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# taz.de -- Brasilianer nach dem Museumsbrand: „Es ist ein Verbrechen“
> Das Budget des Nationalmuseums in Rio de Janeiro wurde zuletzt stark
> gekürzt, die Zeichen des Verfalls waren unübersehbar. Nun sind viele
> Brasilianer zornig.
Bild: „Sie verbrennen unsere Geschichte“: Das Nationalmuseum in Flammen
Rio de Janeiro ap | Nach dem Großbrand im brasilianischen Nationalmuseum
trauern die Menschen um das historische Gedächtnis des Landes, das
unwiederbringlich verloren ging. Das Museum beherbergte die größte Sammlung
historischer Artefakte in ganz Lateinamerika. Schätzungen zufolge könnten
90 Prozent von ihnen ein Raub der Flammen geworden sein. Doch die Menschen
trauern nicht nur, sie sind auch wütend.
Viele sehen im Zustand des 200 Jahre alten Gebäudes eine Metapher für das,
was sie als Demontage von Kultur und Leben in Brasilien betrachten, nach
Jahren von Korruption in Regierung und Behörden, wirtschaftlichem
Niedergang und schlechter Regierungsführung.
„Es ist ein Verbrechen, dass man es mit dem Museum so weit kommen lassen
hat“, sagt die 29-jährige Tanzlehrerin Laura Albuquerque, die am Montag mit
zahlreichen weiteren Menschen vor den Toren des ausgebrannten Gebäudes
protestiert. „Was passiert ist, ist nicht nur bedauerlich, es ist
verheerend, und Politiker sind dafür verantwortlich.“
Viele Menschen, Kommentatoren und sogar die Museumsdirektoren sagen, nach
jahrelanger Vernachlässigung durch die Regierung sei das Museum so
unterfinanziert gewesen, dass die Mitarbeiter die Hilfe von
Crowdfunding-Plattformen in Anspruch nehmen mussten, um Ausstellungen
weiter zeigen zu können – so geschehen etwa im Fall eines Raums mit einem
riesigen Dinosaurier-Skelett, der wegen Termitenbefalls geschlossen werden
musste.
Vizemuseumsdirektor Luiz Fernando Dias Duarte kritisierte die Behörden
scharf. Sie hätten das Museum finanziell ausgehungert, während sie
gleichzeitig als Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2014 das Geld für
die Stadien nur so hätten sprudeln lassen. „Das Geld, das für jedes
einzelne dieser Stadien ausgegeben wurde – ein Viertel davon wäre genug
gewesen, um dieses Museum sicher und strahlend zu machen“, sagt er in einem
Interview des brasilianischen Fernsehens vor der noch rauchenden Ruine.
## Ein Meteorit überstand das Feuer
Roberto Leher, Rektor der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, sagt, es
sei bekannt gewesen, dass das Gebäude brandgefährdet war und dringend
umfangreiche Reparaturen nötig gewesen seien. Vizedirektor Duarte sagt, er
habe wegen der Brandgefahr abends in seinem Büro stets alle Stecker aus den
Dosen gezogen.
In dem Gebäude, einst Residenz der Kaiserfamilie, waren umfangreiche
paläontologische, anthropologische und biologische Sammlungen
untergebracht. Dazu zählte ein „Luzia“ genannter Schädel, eines der
ältesten menschlichen Skelettteile, die jemals auf dem amerikanischen
Doppelkontinent gefunden wurden. Auch Stücke aus dem Besitz der
Kaiserfamilie, ein Gemälde des verstorbenen brasilianischen Malers Candido
Portinari, eine ägyptische Mumie und der größte jemals in Brasilien
gefundene Meteorit zählten zu den Ausstellungsstücken. Der Meteorit ist
eines von wenigen Objekten, die das Inferno überstanden haben.
Brasilien kämpft gegen eine seit zwei Jahren andauernde Rezession an. Im
Zuge der umfangreichsten Korruptionsermittlungen Lateinamerikas wurden
zuletzt Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes
hinter Gitter gebracht. Die politischen Gräben sind tief seit der
Amtsenthebung der früheren Präsidentin Dilma Rosseff 2016.
Vor dem Museum spielen die Protestierenden auf das Chaos unter den
Mächtigen an. „Dieses Feuer ist das, was brasilianische Politiker dem Volk
antun“, sagt die 35-jährige Geschichtslehrerin Rosana Hollanda unter
Tränen. „Sie verbrennen unsere Geschichte, und sie verbrennen unsere
Träume.“
## Keine funktionierenden Rauchmelder
Die Zeichen des Verfalls sind am Museum unübersehbar: die Umzäunung marode,
Risse im Gemäuer, der Rasen ungepflegt. Das Budget des Museums ging laut
dessen Sprecher Márcio Martins von umgerechnet rund 110 000 Euro im Jahr
2013 auf rund 70 000 Euro zurück. In diesem Jahr hätte es gegenüber 2017
eine Erhöhung geben sollen.
Erst kürzlich bekam das Museum die Zusage für eine Geldspritze in Höhe von
fast 4,3 Millionen Euro für eine geplante Renovierung, darunter eine
Verbesserung des Brandschutzsystems. „Welch eine Ironie. Das Geld ist jetzt
da, aber uns ist die Zeit davongelaufen“, sagt Museumsdirektor Alexander
Kellner.
In Brasilien wird im Oktober gewählt. Einige Kandidaten der Linken
bezeichneten das Feuer im Wahlkampf als ein Beispiel für die katastrophalen
Folgen der Haushaltskürzungen der Regierung des konservativen Präsidenten
Michel Temer. Die Budgetdaten zeigen aber, dass die Kürzungen des
Museumshaushalts bereits unter der vorherigen, linksgerichteten Regierung
begannen.
Die Arbeit der Feuerwehr wurde nach Angaben eines Sprechers behindert, weil
die zwei nächstgelegenen Hydranten nicht funktionierten. Die Einsatzkräfte
mussten Löschwasser per Lastwagen von einem nahe gelegenen See
herbeischaffen. Im Museum gab es Feuerlöscher. Ob es auch eine
Sprinkleranlage gab, war nicht klar. Sprinkler sind in Museen
problematisch, da sie Artefakte beschädigen können, wie Direktor Kellner
sagt. Vizedirektorin Cristiana Serejo erklärt, die Rauchmelder hätten nicht
funktioniert.
Der Zoologie-Doktorand Marcus Guidoti, der im Museum Insekten untersucht
hat, erklärt, die Vernachlässigung reiche Jahre zurück. „Auf dass uns dies
von der Ignoranz befreit, die Kultur, Wissenschaft und unsere nationale
Identität nicht wertschätzt“, schrieb er nach dem Brand auf Twitter.
4 Sep 2018
## AUTOREN
Peter Prengaman
Sarah DiLorenzo
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