa-Maschine gestürmt hatte, sagte Helmut Schmidt im Interview mit | |
dem Spiegel: "Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, dass | |
sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben." Offenkundig ist | |
man heute immer noch zu nervös, als dass man entsprechende Untersuchungen | |
zulassen wollte. | |
Noch heute eignet der RAF etwas Verführerisches - noch und gerade heute, da | |
der Rahmen, in dem politisches Agieren möglich ist, so verdammt eng | |
geworden ist. Welche Räume gibt es für politisches Handeln, wenn allüberall | |
die Globalisierung, der Neoliberalismus, die Alternativlosigkeit des | |
Kapitalismus die Bedingungen diktieren? Wenn selbst Regierungen sich am | |
liebsten als Verwalter von Sachzwängen aufführen? Wer die aus diesen Fragen | |
resultierenden Ohnmachtsgefühle nicht produktiv verwandeln kann, findet im | |
Tatmenschen Baader eine Lichtgestalt. Terror bedeutet einen Höhepunkt an | |
Selbstermächtigung, einen Exzess an Handlungsfähigkeit - und das hat | |
Strahlkraft. Allerdings auch den Nebeneffekt, dass die terroristische | |
Handlung leicht das Gegenteil von dem bewirkt, was sie sich wünscht. | |
Für diese spezifische Dialektik findet Rainer Werner Fassbinder in seinem | |
Film "Die dritte Generation" (1979) sehr hellsichtige Bilder. Der Manager | |
eines Computerkonzerns leitet seine eigene Entführung in die Wege, und ein | |
Ermittler des Staatsschutzes sagt: "Ich hatte einen Traum: Die Kapitalisten | |
haben den Terrorismus erfunden, damit der Staat sie besser schützt." | |
Dass Handlungswut nicht immer das erreicht, was sie beabsichtigt, ist eine | |
Ironie, die auch Edels Film betrifft: Der macht sich Baaders Handlungswut | |
zu eigen. So wie die von Moritz Bleibtreu gespielte Figur lieber schießt | |
als nachdenkt, so will auch "Der Baader Meinhof Komplex" sich nicht lang | |
mit Überlegungen über Darstellungsfragen und Bildproduktion aufhalten. Er | |
will nichts als filmen. | |
Ein weiterer Grund, warum die RAF verlässlich Erregungszustände hervorruft, | |
ist der, dass bei ihr die Lagerbildung so gut funktioniert wie bei kaum | |
einem anderen Gegenstand. Zu bestimmen, was rechts und was links ist, wird | |
immer schwieriger. Doch wenn es um die RAF geht, tritt die alte | |
Unterscheidung plötzlich wieder in Kraft. Ein Autor der Welt zum Beispiel | |
empörte sich Anfang der Woche, weil die Darsteller, die in "Der Baader | |
Meinhof Komplex" spielen, Verständnis für die Motive der Terroristen äußern | |
- so als wäre ein Nachvollzug von Ideen bereits die Übernahme dieser Ideen. | |
Wer sich die Reaktionen auf Heinrich Breloers Dokudrama "Todesspiel", das | |
im Juni 1997 von der ARD ausgestrahlt wurde, ansieht, wird verblüfft sein, | |
wie einhellig die Ablehnung in taz und Konkret ausfiel, während man in der | |
FAZ begeistert war. Links mäkelte man über die Staatshörigkeit Breloers, | |
rechts feierte man sie. Wenn man "Das Todesspiel" heute wieder sieht, kann | |
man zu einer ganz anderen Lesart kommen: Breloers Intention mochte es zwar | |
sein, Helmut Schmidts Krisenmanagement in positives Licht zu rücken. Doch | |
er schaffte einen Kontrapunkt zu seiner eigenen Absicht, indem er das Leid | |
der Geiseln in der entführten Maschine so überaus plastisch ausmalte. | |
Nolens volens stellte er damit unbequeme Fragen in den Raum. War die Härte | |
des Krisenstabs wirklich angemessen? Wäre es nicht besser gewesen, den | |
Forderungen der Entführer nachzugeben und die inhaftierten RAFler | |
freizulassen, anstatt das Leben der Geiseln zur Disposition zu stellen? | |
Mit der Lagerbildung einher geht etwas anderes. So wie es 1977 schwierig | |
war, eine Position jenseits der Fronten zu suchen, so war es schwierig, | |
sich den heißlaufenden Gefühlsökonomien zu entziehen. Zur Psychodynamik des | |
Deutschen Herbstes gehörten gewaltige Affekte, Reflexe und Emotionen. 70 | |
Prozent der deutschen Bevölkerung befürworteten damals die Todesstrafe für | |
Terroristen. Die "klammheimliche Freude" über den Mord an Siegfried Buback | |
ist das Pendant dazu auf der Seite der Sympathisanten. In Breloers TV-Drama | |
findet sich eine nächtliche Szene, in der brave Bürger in schwäbischem | |
Idiom verlangen, man solle die RAFler "auf der Flucht erschießen", und in | |
dem Kompilationsfilm "Deutschland im Herbst" (1977) kommt es zu einer | |
bemerkenswerten Konfrontation zwischen Rainer Werner Fassbinder und seiner | |
Mutter Liselotte Eder. Unter den hartnäckigen Fragen des Regisseurs äußert | |
sie immer totalitärere Ansichten darüber, wie mit den Terroristen zu | |
verfahren sei. Zugleich fällt auf, dass Fassbinder geradezu | |
inquisitorischen Furor an den Tag legt, obwohl er doch die liberale | |
Position für sich reklamiert. Angesichts solcher Erhitzung stellt sich die | |
Frage, wie viel antiliberales Denken damals zirkulierte und welches Ventil | |
es sich suchte. Wüteten diese undemokratischen Reflexe und Ressentiments | |
später weiter? Schämte man sich ihrer? | |
Dazu passt schließlich, dass die RAF auch deshalb so viel Erregung | |
produziert, weil sie mit dem anderen großen deutschen Erregungsthema, dem | |
Nationalsozialismus, so eng verwoben ist. Die Terroristen nahmen für sich | |
in Anspruch, als gute Söhne gegen die bösen Nazi-Väter anzutreten. Sie | |
wollten den Widerstand leisten, den die Väter von 1933 bis 1945 zu leisten | |
nicht imstande waren, und sie legitimierten ihr Tun, indem sie eine | |
Kontinuität des Faschismus in der deutschen Gesellschaft konstatierten. Sie | |
legten dabei paradoxerweise dieselbe Härte an den Tag wie ihre Väter und | |
redeten sich das schön, indem sie Brechts Stück "Die Maßnahme" zitierten: | |
"Furchtbar ist es, zu töten. / Aber nicht andere nur, / Auch uns töten wir, | |
wenn es nottut, / Da doch nur mit Gewalt diese tötende / Welt zu ändern | |
ist, wie / Jeder Lebende weiß." | |
Bei all diesem Fieber, bei all diesen Aufladungen nimmt es nicht wunder, | |
wenn das Phänomen RAF noch immer seinen Spuk treibt. Dabei wäre es naiv, | |
darauf mit strikter Aufklärung reagieren zu wollen. Traumata lösen sich | |
nicht dadurch, dass man etwas aufklärt, sie lösen sich, wenn man immer | |
wieder darüber redet - mit all den dazugehörigen Wiederholungen, Schleifen, | |
Erregungen, Irrtümern und Rückfällen. Deshalb muss man sich vor Uli Edels | |
Film nicht fürchten, selbst wenn er seinem Gegenstand mit frappierend | |
niedrigem Reflexionsniveau entgegentritt. | |
Ein ganz anderes Reflexionsniveau legte Christian Petzolds Film "Die innere | |
Sicherheit" (2000) an den Tag. Er handelt von untergetauchten RAFlern, | |
immer auf der Suche nach Zufluchtsorten. Sie agieren wie Untote. Am Ende | |
sterben sie in einem brennenden Auto, doch das sieht man nur als | |
Widerschein auf dem Gesicht ihrer pubertierenden Tochter. Der Spuk wird | |
weitergehen. | |
20 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
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ZDF | |
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