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# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Über hundertjährige Ignoranz
> In Deutschland wird Fußball immer noch als etwas Banales gesehen. Dabei
> ist er Teil sozialer und politischer Auseinandersetzung.
Bild: WM-Eröffnungsfeier in Russland: „Ein Sportereignis als soziales, histo…
Ein Satz, der auch auf den Sport passen könnte. „Wer nur etwas von Musik
versteht, versteht auch davon nichts“, soll der Komponist Hanns Eisler
gesagt haben. Wer bloß den Sport in den Blick nimmt, heißt es ja über die
„Nur-Fußball-Journalisten“, sei unkritisch. Es müssten ebenso soziale,
politische, ökonomische und kulturelle Aspekte bedacht werden.
Klingt überzeugend, und dennoch haben wir es, glaube ich, mit einer
Verwechslung zu tun: Fehlende Politik wird hier für fehlende Kritik
gehalten.
Die These, ob und wie unkritisch Fußballjournalismus ist, wird in einer
frisch erschienenen Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung
diskutiert. Die Antwort des Autors, des Journalisten Tonio Postel, ist eher
pessimistisch. „Die Entwicklung ist absehbar und erscheint unsozial: Die
Berichterstattung wandert zunehmend ab ins Bezahlfernsehen“, schreibt er,
und der Profifußball züchte sich immer mehr ein „Operettenpublikum“ heran.
Doch Postel diagnostiziert zudem, dass „die Nachfrage für eine unabhängige,
kritischere Fußballberichterstattung steigt“. Beispiele kritischen
Sportjournalismus findet er nicht nur bei Spiegel oder Süddeutsche, bei
Deutschlandfunk oder „Sport Inside“ im WDR, sondern auch bei der
„Sportschau“ und dem „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF.
Haben aber nicht auch die von Postel als „deutlich weniger kritisch“
charakterisierten Kicker, Bild oder Sport-Bild einen strengen Blick auf die
Zustände? Kritisch in dem Sinne, dass sie nicht jedes Spiel, jeden Profi,
den gesamten DFB, jeden Manager loben, sind diese Blätter schließlich
schon. Aber es ist im engeren Sinne Fußballjournalismus, ohne politischen
Anspruch.
## Was gilt als „Kritik“?
Unstrittig ist ja, dass über eine Fußball-WM in Russland oder Katar
berichtet werden sollte, indem politische und soziale Verhältnisse mit in
den Blick genommen werden. Aber gehören die Betrachtung von
Auswechselfehlern eines Trainers, die Analyse einer strittigen
Abseitsentscheidung oder die Erörterung der von einem Trainer vorgegebenen
Taktik nicht auch in den Fußballjournalismus? Und ist das nicht auch
Kritik?
Das ist es selbstverständlich. Die Frage, um die es mit dem falsch
gewählten Wort „Kritik“ geht, ist ja bloß die nach dem politischen
Anspruch. Die dann gern ausgestreute Häme, was das denn sein sollte,
„linker Fußball“, eine „politische Flanke“ oder ein „demokratischer
Torschuss“, offenbart ja viel mehr das Problem heutigen Sportjournalismus,
als es die wohlfeile Rede über mangelnde politische Haltung eines
Fußballreporters könnte.
Ein Sportereignis als soziales Ereignis, das historisch entstanden ist und
politische Wirkung hat, zu verstehen und zu analysieren, ist die hohe
Schule des Sportjournalismus, die seltenst erreicht wird. Zugegeben, dieser
Satz klingt merkwürdig, zumindest in Deutschland. Das hat viel mit der über
hundertjährigen Ignoranz gegenüber Sport in diesem Land zu tun: Der gilt
partout nicht als körperliche Ausdrucksform sozialer oder politischer
Auseinandersetzung, sondern als etwas Banales. Literatur und Theater wird
zugebilligt, politisch und zeitdiagnostisch zu sein; Comic und Film mussten
sich diesen Status erst erkämpfen. Doch beim Sport gilt dies bis heute bloß
als abstruse Spinnerei.
Noch gilt also: Wer nur etwas von Politik versteht, hat auch von Sport
keine Ahnung. Schade eigentlich.
11 Oct 2018
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Fußball
Sportjournalismus
Kritik
Fußball
Fußballvereine
Schwerpunkt AfD
Fußball
Frauen-WM 2019
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