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# taz.de -- Linken-Abgeordnete über Meşale Tolu: „Keine Anzeichen für Ents…
> Meşale Tolu darf aus der Türkei ausreisen. Heike Hänsel ist
> Prozessbeobachterin und vermutet dahinter den bevorstehenden Besuch von
> Staatspräsident Erdoğan.
Bild: Meşale Tolu und ihr Mann Suat Çorlu im April 2018 im Istanbuler Gericht
Anfang der Woche wurde das Ausreiseverbot für die deutsche Journalistin und
Übersetzerin [1][Meşale Tolu aufgehoben], die nun am Sonntag zurück in ihre
Heimatstadt Ulm reisen will. Tolu war vergangenes Jahr am 30. April 2017
bei einer Razzia in ihrer Istanbuler Wohnung verhaftet worden. Die
türkische Justiz wirft ihr Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer
Terrororganisation vor. Nach sieben Monaten Untersuchungshaft, bei der sie
anfänglich ihren dreijährigen Sohn dabei hatte, wurde Tolu Ende Dezember
aus der Haft entlassen. Die türkische Justiz verhängte allerdings ein
Ausreiseverbot.
Mit der Linken-Abgeordneten Heike Hänsel, die als Prozessbeobachterin aus
Deutschland den Fall von Meşale Tolu von Anfang an begleitet hat, haben wir
über die Aufhebung des Ausreiseverbots gesprochen.
taz: Frau Hänsel, in einem [2][Statement auf Ihrer Homepage] steht, dass
Sie hinter der Aufhebung des Ausreiseverbots für Meşale Tolu den
bevorstehenden Besuch des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan in
Deutschland vermuten. Versucht die Türkei, die diplomatischen Wogen mit
Deutschland zu glätten?
Ich denke, das liegt sehr nahe. Die Aufhebung des Ausreiseverbots kam jetzt
recht überraschend. Meşale Tolu hat über ihren Anwalt mehrfach gegen das
Ausreiseverbot Widerspruch eingelegt, der jedes Mal abgelehnt wurde. Jetzt
hat der zuständige Richter ohne Angabe von Gründen diesem stattgegeben,
obwohl der Staatsanwalt dafür plädiert hatte, das Ausreiseverbot weiter
aufrechtzuerhalten. Ich finde, dass es sehr in die zeitliche Nähe des
Besuchs von Staatspräsident Erdoğan fällt und man da durchaus einen
Zusammenhang herstellen kann.
Welche Auswirkungen wird die Ausreiserlaubnis von Meşale Tolu auf die
deutsch-türkischen Beziehungen haben?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Bundesregierung dieses Zeichen dafür
verwenden möchte, um zu einer Normalisierung der Beziehungen zu kommen. Ich
halte das für einen völlig verfehlten Zeitpunkt. Man muss zusehen, dass
unschuldige türkische oder wie in diesem Fall deutsche Staatsbürger in der
Türkei nicht unter fadenscheinigen Begründungen verhaftet werden.
Meşale Tolu ist aufgrund einer konstruierten Anklage, in der jegliche
Beweise fehlen, inhaftiert worden. Sie war meines Erachtens eine politische
Geisel des Erdoğan-Regimes, so wie die anderen derzeit inhaftierten
deutschen Staatsbürger auch. Es ist völlig selbstverständlich, dass diese
Geiseln endlich freikommen, da darf es keinen Deal geben. Es kann doch
nicht sein, dass die Bundesregierung auch noch dankbar sein soll dafür,
dass ihre Staatsbürger*innen, die unrechtmäßig festgehalten werden, endlich
freikommen.
In der Türkei sind derzeit sieben weitere deutsche Staatsbürger*innen aus
politischen Gründen inhaftiert, darunter auch Adil Demirci, der wie Meşale
Tolu für die linke Nachrichtenplattform Etha tätig war. Könnte sich die
Ausreiseerlaubnis von Meşale Tolu positiv auf den Fall von Demirci oder
auch in den anderen Fällen auswirken?
Ich hoffe, dass auch alle anderen deutschen Staatsbürger möglichst schnell
freigelassen werden. Das betrifft im Übrigen auch Suat Çorlu, den Mann von
Meşale Tolu, auch wenn er nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Es
ist wichtig, dass auch sein Ausreiseverbot endlich aufgehoben wird. Sonst
herrscht wieder dieselbe Situation, dass die Familie getrennt ist. Ich
hoffe auf eine weitere positive Entwicklung, sodass auch Suat Çorlu
ausreisen und die Familie vereint in Deutschland zusammenleben kann.
Sie stehen in Kontakt zu Meşale Tolu. Wie sehen ihre Pläne nach der
Rückkehr nach Deutschland aus?
Sie wird erst einmal in Ulm bleiben, dort hat sie auch einen Kitaplatz für
ihren Sohn. Sie wünscht sich, dass ein wenig Normalität in ihr Leben
einkehrt, das vor anderthalb Jahren völlig auf den Kopf gestellt wurde. Sie
war mit ihrem Sohn im Gefängnis, der auch die Festnahme seiner Mutter
miterleben musste, als die Polizei schwer bewaffnet in die Wohnung
eingedrungen ist. Da gibt es sehr viel zu verarbeiten.
Die angespannten deutsch-türkischen Beziehungen scheinen sich mit der
türkischen Währungskrise langsam wieder zu entspannen. Welche Haltung und
konkrete Maßnahmen erwarten Sie von der Bundesregierung in Bezug auf die
Türkei?
Ich sehe nach wie vor keine Anzeichen für Entspannung. Mehr als 150
Medienschaffende sitzen im Gefängnis, dazu kommen viele oppositionelle
Politiker und Aktivisten. Es gibt eine Säuberung des Justizsystems im Sinne
des Staatspräsidenten. Die Besetzung von Afrin im Norden von Syrien durch
die türkische Armee hält an, und auch die ständigen Angriffe auf die
kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei und im Norden des Irak. Das
Präsidialsystem mit seinen diktatorischen Zügen stellt eine Art des
Ausnahmezustands dar.
Die Bundesregierung muss gerade jetzt den Druck auf die türkische Regierung
erhöhen. Alle politischen Gefangenen müssen freikommen, die Türkei muss zum
Rechtsstaat zurückkehren. Die politische Opposition darf nicht länger
systematisch unterdrückt und verfolgt werden. Deshalb darf es jetzt keine
Finanzhilfen geben, wie sie aktuell von der Bundesregierung ins Spiel
gebracht wurden, sondern ein sofortiger Stopp der Waffenexporte in die
Türkei, keine militärische und geheimdienstliche Kooperationen mit der
Türkei, sowie ein vollständiges Aussetzen der Hermes-Bürgschaften. Wir
können nicht mit nur einer positiven Entwicklung – wie der Ausreise von
Meşale Tolu – zurück zur Tagesordnung kehren. Es ist nicht die Zeit für
eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei.
Werden Sie dabei sein, wenn Meşale Tolu am Sonntag nach Deutschland kommt?
Ich kann leider nicht dabei sein, aber Kolleginnen und Kollegen von mir
werden vor Ort sein. Ich freue mich, dass Meşale Tolu wieder in ihre
schwäbische Heimat Ulm zurückkehrt und werde sie sobald wie möglich dort
besuchen.
Der Prozess gegen Meşale Tolu wird am 16. Oktober fortgesetzt, erwarten Sie
ein Urteil?
Ich gehe nicht davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt ein Urteil gefällt wird.
Aber ich werde als Prozessbeobachterin weiterhin vor Ort sein und mich für
die Forderung stark machen, dass dieses Verfahren endlich eingestellt wird.
25 Aug 2018
## LINKS
[1] /!5529039
[2] https://www.heike-haensel.de/2018/08/20/aufhebung-des-ausreiseverbots-fuer-…
## AUTOREN
Canset Içpınar
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Pressefreiheit in der Türkei
Mesale Tolu
Recep Tayyip Erdoğan
Deutsch-Türkische Beziehungen
Mesale Tolu
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