# taz.de -- Gedanken in der Waschanlage: Zisch, plisch, geil | |
> Ein Hauch von Wildwasserbahn, Kontrollverlust und Kindheitserinnerungen. | |
> Mit dem Mietwagen durch die Waschstraße. | |
Bild: Die drehen sich ja ganz schön schnell, die kommen ja ganz schön nah… | |
Als Erstes hebst du ab. Ein kleines Stück bloß, aber was soll’s – in einer | |
Waschstraße geht’s ums Gefühl: Fremde Kräfte heben dich an, in deinem | |
Renault oder Fiat Punto. Deinem Mietwagen von DriveNow. Den Motor hast du | |
ausgeschaltet, die Kontrolle längst abgegeben, weil, ach, Kontrollverlust | |
eben schön ist; du sitzt auf deinem Ledersitz, die Fenster verschmiert, die | |
Windschutzscheibe mit toten Fliegen gesäumt, und denkst: Nach einer Runde | |
sind wir hiermit doch bitte nicht fertig? | |
Dann steckst du im Schacht. Umkehr ausgeschlossen, der Aktivschaum rinnt | |
und hüllt dein Auto in tropfendes Weiß. Ein Hauch von Wildwasserbahn, | |
zisch, plisch, geil. Oder? Lieber nicht den Geräuschen lauschen, | |
ratterratter, oder auf die Seitenbürsten starren wie damals als Kind auf | |
der Rückbank: Die drehten sich ja ganz schön schnell. Die kamen ja ganz | |
schön nah. Konnten denen Arme wachsen? Wie halten Scheiben dem Druck | |
überhaupt stand? | |
Apropos „Druck“, denkst du vielleicht, so neben deinem Schaltknüppel – u… | |
drehst Under Pressure auf, damit David Bowie lauter wird als die Warntöne | |
deines Pkw es sein können. Damit du überhörst, dass es beim | |
„Rundum“-Programm mit Felgen- und Unterbodenwäsche irgendwann so klingt, | |
als würden die Räder eines Flugzeugs ausgefahren. | |
Einfach, damit du ein bisschen mit dir und mit Bowie bist. Und wo sollte | |
das besser gehen als zwischen Hochdruckstrahlern und künstlichen Kaskaden, | |
die dir – blau und rot beleuchtet – aufs Dach stürzen? | |
Vielleicht hast du 15,40 Euro für die „Hochglanz-Wäsche“ gezahlt. Soll | |
heißen: in deine Zeit investiert – zum Sinnieren, die Fragen hören ja | |
diesen Sommer nicht auf. Was wird jetzt aus Özil? Was aus dem Brexit? Wie | |
heiß wird der Juli noch? Und dann: Wie wäre es, wenn dieses Video, in dem | |
eine Schwedin 14 Minuten lang, im Flugzeug stehend, die Abschiebung eines | |
52-jährigen Afghanen verhindert, verpflichtendes Unterrichtsmaterial wird? | |
Why can ’t we give love, give love, give love, give love? | |
Stetig rollst du weiter, durch Dampf und Wachs und Chemie. Vorbei an Kabeln | |
und Kacheln, mitten in die Dunkelheit rein. Bürsten vorne, Bürsten hinten. | |
Dein Auto wird jetzt von Stofffetzen gestreichelt, von Nylon und Polyester | |
umsorgt. Dein Lenker gibt sich unabhängig wie ein Großstädter; fass mich | |
nicht an!, er kommt alleine zurecht. Wenn die Bürsten schließlich vom Wagen | |
lassen, sich vor dir öffnen wie ein Vorhang im Theater – und du dich | |
fragst, was jetzt noch kommen mag, splish, splash, „car wash“, echter | |
Tankstellen-Thrill: Dann schickt dir die Waschanlage garantiert eine | |
Bürste, mit der du nicht mehr gerechnet hast. | |
Und das, obwohl das Finale dem Gebläse gehört. Bevor du Abschied nehmen | |
musst, schiebt das Gerät dir die Tropfen nach oben, deine Windschutzscheibe | |
hoch – so, als trockne es Tränen. Kurz wirkt dein Auto wie ein | |
selbstmitleidiger Mann, der nur hinter verschlossenen Türen weinen kann; | |
aber dort, immerhin, vorm Gebläse. Es ist das retardierende Moment: Die | |
Schwerkraft scheint egal. Das Blech und die Maschine könnten sich ein | |
letztes Mal finden. | |
Gebläse und Auto tauschen Zärtlichkeiten aus, es ist so schön mit dir, | |
bitte bleib! Dann aber geht das eine oder das andere, ist hinterher meist | |
schwer zu sagen. Die Tür öffnet sich, Adieu, Aral. Prompt ist es hell und | |
die Welt wieder die alte. | |
28 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Seubert | |
## TAGS | |
Auto | |
Kindheit | |
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