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# taz.de -- Kolumne Globetrotter: Postkolonialismus tief eingeprägt
> Sollen Araber bei McDonald’s essen und dürfen Latinas Donald Trump
> unterstützen? Französische Schulbücher sind heute besser als früher.
Bild: Unterstützenswert?
Kürzlich zeigte das Berliner Wolf Kino Kurzfilme des US-amerikanischen
Fotografen und Filmemachers Jem Cohen, die dem Genre des experimentellen
Dokumentarfilms zuzurechnen sind. Cohen war persönlich anwesend,
kommentierte sein Werk während der Pausen und stellte sich den Fragen des
circa 50-köpfigen Publikums. Mein persönlicher Lieblingsfilm des Abends
zeigte einen Schlagzeuger und eine Saxofonistin, die miteinander
improvisierten. Die Musik war grandios, die Bilder dazu waren relativ
monoton: Nahaufnahmen der jeweils zu hörenden Interpret*innen.
Ein anderer Film bestand aus Material, das Cohen in Washington am Tag von
Trumps Amtseinführung gedreht hat. Er dokumentierte in langen Einstellungen
den Protest gegen Trump und konterkarierte die Sequenzen – wenig
überraschend – mit Aufnahmen von seiner Anhängerschaft. In der
anschließenden Diskussion wunderte sich das Publikum darüber, wie jung die
gezeigten Trump-Fans waren und wie vielfältig, was ihre ethnischen
Hintergründe angeht: Es waren Menschen aller Hautfarben.
Zugegeben, so etwas wie „Latinas For Trump“ ist schon absurd. Doch da
erinnerte ich mich an einen Spruch, den ich vor 15 Jahren in Frankreich
gehört habe, als die USA gerade ihre Truppen in den Irak schickten. Der
ging so: „Ich verstehe nicht, wie Araber jetzt noch bei McDonald’s essen
können.“ Ich dachte mir damals: Wieso müssen sich französische
Araber*innen zum Irakkrieg anders positionieren als der Rest unserer
Gesellschaft? Als müssten sie einen homogenen Block bilden, obwohl sie
keiner sind? Und seit wann soll McDonald’s eigentlich nicht mehr
grundsätzlich boykottiert werden?
## Das sollen die mal schön unter sich ausmachen
Der Junge, der das sagte, hielt sich bestimmt für einen offenen, dem
Frieden zugeneigten Bürger. Doch seine Worte offenbarten eine
passiv-aggressive Haltung gegenüber dem arabischen Teil der Bevölkerung: Er
verallgemeinerte sie, grenzte sie aus. Die sollen das mal schön unter sich
ausmachen.
Hätte ich ihn damals damit konfrontiert, seine Reaktion, „Ich, ein Rassist?
Niemals!“, hätte sicher nicht lange auf sich warten lassen. Da hat sich bis
heute wenig geändert, wie gerade die #MeTwo-Debatte deutlich gemacht hat.
Es ist immer einfacher, über andere zu urteilen, als sich selbst als Teil
des Ganzen zu verstehen. Das liegt nicht zwingend in der Natur des Menschen
– ich glaube eher, dass wir dazu erzogen werden.
Nur so ein Beispiel aus meiner Biografie: Während meiner gesamten Schulzeit
in Frankreich habe ich so gut wie nichts über die französische Kolonialzeit
gelernt, außer dass es sie gab. In dem Geschichtsbuch meines Abi-Jahres
waren ihr gerade mal zwei Seiten gewidmet, obwohl sie über vier
Jahrhunderte dauerte. Den Algerienkrieg kommentierte meine Lehrerin lapidar
so: „Wie in jeder Liebesgeschichte gehört Streit dazu.“
## Postkoloniale Identität
Genau wie Frankreich hatte auch Deutschland Kolonien, doch was wissen wir
darüber, wie tief sich der kolonialistische Gedanke in unsere postkoloniale
Identität eingeprägt hat und das Miteinander weiterhin vergiftet?
Vor ein paar Jahren war ich in einer französischen Buchhandlung, hatte
etwas Zeit totzuschlagen und geriet zufällig in der Schulbuchabteilung, wo
ich im aktuellen Lehrmaterial blätterte. Mit Freude stellte ich fest, dass
der Kolonialzeit mittlerweile ein beachtlich dickes Kapitel gewidmet wird.
In die Gegenwart des Kinosaals zurück holte mich der nächste, gerade
angefangene Kurzfilm, eine meditative Montage aus Nahaufnahmen von New
Yorker*innen im Regen. Auch wenn es um einiges einfacher ist, einen
Experimentalfilm zu entziffern, als die eigene postkoloniale Identität: Man
muss sich ein wenig zurücknehmen, offen bleiben, zuhören, hinschauen, und
sich angesprochen fühlen.
23 Aug 2018
## AUTOREN
Elise Graton
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Algerien
Donald Trump
Kolonialismus
Postkolonialismus
Postkolonialismus
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Jemen Bürgerkrieg
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