# taz.de -- Entschädigung für Kolonialgräuel: Zeit der Zäune | |
> Maori aus Parihaka leisteten im 19. Jahrhundert gewaltfrei Widerstand. | |
> Sie wurden Opfer eines Genozids. Neuseeland bemüht sich um Versöhnung. | |
Bild: Das Maoridorf Parihaka im Winter. Im Hintergrund der Mount Taranaki | |
Der 9. Juni 2017 ist ein klarer, kalter Tag – tiefster Winter in | |
Neuseeland. Auf dem Mount Taranaki, einem Vulkankegel im Westen der | |
Nordinsel, liegt Schnee. An seinem Fuß, zwischen grünen Hügeln, Kuhweiden | |
und verstreuten Farmen, ruht das Maoridorf Parihaka. 135 Jahre haben die | |
Einwohner auf diesen historischen Tag gewartet. Hunderte von Menschen, | |
allen voran der Generalstaatsanwalt, machen der schlichten Siedlung ihre | |
Aufwartung, um eine offizielle Entschuldigung im Namen der Regierung und | |
der britischen Königin auszusprechen. Sie bekommen in einer Prozession | |
einen Hongi aufgedrückt, den sanften Nasenkuss. | |
Vor dem traditionellen Versammlungshaus, wo der Versöhnungsprozess samt | |
neun Millionen Neuseeland-Dollar Wiedergutmachung später am Tag besiegelt | |
wird, stehen singende Maorikinder. Sie halten aus Flachs geflochtene | |
Körbe. Darin liegen Taropflanzen zum Verteilen, als symbolische Geste – so | |
wie am 5. November im Jahre 1881, als die Kinder von Parihaka britischen | |
Soldaten Essen anboten. | |
Auch damals sangen sie tapfer, während ihre Häuser und Felder zerstört, | |
ihre unbewaffneten Väter und Onkel verschleppt und ihre Mütter und Tanten | |
vergewaltigt wurden. Der friedliche Protest gegen den Einmarsch in Parihaka | |
war der erste dokumentierte passive politische Widerstand auf der Welt – | |
und der schändlichste Tag in der stets als unblutig dargestellten | |
Kolonialgeschichte Neuseelands. Rund 500.000 der vier Millionen „Kiwis“ | |
sind Maori. | |
„Wir sind spirituelle Menschen“, sagt Maata Wharehoka neun Monate nach der | |
offiziellen Entschuldigung und legt die Gitarre beiseite, auf der sie | |
gerade ein Lied für die nächsten Feierlichkeiten übt. „Wir fühlen unsere | |
Vorfahren in uns. Ob ihnen vor zehn oder vor hundert Jahren unrecht getan | |
wurde, macht keinen Unterschied.“ | |
Die 67-Jährige ist die Matriarchin von Parihaka, eine stattliche Frau mit | |
kurzem grauen Haar und schwarzen Tätowierungen auf Lippen, Kinn, Gesicht | |
und Armen, warmherzig und einschüchternd zugleich. Maata ist Seele, Boss | |
und Übermutter – fünf eigene, 45 Pflegekinder, 15 Enkel. „Ich bin die, die | |
alle piesackt und antreibt“, sagt sie und grinst. | |
## Das Misstrauen bleibt groß | |
Das Wohnhaus der Wharehoka ist ein ausgebauter Schuppen, in dem Maata samt | |
Enkeln auf einem Matratzenlager schläft, trotz der Rückenschmerzen, die sie | |
seit einem schweren Unfall vor 17 Jahren hat. Ihr verstorbener Mann war ein | |
Kaitiaki, ein Wächter über seine Großfamilie und deren Traditionen, und | |
Maata eine junge Krankenschwester, die Dienst in der Taranaki-Region | |
machte. Die Ältesten beschlossen, dass sie die Richtige sei, ihm Kinder zu | |
gebären und das Zepter im Versammlungshaus zu übernehmen. Eine arrangierte | |
Ehe. Seit 33 Jahren gibt Maata die alten Bräuche weiter. | |
Sie erhebt sich vom Tisch und tritt vor die Tür. Dort liegen frische | |
Maiskolben und ein ungerupftes Huhn. Mit kräftigen Händen zupft sie ein | |
paar Federn heraus, „für die Tante“. Das Tier schmeißt sie wenige Schritte | |
weiter in den Fluss hinterm Haus. „Für die Aale.“ Die sind den Maori | |
heilig. Im Gebäude nebenan braut Maata, ganz Pionierin, selber Alkohol. | |
„Wir versuchen, die alten Bräuche am Leben zu halten. Ich versuche eine | |
Bestattungszeremonie durchzusetzen, damit die Knochen dem Land | |
zurückgegeben werden.“ Hahunga heißt dieses Ritual. Die Toten sind immer | |
präsent. | |
Maatas Sohn Te Akau ist samt Familie zu Besuch, denn morgen wird wie an | |
jedem 18. und 19. des Monats der beiden Maoripropheten gedacht, die diesen | |
Ort einzigartig gemacht haben: Te Whiti o Rongomai und Tohu Kakahi – | |
Sozialrevolutionäre und Visionäre, beide ihrer Zeit weit voraus. Der | |
27-jährige Te Akau, ein muskulöser Handwerker mit schwarzer Wollmütze, ist | |
mit den Namen dieser Männer aufgewachsen. Die Maorisprache spricht er | |
fließend wie die meisten hier. „Als Jugendlicher habe ich meine Herkunft | |
hinterfragt. Es war nicht immer leicht, in der weißen Welt da draußen ein | |
stolzer Maori zu sein.“ | |
Sein Vater nahm ihn als Kind mit zu Versammlungen im ganzen Land, wo über | |
die Unabhängigkeit der Maori, Entschädigung und Rassismus diskutiert wurde. | |
Te Akau lacht leise auf. „Niemals hätte ich gedacht, dass ich diesen Tag | |
der Wiedergutmachung erleben würde.“ Noch ist das Geld nicht da. Es kann | |
Jahre dauern, bis gemeinschaftlich geklärt ist, wofür die Auszahlung | |
verwendet wird. „Wir bewegen uns hier langsam. Das Misstrauen ist einfach | |
groß, und das Geld spielt nicht die wichtigste Rolle. Es kann niemals | |
wettmachen, was passiert ist.“ | |
## Ohne Waffen, ohne Sklaven, ohne Hierarchie | |
Die Geschichte, die Te Akau auswendig kennt wie andere Kinder | |
Gutenachtmärchen, ist in Büchern, Gedichten und Filmen erzählt worden. | |
Selbst in einem Rocksong von Tim Finn. Dennoch ist sie den meisten Menschen | |
im Lande so gut wie unbekannt. Zäune und Mauern spielen darin eine tragende | |
Rolle. | |
Das unscheinbare Parihaka, 40 Minuten von der Stadt New Plymouth entfernt | |
und von der Landstraße aus leicht zu übersehen, war Mitte des 19. | |
Jahrhunderts mit 3.000 Menschen die größte Maorisiedlung im Lande. Viele | |
pilgerten aus dem ganzen Land dorthin, um in einer besseren Gesellschaft zu | |
leben. Denn Te Whiti und Tohu, wie die beiden politischen Utopisten kurz | |
genannt werden, hatten eine Alternative sowohl zu den viktorianischen | |
Einwandererenklaven als auch zu den alten Stammesstrukturen erschaffen: ein | |
basisdemokratisches Dorf mit Gesundheitsversorgung, Bäckerei, florierender | |
Landwirtschaft – und einer bis dahin unerhörten Friedensbotschaft. | |
Abkömmlinge verschiedener Stämme lebten gemeinschaftlich ohne Waffen, ohne | |
Sklaven, ohne Blutrache und ohne Hierarchie. Jeder arbeitete auf den | |
Feldern oder in der Küche, auch die Propheten. „Niemand stand über den | |
anderen“, sagt Te Akau. Sein Name bedeutet „Ufer“. | |
Seit Monaten hatten Gesandte der britischen Kolonialmacht versucht, ohne | |
die Einwilligung der Ureinwohner Straßen durch das Gebiet zu bauen. Den | |
Siedlern wurde von der Regierung Land zugesprochen. Ihren neuen Besitz | |
umzäunten sie. In den Augen der Maori war das Landraub. Sie zerstörten die | |
Zäune. | |
Als die Spannungen sich verschärften, bauten die Maori Zäune, um sich | |
wiederum gegen eine Invasion zu wappnen und ihre Gemeinschaftsgärten zu | |
schützten. Die Siedler rissen die Zäune rund um Parihaka immer wieder ein. | |
Vieh entkam und zertrampelte die Felder– reine Zermürbungstaktik. Jedes Mal | |
hörten die Bewohner Parihakas auf Te Whiti und Tohu und bauten die Zäune | |
über Nacht wieder auf. Sie nahmen die biblische Losung „Schwerter zu | |
Pflugscharen“ wörtlich. Statt zu kämpfen, pflügten sie das Land, das die | |
Briten sich einverleibt hatten. Die Siedler wiederum banden die | |
Widerspenstigen an Pferde und zogen sie bis zur Bewusstlosigkeit über die | |
Äcker. | |
## Einfach verschleppt | |
In dem brutalen Klima hetzten die Zeitungen Neuseelands gegen die | |
„Barbaren“: „Keine Gnade zeigen“, forderte ein Leitartikel. „Lasst uns | |
einen Preis auf den Kopf eines jeden Rebellen setzen, und lasst sie uns | |
ohne Skrupel abschlachten. Wir dürfen sie nicht verschonen. Wir haben | |
versucht, diese Menschen zu zivilisieren …“ Mit solcher Hasspolemik | |
mobilisierte man Freiwillige, die sich den bewaffneten Polizeitruppen | |
anschlossen. An dem Tag, der bis heute auf dem Gewissen der südpazifischen | |
Nation lastet, kam es zu einem von oben autorisierten Einsatz, um „das | |
Hauptquartier des Fanatismus und der Widerspenstigkeit zu zerstören“. So | |
hieß es später im Bericht ans Parlament. | |
Die Maori saßen an jenem 5. November im Versammlungshaus von Parihaka | |
zusammen, als 1.500 mit Waffen und Munition behängte Kolonialisten in der | |
frühen Morgendämmerung in das Dorf einritten und einmarschierten. Statt auf | |
kriegerische Wilde zu stoßen, trafen sie jedoch auf die singenden, | |
tanzenden Frauen und Kinder, die Brotlaibe als Gabe an die Feinde gebacken | |
hatten. In ihrem Haar steckten weiße Albatrosfedern. Sie sind seitdem das | |
Wahrzeichen von Parihaka. Die Tatarakihi, „singende Zikaden“, wichen auch | |
nicht von der Stelle, als Pferdehufe ihnen Dreck ins Gesicht spritzten. | |
Dass an diesem Tag kein Blut floss, ist ihnen zu verdanken. Bewegungslos | |
ließen sich Te Whiti und Tohu abführen, als sie verhaftet wurden. Niemand | |
schrie oder klagte. | |
Dann begann die Zerstörung der Häuser. Brand, Plünderung, Gewalt. Was in | |
den Tagen und Jahren danach passierte, hat tiefe Spuren hinterlassen. Immer | |
wieder vergewaltigten Soldaten und Siedler die Frauen von Parihaka. Die | |
Kinder, die daraus entstanden und oft hellhäutiger waren, litten ein Leben | |
lang unter dem Stigma, genau wie die missbrauchten Frauen. Im Fluss gibt es | |
einen Felsen, an dem die Opfer sich festhielten, um ihre Körper rituell | |
reinzuwaschen. | |
Die Kolonialregierung verabschiedete ein Gesetz, wonach die renitenten | |
Rebellen – die nichts anderes getan hatten, als zu pflügen und Zäune zu | |
errichten – ohne Gerichtsverfahren auf die Südinsel verschleppt werden | |
konnten. Hunderte von Männern aus Parihaka begannen so ihre Odyssee durch | |
düstere Gefängnisse. Als Zwangsarbeiter mussten sie Straßen bauen und | |
Mauern aus schwerem Geröll, die bis heute stehen. Viele von ihnen wurden | |
vorübergehend in einer Höhle im Fels statt im Gefängnis der Stadt Dunedin | |
eingekerkert, während sie tagtäglich schwere Steine schleppten. Die Maori | |
aus der Gegend steckten ihnen Essensrationen zu. Dennoch starben 21 von | |
ihnen unter der Strapaze. Ein Gedenkstein erinnert dort heute an die Opfer. | |
## 137 Jahre Kolonialisierung | |
In Parihaka waren inzwischen alle vertrieben worden, die nicht aus der | |
Region stammten. Viele endeten als Heimatlose in anderen Stammesgebieten. | |
Tohu und Te Whiti, die beiden Propheten, kamen ohne Verfahren ins Gefängnis | |
und dann unter Hausarrest. Zwei Jahre später kehrten sie zurück ins | |
desolate Parihaka. Als die beiden „Vögel des Wissens“ kurz hintereinander | |
1907 starben, begann der Verfall ihrer Gemeinde. | |
Die Wunden und die Zerrüttung waren zu groß – und das Kolonialland | |
rassistisch und ausbeuterisch. Die damalige Regierung hatte kein Interesse | |
daran, dass die Taten in Parihaka ans Licht kamen. Das bewältigte erst 1996 | |
eine staatliche Aufklärungskommission. Die stellte fest, dass in Parihaka | |
ein Genozid geschehen sei. | |
Te Whiti wurde vor seinem Haus unter einem Monument beigesetzt. Der bärtige | |
Hutträger, der sich weder zeichnen noch fotografieren ließ, war zusammen | |
mit Tohu der Urvater aller Friedensbewegungen und Sit-ins – lange vor | |
Martin Luther King, Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi. Letzterer erfuhr | |
von den beiden durch eine irische Delegation, die Parihaka besucht hatte, | |
was ihn angeblich weiter auf seiner Mission bestärkte. Doch im Gegensatz zu | |
dem berühmtesten Inder und den schwarzen Bürgerrechtlern sind die | |
„Maori-Gandhis“ weltweit so gut wie unbekannt. Maatas Sohn Te Akau hat eine | |
Erklärung dafür. „Viele aus der älteren Generation von uns fühlen noch die | |
Schande dieser Zerstörung und Abwertung. Sie sind gebrannte Kinder und | |
wollen keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Daher werben wir nicht für die | |
Geburtsstätte des Friedens hier in Aotearoa.“ Das ist der offizielle zweite | |
Name für Neuseeland, den nicht nur Maori verwenden. | |
Kein Wegweiser, keine Schautafel, kein Museum oder Infocenter lockt | |
Besucher von der Hauptstraße nach Parihaka. Nicht mal auf Google Maps ist | |
es verzeichnet. Heute schützt Wellblech den Gemeinschaftsgarten vor dem | |
Milchvieh. Die Zeit der Zäune ist vorbei. Feijoa- und Apfelbäume wachsen | |
dort, jeder hilft reihum mit. Vor ein paar Jahren versuchte Maata | |
Wharehoka, Touren mit Übernachtungen zu organisieren, doch das | |
Geschäftsmodell verlief im Sande. | |
Dennoch kommen immer wieder Schulklassen, religiöse Gruppen wie die Quäker, | |
linke Aktivisten oder Friedensforscher in das Dorf mit seiner Handvoll | |
Häuser – drei davon traditionelle Marae für Versammlungen. 2006 gab es das | |
erste Peace-Festival mit Musikern aus der ganzen Welt. „Wir hatten schon | |
die Hare Krishnas mit ihren Ochsen hier und Katholiken mit heiligem Wasser. | |
Die Bahai, die Muslime. Manche träumen von uns und kommen dann.“ Maata | |
steckt sich Federn in die Haare. „Die Menschen, die nicht mit unseren | |
Schmerzen aufgewachsen sind, sehen uns immer nur als positive Geschichte.“ | |
Was ist denn ihre Geschichte? Sie seufzt und greift nach einem Umhängetuch. | |
„Das ist zu groß. Es ist ja nicht nur der eine Moment in der Geschichte, | |
sondern die 137 Jahre Kolonialisierung und seitdem. Und die Vereinnahmung | |
durch Missionare. Wo soll man da anfangen?“ | |
## Essen für alle | |
Es ist der Morgen des 18. Februar, ein Sonntag, aber niemand geht zum | |
Gottesdienst. Dieser Tag dient dem Propheten. Eine Delegation von | |
anglikanischen Pfarrern hat sich angemeldet, ein Beamter der | |
Regionalverwaltung, eine irische Theaterautorin und eine amerikanische | |
Psychotherapeutin, die generationenübergreifende Traumata erforscht. Sie | |
stehen vor dem Versammlungshaus. | |
Maata, der weibliche Häuptling, ist in ihrer traditionellen Rolle. Sie | |
begrüßt die Ankömmlinge mit Klagelauten und Gesang und lässt die Hände | |
dabei wie Vögel flattern. Dann müssen die Besucher sich einzeln mit einer | |
kurzen Rede vorstellen, Frauen in der zweiten Reihe. Auf einer Tafel hat | |
Maata die Punkte festgehalten, die heute besprochen werden. Es geht auch um | |
neue Konflikte, gegen die die Bewohner des Dorfes Parihaka sich zur Wehr | |
setzen: Ölbohrungen vor der Küste der Region Taranaki. | |
Es gibt Essen für alle an langen Tischen. Huhn, Kartoffeln, Salate. Maatas | |
Kinder standen seit morgens in der Küche. Jeder packt an, das ist die | |
Philosophie Parihakas. Und jeder Gast legt ein Koha, eine Geldgabe, auf den | |
Teller. | |
Die Feierlichkeiten gehen am Nachmittag im Nachbarhaus weiter, bei Ruakere | |
Hond, der sich seit Jahren für die Wiederbelebung der indigenen Sprache | |
einsetzt. Seine Vorfahren, sagt er, waren keine frühzeitigen | |
Flower-Power-Hippies, sondern nach wie vor Krieger. „Friedlicher Widerstand | |
war ihr letzter Ausweg – reine Taktik. Sie wussten, dass sie sonst | |
ausradiert würden.“ | |
## Te Haeata“ – neue Morgendämmerung | |
Seine Großmutter kannte ihren Vater nicht. Er war ein britischer Soldat. | |
„Ja, sie ist eine von denen“, sagt Hond. „Sie hat nie darüber gesprochen. | |
Es ist komplex.“ Reden konnten die Frauen über das Trauma nicht. Aber | |
singen. Es gibt einen überlieferten Poi, einen Tanz mit Gesang, der das | |
Leiden einer der Vergewaltigten erzählt. Die Krankheiten, die sie danach | |
bekam, die Kinder, die sie deshalb nicht mehr gebar, der Mann, der sie | |
verstieß. All der Schmerz, die Schande. „Ohne dieses überlieferte Lied“, | |
sagt Hond, „hätten wir wohl niemals eine offizielle Entschuldigung in Bezug | |
auf die Verbrechen an den Frauen erhalten.“ | |
400 Wörter war die Erklärung der Regierung lang. Sie trägt einen Namen: „Te | |
Haeata“ – neue Morgendämmerung. Am Nachmittag des 9. Juni 2017, als alle | |
Festlichkeiten auf dem Marae zu Ende gingen, traten die Besucher ins Freie. | |
Vor ihnen stand eine Gruppe der Frauen Parihakas. Sie hatten jenen | |
speziellen Poi, den Tanz der Vergewaltigten einstudiert. Als sie ihre | |
Hüften wiegten und weiße Kugeln an Schnüren dazu wirbelten, setzte ein | |
Nieselregen ein. Nicht nur der Himmel weinte sanft. Auch die Zuschauer. | |
Die Tänzerinnen trugen Trauerkränze aus Blättern. Am Ende ließ sich jede | |
von einem Mann, dem sie vertraute – einem Bruder, einem Ehemann – ,das | |
Geflecht vom Kopf nehmen. Die Kränze warfen sie in den Fluss, in den Maata | |
ihr Huhn entsorgt hatte. Das war das letzte Ritual, um die Trauer | |
symbolisch wegzuspülen. Es war vorbei. | |
15 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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