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# taz.de -- Erdogans Lieblingsprojekt: Nächster Abflug Istanbul
> Er hat sechs Start- und Landebahnen und eine Fläche von 11.000
> Fußballfeldern. In nur wenigen Wochen soll Istanbuls Riesen-Flughafen in
> Betrieb gehen.
Bild: Größer als jede Moschee: Ein Teil des Terminals des neuen Flughafens mi…
Istanbul taz | Schon viele Kilometer, bevor die Großbaustelle des
Flughafens in Sicht kommt, ist die Landschaft gezeichnet. Abraumhalden, die
an Braunkohletagbau erinnern, haben die Wiesen und Wälder nördlich von
Istanbul in eine Mondlandschaft verwandelt. Feiner Staub bedeckt die übrig
gebliebenen Reste der Vegetation. Auf provisorischen Pisten donnern
Kipplaster in Richtung Flughafenbaustelle.
Ein Blick auf das Gelände macht klar, in welchen Dimensionen hier gebaut
wird. Stahlgerippe künftiger Flugzeughallen und halbfertige Betonpisten
erstrecken sich über Kilometer, ohne das ein Ende zu erkennen wäre. Ein
futuristischer Flughafentower, der an einen verdrehten Faustkeil erinnert
und von einer silbernen Schuppenhaut überzogen ist, erhebt sich aus der
Baustelle. In weiter Entfernung sieht man die Terminals, in denen demnächst
Millionen von Fluggästen abgefertigt werden sollen. Ganz am Ende des
Horizonts blinkt das Schwarze Meer in der Sonne.
Dieser Flughafen ist der glatte Größenwahn, sagen seine Kritiker. Und doch
könnte hier einer der Grundsteine für den künftigen Wohlstand der Türkei
gelegt werden. „Der neue Flughafen ist der Startschuss für das Rennen um
den Umsteigeflughafen der Zukunft in Richtung Asien“, sagte der renommierte
deutsche Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt der Welt. Istanbul Airport
soll Dubai abhängen und zum bevorzugten Flughafen für Asienreisende aus und
nach Europa werden, zum Hub, wo die Passagiere umsteigen und neu verteilt
werden.
Mit Blick auf die Schwierigkeiten am neuen Berliner Flughafen meint
Großbongardt: „Ein solches Projekt könnte man in Mitteleuropa oder den USA
gar nicht mehr durchsetzen. Es wäre unmöglich“.
## Gegen Istanbul wird Frankfurt wie ein Segelflugplatz
Tatsächlich stößt der zukünftige Istanbul Airport in eine Größenordnung
vor, die nur schwer vorstellbar ist. Rund 76 Quadratkilometer umfasst das
Gelände, das entspricht einer Größe von 11.000 Fußballfeldern. Wenn einmal
alles fertig ist, wird der Flughafen sechs Start-und-Lande-Bahnen haben und
in der Lage sein, rund 200 Millionen Passagiere im Jahr abzufertigen. Zum
Vergleich: Frankfurt schaffte im vergangenen Jahr knapp 65 Millionen.
In der ersten Ausbaustufe, die nach den offiziellen Angaben so gut wie
abgeschlossen ist, sollen jährlich 90 Millionen Passagiere abgefertigt
werden. Dafür wird der derzeitig größte Flughafen Istanbuls, der
Atatürk-Airport, geschlossen. Turkish Airlines zieht komplett zum neuen
Flughafen um. Stichtag für die Eröffnung ist der 29. Oktober, der 95.
Jahrestag der Republik. Ab ab dem 1. November soll der Flugbetrieb
beginnen. Bei den Gesprächen, die Erdoğan am Freitagnachmittag mit
Vertretern der deutschen Wirtschaft in Berlin führen will, wird der
Flughafen gewiss eine Rolle spielen.
Wer die Baustelle gesehen hat, kann allerdings kaum glauben, dass der
Termin zu halten sein wird. Fast überall wird noch gearbeitet, Baufahrzeuge
rattern über die Pisten und Kolonnen von Arbeitern marschieren über das
Gelände. Selbst wenn hier Tag und Nacht geschuftet wird, kann dieses Chaos
wohl kaum in vier Wochen geordnet werden. Im Wesentlichen fertig sind
lediglich die Hallen des riesigen Terminals und der Tower. Die
Abfertigungsgebäude für die Passagiere wirken höchst modern, und doch
spielt der Bau mit Zitaten osmanischer Architektur, wie es in der Türkei
derzeit Mode ist. Die Decken sind wabenförmig ausgebaut und ähneln
Moscheekuppeln, am Boden dann befinden sich die endlosen Laufbänder, die
die Menschen zu ihren Gates bringen sollen. Alles hier ist für den Start
vorbereitet, man müsse nur noch die Computer einschalten, sagt Yusuf
Acakyollu, ein Vertreter der Betreiberfirma. Der Tower arbeitet schon.
Von außen betrachtet ändert sich das Bild. Um das Erdgeschoss herum ist
eine Verschalung angebracht und darüber irritiert eine Schutzfolie auf der
Außenhaut, die dem Betrachter suggeriert, der Turm müsse noch ausgepackt
werden.
## Verkehrsprobleme ohne Ende erwartet
Die größten Probleme aber sind nicht auf dem neuen Flughafen selbst zu
erwarten, sondern bei der An- und Abfahrt zu ihm. Bislang ist das Gelände
nur über halbfertige Straßen zu erreichen. Der Schnellbahnanschluss zum 60
Kilometer entfernten Stadtzentrum ist noch längst nicht fertig. Den
Istanbulern graust bereits davor, zukünftig stundenlang im Stau zu stehen,
um den Airport zu erreichen. Als Turkish Airlines am Sonntag stolz ein Foto
von einem ihrer Flugzeuge auf dem neuen Gelände postete und darunter
vermerkte, der Flug vom alten zum neuen Flughafen habe nur 15 Minuten
gedauert, hieß es in vielen Kommentaren: „Was, selbst mit dem Flieger noch
15 Minuten?“
Der neue Flughafen, so die häufig geäußerte Kritik, liege viel zu weit
draußen. Tatsächlich sollte die Anlage ursprünglich stadtnäher am
Marmarameer entstehen. Doch dort wäre der Platz beschränkt gewesen. Erdoğan
wollte jedoch etwas ganz Großes in einer völlig neuen Dimension. Er
entschied vor sechs Jahren, die Planung über den Haufen zu werfen und den
Flughafen im Norden errichten zu lassen.
Ökologisch ist der Bau eine Katastrophe. Am Schwarzen Meer liegt die grüne
Lunge Istanbuls. Rund zwei Millionen Bäume mussten gefällt werden, Gewässer
wurden zugeschüttet, Moore trockengelegt und aufgeschüttet. Der größte Teil
des Geländes lag unter dem Meeresspiegel und musste mit Millionen Tonnen
Sand und Steinen erst aufgefüllt werden. Naturschutzverbände protestierten,
doch alle Einwände wurden vom Tisch gewischt. Wo vor vier Jahren noch
Schafe weideten und die Zugvögel auf dem Weg zwischen Europa und Afrika
zwischenlandeten, ist jetzt die größte Baustelle Europas.
Gebaut wird der Flughafen von einem Konsortium fünf türkischer Baufirmen.
Dieses Firmenkonstrukt, das den Flughafen nach Fertigstellung für 25 Jahre
betreiben wird, hat für die erste Ausbaustufe umgerechnet sechs Milliarden
Euro an Krediten aufgenommen, doch am Ende wird der Flughafen mindestens
das Doppelte gekostet haben. Die Betreiberfirma will so schnell wie möglich
fertig werden, um Geld für die Rückzahlung der Kredite zu verdienen. „Wir
haben die Arbeit von 15 Jahren in 44 Monaten erledigt. Je früher wir fertig
werden, umso eher verdienen wir Geld“, sagte Vorstandsmitglied Yusuf
Acakyollu.
## Unfälle, Streiks und der Polizeieinsatz
Dieser enorme Zeitdruck geht vor allem auf Kosten der Arbeiter, klagt die
Baugewerkschaft „Dev-Insaat-Is“ seit Monaten. Ständig würden diese
angetrieben, Überstunden seien an der Tagesordnung. Wer aufmuckt, bekäme
die Tür gezeigt. „Draußen“, so bekämen die Arbeiter gesagt, „warten
Millionen Arbeitslose, die den Job gerne hätten“.
Dieser Arbeitsdruck bleibt nicht ohne Folgen. Unfälle häufen sich, sagt ein
Gewerkschaftsvertreter. Nach Recherchen der Zeitung Cumhuriyet hat es
bisher fast 400 tödliche Unfälle auf der Baustelle oder bei der Anfahrt zu
dieser gegeben. Der Verkehrsminister bestreitet diese Zahl. Tatsächlich
seien 27 Arbeiter tödlich verunglückt, 13 davon direkt auf der Baustelle.
Eine Siedlung am Rand des Geländes ist streng abgeschirmt und von Zäunen
mit einer Stacheldrahtkrone umgeben. Besucher sind nicht willkommen, schon
gar nicht solche von der Presse. Niemand, der nicht dort wohnt, darf den
Wohnort der Bauarbeiter betreten, auch Gewerkschaftler nicht. Von den
35.000 Arbeitern, die auf der Großbaustelle beschäftigt sind, leben rund
15.000 in dieser Containersiedlung.
Dabei, berichtete der Vorsitzende der linken Bauarbeitergewerkschaft
Dev-Insaat-Is, Özgür Karabulut, vor einigen Tagen, seien die Verhältnisse
dort katastrophal. „Viele zu viele Menschen sind auf zu wenig Platz
zusammengepfercht. Die Unterkünfte sind verdreckt, es gibt zu wenig
sanitäre Einrichtungen“. Der Unfall eines Busses vor knapp zwei Wochen, der
Arbeiter zur Baustelle bringen sollte, war denn auch der Auslöser für einen
spontanen Ausstand. Tausende Arbeiter weigerten sich, ihre Schicht
anzutreten. Als vage Versprechungen der Geschäftsführung nicht fruchteten,
schickten die Chefs die Polizei, die resolut aufräumte. Mit Wasserwerfern
und Tränengas wurde eine Demonstration aufgelöst. Am nächsten Morgen nahm
die Polizei 540 angebliche Rädelsführer noch vor Arbeitsbeginn in ihren
Unterkünften fest.
Viele von ihnen sind tagelang festgehalten worden. Am Ende verhängte ein
Richter 20 Haftbefehle wegen der Verbreitung von Aufruhr und illegaler
Demonstration. Die anderen Arbeiter kamen unter Auflagen nach und nach
frei. „Es wurden keine Forderungen erfüllt, nichts hat sich verbessert. An
den Arbeitern auf der Flughafenbaustelle ist ein Exempel statuiert worden“,
sagt der Gewerkschafter Tezcan Acu dazu.
Dennoch ist es mehr als fraglich, ob der 29. Oktober als Tag für die
Eröffnung eingehalten werden kann. Möglich, dass es bei mehr oder weniger
Symbolik bleibt. Nach Informationen der Fachzeitschrift [1][Kokpit.aero]
wird der Flugbetrieb am alten Atatürk-Flughafen noch mindestens bis Ende
des Jahres weitergehen.
26 Sep 2018
## LINKS
[1] http://www.kokpit.aero/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
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Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt AfD
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