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# taz.de -- Die Wahrheit: So süß wie der elektrische Stuhl
> Die Georgien-Woche der Wahrheit: Immer im Sinn bleibt Georgia, das
> liebliche Land der zuckrigen Pfirsiche und des hohen Stromverbrauchs.
Bild: Typisch Georgia: Bei den Redneck Games springt der Hinterwäldner in ein …
Gastland der Frankfurter Buchmesse, so kann man es zumindest den
englischsprachigen Pressemitteilungen entnehmen, die seit Wochen
hereinflattern, ist in diesem Jahr „Georgia“. Zeit, den
vierundzwanzigstgrößten Staat der USA einmal unter die Lupe zu nehmen.
Wer „Georgia“ hört, hat sofort ein Bündel an Assoziationen im Hirn, allen
voran: „Hm, es gibt doch dieses Internetlexikon namens Wikipedia, wo ich
nachschauen könnte, was es damit auf sich hat.“ Wer sich etwas besser
auskennt, denkt an Pfirsiche, an „Stranger Things“, an Alligatoren, den
„Trail of Tears“, noch mehr Pfirsiche, alteuropäisch anmutende Ortsnamen
wie Athens und Columbus, aber auch an die ungemein beliebten, das
staatliche Vierteldollarstück zierenden Pfirsiche.
Georgia ist die Urheimat der dunklen Brause. Bereits mit der Muttercola
wird die Verbundenheit zum Weltkonzern Coca-Cola aufgesogen, der hier seit
1892 seinen Sitz hat: Nicht-Colagetränke – wie stark gezuckerter Eistee –
dürfen deshalb in der Öffentlichkeit nur aus einer Papiertüte heraus
konsumiert werden. Aufgrund des immensen Zuckerverbrauchs verfügt der
Durchschnitts-Georgian dann spätestens mit dem 21. Lebensjahr über ein
Gebiss, das nur mehr butterweiche Pfirsiche, extra-softe
Hähnchenfiletkomprimate sowie Milliarden weiterer Liter Coke verarbeiten
kann. Konsonanten zu artikulieren bereitet bei solch deformierten
Sprechwerkzeugen Schmerzen, sodass sie, wo immer möglich, weggelassen
werden. Die Hauptstadt Georgias heißt deshalb im Volksmund „Alanna“.
## Stau seit dem Bürgerkrieg
Atlanta ist berühmt-berüchtigt für seine Verkehrsstaus. Es heißt, dass auf
den verstopften Straßen zum Flughafen noch heute Fahrzeuge rollen, die
bereits gegen Ende des amerikanischen Bürgerkriegs im 19. Jahrhundert
aufgebrochen sind. Dass der „traffic jam“ hier seinen Namen erhalten hat,
leuchtet sofort ein, wenn man den wie Pfirsichmarmelade vor sich hin
fließenden Verkehr beobachtet.
Immerhin hat Georgia die amerikanische Kunstgeschichte enorm geprägt.
Selbstredend stammt die Malerin Georgia O’Keeffe hierher. Ansonsten hat der
gleichnamige Bundesstaat allerdings nur naive Pfirsichmalerei zu bieten.
Die offizielle Hymne des Staates ist „Georgia on my mind“, gesungen von Ray
Charles, der das sagenhafte Glück hatte, Georgia niemals sehen zu müssen.
1979 setzte sich das Lied bei der Wahl zum State-Song knapp gegen das
Banjo-Solo aus dem Flussfilm „Deliverance“ durch, der zu Recht im Deutschen
den Titel „Beim Sterben ist jeder der Erste“ trägt. Wer immer nur das
schöne Georgia im Sinn hat, darf sich nicht wundern, stets Erster auf dem
Totenbett zu sein. Apropos Totenbett: Georgia beherbergt das Hauptquartier
des unbedeutenden Wetterkanals CNN, jenes Fernsehsenders, den Donald Trump
jede Nacht als Heimat der Fake News betwittert.
## Granitklotz für Pilger
Landschaftsmäßig hat Georgia durchaus so manches zu bieten: einen g’schamig
sich an Florida vorbei schiebenden Zugang zum Meer, verlassene „Walking
Dead“-Drehorte und natürlich jenen gigantischen nutzlosen Granitklotz mit
dem einfallslosen, aber nichts beschönigenden Namen „Stone Mountain“. Über
vier Millionen leicht zu beeindruckende Menschen pilgern Jahr für Jahr
hierhin, zum Gründungsort des Ku-Klux-Klans, um sich auf Picknickdecken vor
dem grauen Koloss zu platzieren und das gewaltigste Flachrelief der Welt zu
begaffen, das Confederate Memorial Carving, das der Legende nach mit Hilfe
von 1,6 Millionen Gallonen Coca-Cola in den Fels geätzt wurde.
Wenn die hiesige Bevölkerung nicht damit beschäftigt ist, Gestein
anzubeten, sitzt sie vor ihren Elektrogeräten. Der Rekord für den
landesweit höchsten Stromverbrauch ist ihnen ein hehres Anliegen. Sie muss
sich mittlerweile dabei sogar besonders heftig anstrengen, seit um die
Jahrtausendwende herum die zugelassene Hinrichtungsmethode vom elektrischen
Stuhl auf die Giftinjektion umgestellt wurde.
Dass Georgia nun eine Rolle bei der bedeutendsten deutschen, wenn nicht
weltweiten „book fair“ spielt, erfüllt die gezuckerten Herzen der 10,4
Millionen Südöstler mit so viel Stolz wie 1996 die Ausrichtung der
Olympischen Spiele in Atlanta. Damals konnten sie es kaum fassen, als sie
beim Einlauf der Nationen eine Delegation ihres eigenen Heimatstaates
hinterm Schild „Georgia“ erblickten. That’s Georgia! No joke here.
9 Oct 2018
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Georgia
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Black Panther
Fotografie
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