| # taz.de -- Neue Beratungsstelle Soulspace: Offen für Krisen | |
| > Die neue Beratungsstelle Soulspace soll jungen Menschen in psychischen | |
| > Krisen helfen. Allerdings gibt es schon bei der Eröffnung Kritik von | |
| > Betroffenen. | |
| Bild: JedeR dritte junge Erwachsene in Berlin leidet unter psychischen Problemen | |
| Der Moment ist geschickt gewählt. Noch während der Begrüßung zur | |
| offiziellen Eröffnungsveranstaltung von Soulspace, einer Beratungs- und | |
| Behandlungsstelle für junge Menschen in Krisen, wandert ein Stapel | |
| DIN-A5-Broschüren im Publikum von Hand zu Hand. | |
| Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass diese Broschüre kein offizielles | |
| Infomaterial der neuen Einrichtung ist, um die es auf der Bühne gerade | |
| geht. Das Logo stimmt nur fast, Fixierungsgurte schimmern hinter dem Bild | |
| durch. Darunter in großen Buchstaben: Gegendarstellung. | |
| Eine Irritation in der ansonsten aufwendig inszenierten | |
| Eröffnungsveranstaltung von Soulspace, die Ende vergangener Woche szenenah | |
| im Aquarium im Südblock am Kottbusser Tor stattfand. | |
| Vorne lobt der stellvertretende Bezirksbürgermeister von | |
| Friedrichshain-Kreuzberg, Knut Mildner-Spindler (Linke), bei dem Termin | |
| Mitte Oktober, dass das Urban-Krankenhaus, der Träger ajb und der Bezirk | |
| mit Soulspace ein neues niedrigschwelliges und unbürokratisches Beratungs- | |
| und Behandlungsangebot verwirklicht hätten – eine enge Zusammenarbeit | |
| zwischen Bezirk, Träger und Klinik, die deutschlandweit neu sei. Denn die | |
| Beratungsstelle ist direkt an die psychiatrischen Kliniken im Bezirk | |
| angebunden. | |
| ## Jeder Dritte | |
| Soulspace will ein Anlaufpunkt sein für junge Menschen zwischen 15 und 35 | |
| Jahren, die in psychische Krisen geraten oder auf dem Weg dahin sind. Das | |
| sind nicht wenige in Berlin: Laut einem im Mai veröffentlichten Bericht der | |
| Krankenkasse Barmer wird bei jedem und jeder dritten Berliner*in zwischen | |
| 18 und 25 Jahren eine psychische Erkrankung diagnostiziert. | |
| Getragen wird Soulspace von den Vivantes-Kliniken für Kinder- und | |
| Jugendpsychiatrie, von „Fritz am Urban“, einem Therapiezentrum für junge | |
| Erwachsene mit beginnenden psychischen Krisen, sowie von dem | |
| Jugendhilfeträger ajb, der bereits in mehreren Bezirken psychosoziale | |
| Kontakt- und Beratungsstellen betreibt. | |
| Die Träger erhoffen sich, insbesondere Psychosen und andere psychische | |
| Beeinträchtigungen durch das neue Angebot möglichst früh zu erkennen. So | |
| könne man früher einschreiten und junge Betroffene möglicherweise vor einem | |
| schlimmeren Verlauf mit Klinikaufenthalt und lang andauernden | |
| Medikamenteneinnahmen bewahren, erklärt Thomas Götz, Landesbeauftragter für | |
| Psychiatrie. | |
| Das Modellprojekt werde zunächst wissenschaftlich begleitet. Zum Team | |
| gehören Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen, Ergotherapeut*innen bis hin | |
| zu Psychiater*innen vom Vivantes-Klinikum für Kinder- und | |
| Jugendpsychiatrie. Sie können dort auf Wunsch auch anonym beraten und | |
| behandeln. | |
| ## Hilfe ohne Stigma | |
| Ziel sei es auch, Hilfe zu ermöglichen, ohne zu stigmatisieren. „Denn | |
| Depressionen sind inzwischen gesellschaftlich akzeptiert, bei anderen | |
| psychischen Krankheiten sind die Betroffenen noch immer einem viel | |
| stärkeren gesellschaftlichen Druck ausgesetzt“, sagt Begoña Petuya, | |
| Psychiatriekoordinatorin vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. | |
| Von den Zuhörer*innen blättern inzwischen einige in der „Gegendarstellung�… | |
| Sie ist im Rahmen von Plan B, einer psychiatriekritischen | |
| Selbsthilfegruppe, und dem mad-Tresen Berlin entstanden, unterstützt vom | |
| Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, und kritisiert genau diese | |
| Verankerung von Soulspace an den psychiatrischen Kliniken. Betroffene | |
| würden von Zwangsmaßnahmen am Urban-Klinikum berichten. Außerdem seien | |
| keine unabhängigen Betroffeneninitiativen in die Planung mit einbezogen | |
| worden, obwohl dieser Anspruch in der UN-Behindertenrechtskonvention | |
| verankert sei. | |
| Die Betroffenen, die an diesem Tag als Redner*innen auf die Bühne | |
| eingeladen sind, sehen das weniger kritisch. Janine Peter-Beer, deren | |
| Tochter in ihrer Jugend psychisch erkrankt war, betont, wie sehr ihr eine | |
| Anlaufstelle, wie es das Soulspace werden soll, geholfen hätte. „Als Eltern | |
| standen wir ahnungslos und fassungslos davor“, sagt sie. Es habe lange | |
| gedauert, bis sie wirklich Hilfe bekommen hätten, eine Phase, in der auch | |
| Geschwisterkinder eventuell vernachlässigt würden. Da seien alle | |
| Ansprechpartner willkommen. „Ich glaube nicht, dass darüber schon junge | |
| Kinder psychiatrisiert werden“, fügt sie als Reaktion auf die | |
| Gegendarstellung hinzu. Wichtig sei aber, dass nicht nur Fachleute, sondern | |
| auch Angehörige überhaupt erführen, dass es so eine Stelle gibt. | |
| ## Schädliche Diagnosen | |
| Auch die Rapperin Sookee, die als Sprecherin zum Podiumsgespräch eingeladen | |
| ist und selbst Psychiatrie-Erfahrung hat, sieht Potenzial in der | |
| Einrichtung. „Es kann eine gute Möglichkeit sein, einen Raum außerhalb der | |
| Psychiatrie zu etablieren“, sagt sie. „Ich hoffe aber, dass das auch zurück | |
| ins Urban-Klinikum wirkt.“ | |
| Denn das Ziel müsse immer Selbstbestimmtheit sein. Auch Diagnosen seien oft | |
| schädlich, weil die Betroffenen sich sehr stark damit identifizieren | |
| würden. „In den Kliniken wird oft nur der Weg von der Diagnose zurück in | |
| die Leistungsfähigkeit gesehen, das sollten wir unterbrechen, auch um | |
| psychischen Erkrankungen das Stigma zu nehmen“, sagt Sookee. Dafür brauche | |
| es aber auch eine gesellschaftliche Veränderung. | |
| Doch wie erkennen Jugendliche und junge Erwachsene, dass ihre Krise eine | |
| Krise ist, der mit den Angeboten im Soulspace begegnet werden kann? | |
| Deutlicher: Muss, wer ins Soulspace kommt, schon vorher wissen, dass ihr | |
| oder sein Problem auch psychiatrisch relevant sein könnte? „Nein, ganz und | |
| gar nicht“, sagt Psychiatriekoordinatorin Petuya. „Die Tür steht allen | |
| offen, einfach vorbeikommen, wir führen keine Akten.“ | |
| Aufgabe der Mitarbeiter*innen sei es schließlich auch, an andere Stellen | |
| weiterzuvermitteln, wenn vielleicht ein Mädchenprojekt oder die | |
| schulpsychologische Beratungsstelle etwas besser auffangen oder konkretere | |
| Beratung bieten könnten. „Wir haben keinen Zwang oder Leistungsdruck, | |
| Behandlungsfälle zu generieren.“ Es sei doch positiv, dass die Psychiatrie | |
| sich mit einem Ort wie dem Soulspace mehr nach außen öffne. „Alles, was | |
| außerhalb des Krankenhauses geschehen kann, sollte auch dort geschehen“, | |
| betont Petuya. | |
| ## Kritik von Betroffenen | |
| „Ich habe dieses Vertrauen in die Einrichtungen, die dieses Projekt tragen, | |
| nicht“, sagt eine Zuhörerin, die erklärt, ebenfalls zeitweise im | |
| Urban-Klinikum stationär behandelt worden zu sein. „Den Aufenthalt verbinde | |
| ich mit Gewalterfahrungen und Zwang, und meine Situation ist keine | |
| Ausnahme“, sagt sie. Ein anderer Zuhörer widerspricht einer Aussage von | |
| Andreas Bechdolf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und | |
| Psychosomatik im Urban, zum verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten. | |
| Er sei dort nicht über Nebenwirkungen aufgeklärt worden und habe später | |
| massiv damit zu kämpfen gehabt, sagt der ehemalige Patient. | |
| Auch Felix Henneberg von der psychiatriekritschen Selbsthilfegruppe Plan B | |
| und Mitverfasser der Gegendarstellung fasst diese Bedenken zusammen. „Es | |
| sollte viel transparenter sein, an wen man sich da wendet“, findet er. | |
| „Wenn Psychiater*innen die Gesprächspartner*innen sind, ist doch klar, dass | |
| ein Problem oder eine Krise leicht zu einem psychiatrisch diagnostizierten | |
| Problem werden kann. Und dann ist der Weg nicht weit zu Medikamenten als | |
| Lösung.“ | |
| Es bleibt der Vorwurf, dass keine Betroffeneninitiativen einbezogen worden | |
| seien. Psychiatriekoordinatorin Petuya lässt das an sich abprallen. „Dass | |
| sie direkt in die Planung einbezogen werden, können die Organisationen | |
| nicht erwarten“, sagt sie. „Zu einem Gespräch sind wir allerdings gern | |
| bereit, denn auch die Psychiatrie sollte sich verändern und dazu gehört es | |
| auch, Initiativen anzuhören und das Erleben der Menschen, die etwas als | |
| traumatisch empfinden, zu berücksichtigen.“ | |
| 22 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Beratung | |
| Jugendliche | |
| Psychiatrie | |
| Depression | |
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