# taz.de -- Männer mit Hitlers Vornamen: Adolf, ein deutsches Schicksal | |
> „Hallo, ich heiße Adolf“ – wie schwer fällt es, das zu sagen? Warum n… | |
> man sein Kind so? Wir haben vier Nachkriegsgeborene gefragt. | |
Bild: Es braucht nicht viel – manchmal nur ein paar Striche – um an Adolf H… | |
Das ist der erste Schritt, um den Mythos Hitler zu zerstören!“ – positive | |
Umdeutung als Argument: So versucht ein werdender Vater zu erklären, wieso | |
sein Kind Adolf heißen soll. Klar, haha, alles nur ein Witz, wie sich | |
später herausstellt. Doch der Knallfaktor dieses belasteten Namens ist | |
Dreh- und Angelpunkt in Der Vorname, dem Sönke-Wortmann-Remake eines | |
französischen Films, der nun im Kino angelaufen ist. Das | |
bildungsbürgerliche Trara von drei Paaren bricht auf: wegen Adolf. Weil: | |
Wer, bitte, nennt seinen Sohn heute so? Und was sagt es über unsere | |
Gesellschaft, dass dieser Name wieder möglich scheint? | |
Wieder. Denn bis Anfang des vorigen Jahrhunderts galt Adolf als Modename, | |
er rutschte 1932 auf der Beliebtheitsskala aber weiter runter. Und | |
schnellte ab Hitlers Machtergreifung zu einsamen Beliebtheitsgipfeln in den | |
Jahren 1935 und 1940 – bevor er abstürzte, Krieg sei Dank, und in der | |
Versenkung verschwand. | |
„Der Name ist kontaminiert“, sagt der Berliner Soziologe und Namensforscher | |
Jürgen Gerhards. „Die Verbindung zu Führer, Holocaust und | |
Nationalsozialismus ist fest im kollektiven Bewusstsein verankert.“ Auch | |
wenn es derzeit nicht so absurd scheint, dass Adolf an Skandalpotenzial | |
verliert, weil faschistische, rechtsnationale Argumente in der politischen | |
Mitte angekommen sind. „Noch nehme ich nicht wahr, dass der Name Adolf | |
seine Konnotation des Unsäglichen verloren hat, auch die Fast-nicht-Präsenz | |
des Namens aktuell deutet nicht auf eine Entlastung des Namens“, sagt | |
Dietlind Kremer, Leiterin des Namenkundlichen Zentrums der Universität | |
Leipzig. | |
Lutz Kuntzsch, Vornamensforscher der Gesellschaft für deutsche Sprache, | |
meldet, dass seit 2010 der Name insgesamt 151 Mal (oft als Zweitname, zwei | |
Mal weiblich) vergeben worden sei, von Juni 2017 bis heute 19 Mal. Das sei | |
„bundesweit doch recht wenig“, sagt er. Und Knud Bielefeld, der für seine | |
Seite „Beliebte Vornamen“ seine Datenbanken pflegt, meldet ebenfalls: keine | |
besonderen Vorkommnisse. | |
Wenn man dann nachkriegsgeborene Männer fragt, wieso sie Adolf heißen, ist | |
die Erklärung simpel: Familientradition. Ein Name, der mal mehr, mal | |
weniger gedankenlos weitergereicht wird – von Uropa zu Opa, zu Vater, zu | |
Sohn. Die einen leiden nicht darunter, die anderen politisiert der Name. | |
Auch ohne ihn offiziell ändern zu lassen, was nur mit einem psychologischen | |
Gutachten möglich ist und damit komplizierter als beim Nachnamen, finden | |
viele einen Weg um Adolf herum. | |
## Adolf, *1951 | |
Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Landwirtschaft, Großfamilie, mit | |
allem, was dazugehört: auf dem Feld arbeiten, Feste feiern, Klavier | |
spielen, in die Kirche gehen. Ich bin wirklich mit allem einverstanden, was | |
meine Eltern gemacht haben. Das Einzige, was ich bis heute nicht gut finde, | |
ist mein Vorname. | |
Ich heiße so, weil mein Großvater Adolf hieß und er, zwei Jahre bevor ich | |
auf die Welt kam, gestorben ist. Und weil auch der Bruder meiner Mutter so | |
hieß, der mit 19 im Krieg gefallen war. Man muss sich das so vorstellen: | |
Landwirtschaft, mitten in der Aufbauphase nach dem Krieg – da wurde | |
gearbeitet, Namensgebung nicht groß diskutiert. Erst als ich älter war, | |
wurde mir bewusst, wie schwierig der Name ist. | |
Letzten Endes habe ich den Namen als Auftrag empfunden. Ich war im Bund der | |
Antifaschisten. 1980 wurde ich Stadtrat meiner Heimatstadt – für die | |
Grünen. Das war damals ein Schimpfwort: die Griiieeene, mit drei i und vier | |
e. Man war wie ein Aussätziger. Da war die Partei das Schlimme, nicht der | |
Adolf. | |
Aber es ging mir darum, politisch, inhaltlich, menschlich so zu sein, dass | |
der Name mit etwas ganz anderem verbunden werden kann. Damit mag | |
zusammenhängen, dass ich 1979 eine Gedenktafel mit initiiert habe für die | |
Juden unserer Stadt, die nach Gurs transportiert und dort umgebracht | |
wurden. Oder dass ich ab 1993 regelmäßig Gedenkfeiern anlässlich der | |
Reichspogromnacht ausgerichtet habe, ohne die Kommune im Rücken. | |
In meinem Umfeld bin ich bekannt mit meinem Vor- und Zunamen. Mein Name ist | |
in gewisser Weise ein Qualitätsbegriff. Den ändere ich nicht. Ich versuche, | |
verlässlich und geradlinig zu sein. Das kommt vielleicht auch von der | |
Landwirtschaft: Die Natur gibt die Abläufe vor, man kann nicht alles zu | |
seinem Vorteil verändern. Nein, ich heiße jetzt so, ich muss mich damit | |
auseinandersetzen – und andere auch. | |
Es ist trotzdem eine lebenslange Frage für mich, wie ich mich verhalte, | |
wenn ich mich vorstellen muss. Ich habe Hemmungen, meinen Namen zu sagen – | |
und sage ihn, wenn, dann nur mit meinem Nachnamen zusammen. Ich bin darauf | |
programmiert, was dann passiert: Ich bemerke relativ schnell – an der | |
Körpersprache, der Mimik – eine Wertung, eine Irritation bei meinem | |
Gegenüber. Und versuche fast jedes Mal, sofort zu erklären, warum ich so | |
heiße. Manchmal denke ich: Wieso mache ich das? Ich mache mich damit klein. | |
Eigentlich müssten die Menschen bereit sein, zu erkennen, dass da ein | |
Mensch vor ihnen steht. | |
## Dolf, *1965 | |
Ich glaube nicht, dass mich mein Name geprägt hat. Ich glaube grundsätzlich | |
nicht, dass Namen einen prägen sollten. Es ist einfach nur ein Name. | |
Toll finde ich ihn nicht. Aber er ist okay. Auch von der Bedeutung her: Es | |
gibt Schlimmeres, als „ein edler Wolf“ zu sein. | |
Meine Eltern riefen mich früher Adi. Aber das war mir irgendwann zu | |
kindlich, deswegen nenne ich mich Dolf, seit ich 14, 15 bin. Damals | |
brauchte ich dringend einen cooleren Namen: Ich wurde Punk, hörte diese | |
Musik, interessierte mich für ihre Inhalte. Aber: Hieße ich anders, wäre | |
meine politische Haltung genau dieselbe. | |
Ich bin immer noch Teil dieser Szene, ich leite seit mehr als dreißig | |
Jahren das Punk-Fanzine Trust. Dass ich Adolf heiße, scheint eine | |
kurzfristige Entscheidung gewesen zu sein. Meine Eltern hatten noch keinen | |
Namen, und dann hat mein Großvater wohl kurz vor der Taufe gesagt: „Das ist | |
doch ganz klar, der wird so heißen wie ich selbst und sein Vater.“ Ich kann | |
mich nicht erinnern, dass wir zu Hause je Diskussionen über meinen Namen | |
hatten. Meine Eltern haben ihn mir ja nicht gegeben, weil sie Hitler-Fans | |
sind. | |
Mein Großvater wurde 1910 geboren, da wusste noch niemand von dem anderen | |
Adolf. Es gibt für mich deswegen keinen Grund, Scham wegen dieses Namens zu | |
empfinden. Wenn Leute sagen: „Nee, mit einem, der Adolf heißt, will ich | |
nichts zu tun haben“, dann haben eher die ein Problem, finde ich. Ein Name | |
ist bloß ein Name. Aber wenn Menschen einen Namen bekommen, der sich | |
explizit auf eine bekannte Person bezieht und eine bestimmte Bedeutung mit | |
transportieren soll, ist das natürlich etwas anderes. | |
Deswegen fände ich es auch ziemlich erschreckend, wenn Adolf als Vorname | |
wieder häufiger vergeben würde. Weil es darauf schließen ließe, dass er | |
aus den falschen Gründen populärer wird. Die Verantwortung, gegen diese | |
neuen rechten Strömungen vorzugehen, hat jeder in Europa – auch ich habe | |
die. Aber ganz bestimmt nicht wegen meines Namens. | |
Die Initialen teile ich mit dem anderen Adolf, sie sind mir buchstäblich | |
unter die Haut gegangen: Als ich 13 war, haben meine Gang und ich | |
entschieden, dass wir uns unsere Anfangsbuchstaben auf den Oberarm | |
tätowieren wollen. Ganz klassisch, mit Stecknadeln und Tusche. Das steht | |
jetzt eben da, immer noch: A.H. | |
## Ado, *1977 | |
Ich verbinde meinen Namen nicht mit Hitler, keineswegs. Aus der | |
Weltkriegszeit gibt es genug andere böse Menschen. Da könnte man ja über | |
jeden Rudolf diskutieren. Aber mir gefällt der Name nicht, es gibt weiß | |
Gott schönere. Deswegen nenne ich mich privat Ado oder Adi. Nur beruflich | |
bin ich Adolf. | |
Mein Opa hieß so, lange bevor Hitler an die Macht kam. Und mein Vater. Es | |
war nicht geplant, dass ich auch so heiße, aber drei Monate vor meiner | |
Geburt starb mein Großvater. Da entschied mein Vater, dass ich den Namen | |
bekommen soll. Meine Mutter wollte das nicht. | |
Mein Vater ist Jahrgang 1952. Er kam sechs Jahre nach Kriegsende in die | |
Schule, der Krieg und Hitler waren in den Köpfen allgegenwärtig. Erst | |
neulich erzählte er, wie schlimm es für ihn war, in der Schule als Hitler | |
beschimpft zu werden. Was es natürlich umso weniger verständlich macht, | |
dass er wollte, dass ich denselben Namen trage. | |
Ich hatte wirklich nie Probleme. Trotzdem: Mit dem Namen sticht man | |
natürlich heraus. Im Teenageralter hat man sich manchmal Lücken gesucht, um | |
es sich einfacher zu machen. Wenn man jemanden kennenlernt, kommt | |
irgendwann die Frage nach dem Namen. Da habe ich auch mal einen anderen | |
gesagt, weil ich dieses Gespräch fortführen wollte, ohne dass erst ein | |
gewisser Name im Raum steht. | |
Jetzt, mit über 40, denkt man in solchen Situationen nur: Dann ist es halt | |
so. Es macht einen stärker, zu sagen: Hallo, hier bin ich, und ich bin, wie | |
ich bin. Und wenn du über meinen Namen urteilst, kennst du mich nicht. Ob | |
einer einen guten oder schlechten Charakter ist, kann man nicht am Namen | |
festmachen – auch nicht an der Hautfarbe. | |
Der einzige Moment, in dem es heute ab und an komisch ist, ist, wenn ich im | |
Job meine E-Mail-Adresse angeben muss und dann am Telefon sage: „Nachname, | |
Punkt, Adolf.“ Dann denkt man immer: Was geht dem am anderen Ende der | |
Leitung jetzt durch den Kopf? Gut, wenn es mich wirklich stören würde, | |
könnte ich das ändern lassen. Meine private E-Mail-Adresse ist bewusst | |
anders: „A, Punkt, Nachname“. | |
Es war übrigens von Anfang an klar, dass unser Sohn auch so heißen würde. | |
Aber nur mit dem zweiten Namen. Als richtiger Vorname wäre Adolf nicht | |
infrage gekommen, weil er mir eben nicht gefällt. Und weil es unpraktisch | |
ist: Die Krankenversicherung meines Vaters kann uns bis heute nicht | |
auseinanderhalten. | |
## Addi, *1985 | |
Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal zu meiner damaligen | |
Freundin nach Hause kam. Die hieß Anne. Benannt nach Anne Frank. Sie hatte | |
eine Schwester, sie hieß Sophie. Nach Sophie Scholl. Und dann sitzt man da | |
am Kaffeetisch: Hallo, ich bin Adolf. | |
Dieser Name berührt mich persönlich und beruflich. Auf allen Ebenen. Das | |
hört nie auf. | |
Eigentlich habe ich einen Doppelnamen. Der ist einem Kampf geschuldet. Mein | |
Vater wollte, dass ich so heiße. Er heißt so, sein Vater auch, das geht | |
fünf Generationen zurück. Mein Vater, der nie traditionell ist. Aber da | |
musste das unbedingt sein. Meine Mutter wollte nicht, dass ich Adolf heiße. | |
Deshalb musste ich auch so heißen wie der andere Großvater. Gleichrangig, | |
mit Bindestrich. Es ist kein Familiengeheimnis, dass das für meine Mutter | |
ein schlimmer Moment in ihrer Beziehung war. | |
Ich stelle mich immer als Addi vor, mit zwei d. Auch an der Schule, an der | |
ich jetzt unterrichte, habe ich mich als Addi beworben. Das ist mein Name. | |
Bei uns im Dorf gab es ein paar Leute, die haben mir immer am 20. April zum | |
Geburtstag gratuliert. Das habe ich anfangs nicht verstanden. Weil: Meiner | |
war im Juni. Dann habe ich recherchiert und bin relativ früh darauf | |
gestoßen, dass der Hitler da Geburtstag hat. Damit wusste ich, der | |
Glückwunsch sollte eine Verletzung sein. Und das hat mich auch verletzt, | |
weil ich wirklich das Gegenteil von Hitler bin. | |
Mein Name hat mich total geprägt. Ich wusste früher als viele andere, wer | |
Adolf Hitler war, und habe Geschichte studiert. Ich bin ziemlich links | |
geworden, ich lehne alles Nationale ab. Ich lasse Menschen AfD-eske | |
Kommentare nicht durchgehen. Man kann sagen: Das Abarbeiten an dem Namen | |
hat mich zum besseren Menschen gemacht. Ich bin durch ihn meinungsfreudig | |
geworden. | |
Gerade als Geschichtslehrer sehe ich es als meine Aufgabe, junge Leute mit | |
der Realität zu konfrontieren und historische Vergleiche zu ziehen. | |
Gerechtigkeits- und Gleichstellungsfragen sind mir wichtig. Ich kenne das: | |
Wenn man in eine Schublade gesteckt wird, etwa wegen eines Namens, kann man | |
sich nicht wehren. | |
Wenn ich den Namen ausgeschrieben sehe, assoziiere ich damit nicht, dass | |
das mein Name ist. Ich habe nicht mein Gesicht vor Augen. Auch nicht das | |
meines Vaters oder Großvaters – Hitler. Ja, Adolf ist für mich, auch wenn | |
ich so heiße, verbrannt. | |
25 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
## TAGS | |
Adolf Hitler | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Hitler | |
Hitler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
SchülerInnen auf Spurensuche: Ehrenbürger Adolf H. | |
Hitler war Ehrenbürger der schleswig-holsteinischen Stadt Uetersen. Die | |
acht Schüler, die das aufdeckten, sind nun mit dem Bertini-Preis | |
ausgezeichnet worden. | |
Die Wahrheit: Adolf Hitler auf Thai | |
Die thailändische Junta hat ein großes Werk der Filmgeschichte geschaffen. | |
Schüler lernen die „12 Thai-Werte“ und malen den Führer. | |
Auktionshaus versteigert Hitler-Werke: Ein echter Adolf | |
Ein englisches Auktionshaus möchte im April dreizehn von Hitler gemalte | |
Bilder verkaufen. Angeblich alles Originale. |