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# taz.de -- Yücel-Anwalt über Schadenersatzklage: „Ein Präzedenzfall“
> Deniz Yücel hat die türkische Regierung wegen „unrechtmäßiger
> Inhaftierung“ aud Schadenersatz verklagt. Sein Anwalt Veysel Ok erklärt
> die Gründe.
Bild: Veysel Ok, seine Kollegen und viele andere finden, dass das die Schadener…
Taz: Herr Ok, In der letzten Woche sorgte ein Tweet der türkischen Sektion
von Reporter ohne Grenzen in Deutschland für Furore. In dem Tweet stand,
dass unser ehemaliger taz-Kollege [1][Deniz Yücel gegen die türkische
Regierung klagt – und zwar auf Entschädigung] von etwa 380.000 Euro für
seine unrechtmäßige Haft. Als wir uns für dieses Interview verabredeten,
waren Sie etwas verblüfft, dass diese Nachricht so eingeschlagen hat.
Veysel Ok: Ja, ich bin sehr erstaunt gewesen, weil wir dieses Verfahren ja
schon vor Monaten eingereicht haben. Das hat nur keiner mitbekommen.
Wahrscheinlich musste es erst Erol Önderoğlu, der Vertreter von Reporter
ohne Grenzen, twittern, damit die Nachricht Wellen schlägt.
Wie haben die türkischsprachigen Medien diese Nachricht aufgefasst?
In den türkischen Medien, zumindest bei den unabhängigen, hat die Nachricht
auch eingeschlagen. Viele der Journalisten, viele meiner Kollegen, aber
auch Politiker in der Türkei und in Europa sind der Auffassung, dass das
der richtige Schritt ist und dass eine Tür geöffnet wurde.
Was wollen Sie denn mit der Eröffnung dieses Verfahrens erreichen?
Seit einem Jahr sagen wir als seine Anwälte, dass die Inhaftierung von
Deniz ungesetzlich ist und sie allein auf politischen Motiven gründet. 10
Monate seiner einjährigen Haftzeit hat er in Einzelhaft verbracht. Ein
weiterer Grund für die Klage ist, dass dieses ungesetzliche Vorgehen
dokumentiert wird und wenn nötig, die Verantwortlichen zur Rechenschaft
gezogen werden. Wenn der Staat oder die Regierung einen Fehler begehen oder
vorsätzlich einen Journalisten seinem Alltag, seinem Beruf, seiner Familie
und seinen Freunden entreißen, dann muss der Staat für diese
Unrechtmäßigkeit auch bezahlen. Natürlich kann eine Geldsumme niemals eine
entsprechende Entschädigung sein, aber es ist schon mal ein Schritt in die
richtige Richtung.
Wie setzt sich die Entschädigungssumme zusammen?
Neben dem seelischen Schaden, den solch eine Inhaftierung nach sich zieht,
konnte Deniz ein Jahr lang nicht arbeiten. Der türkischen Regierung haben
seine Texte nicht gepasst, und allein deshalb wurde er inhaftiert. Dieses
ungesetzliche Verhalten des Staates muss in einer Entschädigung und somit
in einer Rehabilitation für meinen Mandanten enden, dafür ist dieses
Verfahren Mittel zum Zweck. Für die Zeit seiner Inhaftierung erhält Deniz
Yücel 250.000 türkische Lira, 1.000.000 türkische Lira für die grundlose
Verhaftung und 1.740.000 türkische Lira für die Gerichtskosten.
Wann erwarten Sie ein Urteil?
Deniz hat ja ein weiteres Verfahren anhängig, wegen „Terrorpropaganda“.
[2][Der erste Gerichtstermin war dafür im Juni, für Dezember ist der zweite
Termin festgesetzt.] Wahrscheinlich wird erst diese Entscheidung
abgewartet, bevor ein Urteil im Entschädigungsverfahren gesprochen wird.
Neben Ihrer Arbeit als Medienanwalt haben Sie die „Media and Law Studies
Association“ in Istanbul gegründet. Mit dieser Organisation unterstützen
Sie die Belange inhaftierter Journalist*innen. Könnte diese
Entschädigungsklage, die – soweit ich sehe – einzigartig ist, für die
anderen Journalist*innen als Beispiel dienen?
Klar. Ich weiß im Moment auch nicht, ob es schon andere Fälle gegeben hat.
Derzeit unterstützen wir als Verein elf inhaftierte Journalisten. Wir
denken, dass wir mit Deniz’ Fall auch eine Tür für die anderen öffnen
konnten.
Als Medienanwalt sind Sie auch oft Ziel der regierungsnahen Medien.
[3][Wegen eines Interviews, das Sie 2016 gaben, mussten Sie zum ersten Mal]
in Ihrer beruflichen Laufbahn im Juni diesen Jahres vor Gericht erscheinen.
Wie gehen Sie mit diesen Vorwürfen und Angriffen um?
Auch schon vor dem Militärputsch im Juni 2016 habe ich Journalistinnen und
Journalisten vor Gericht vertreten. Ich arbeite seit über 10 Jahren vor
allem im Bereich Meinungsfreiheit. Viele der Inhaftierten sind meine
Freunde. Dass sie im Gefängnis sind, trifft mich natürlich. Das, was sie an
Ungesetzlichem erleben, kriege ich aus erster Hand erzählt und bin Zeuge
und stehe auf ihrer Seite. Weil ich Journalisten verteidige, musste ich vor
Gericht erscheinen. Und weil ich in dem Interview bemerkte, dass ich nicht
an die Unabhängigkeit der Gerichte glaube, wurde ich verklagt. Der Richter,
der das Verfahren leiten sollte, hat nach neun Monaten wegen Befangenheit
das Handtuch geworfen. Über dem größten Friedhof von Istanbul steht der
Spruch: „Jedes Lebewesen wird den Tod erfahren“. Umgemünzt auf unsere
Situation würde das bedeuten: Jeder, der sich in der Türkei für die
Freiheit des Wortes und die Unabhängigkeit der Gerichte einsetzt, wird
früher oder später Bekanntschaft mit dem Justizapparat machen.
4 Sep 2018
## LINKS
[1] /Tweet-von-Reporter-ohne-Grenzen/!5532388
[2] /Prozessbeginn-gegen-Deniz-Yuecel/!5516880
[3] /Yuecel-Anwalt-ueber-seinen-Prozess/!5504320
## AUTOREN
Ebru Tasdemir
## TAGS
Schwerpunkt Deniz Yücel
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Türkei
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