| # taz.de -- Helene Fischer als Phänomen: Alles für euch, meine Lieben | |
| > Helene Fischer füllt riesige Stadien. Ihre Show funktioniert nach dem | |
| > „Wetten-dass“-Prinzip: Keiner soll den Anschluss verlieren. | |
| Bild: Nie wird Deutschland Kylie Minogue näher kommen als mit dieser Frau | |
| Helene Fischer braucht Wind, damit sie wie Helene Fischer aussieht. Wind, | |
| der ihr die Haare zur Seite fegt, als ritte sie, als flöge sie durch diesen | |
| Abend. Ein Abend, an dessen Ende 41.000 Menschen im Taumel der | |
| Glückseligkeit nach Hause schweben werden, kurz davor, den Boden | |
| abzulecken, auf dem sie gewandelt ist. | |
| Helene Fischer singt Schlager und unbedenklichen Deutsch-Pop, hat sich mit | |
| ihrem Hit „Atemlos“ auch in die Köpfe schlagerferner Menschen eingebrannt | |
| und gilt als eine der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen aller Zeiten. | |
| Jetzt hat sie mit ihrer Stadion-Tournee „Spürst du das?“ an zwei Tagen | |
| hintereinander das Hamburger Volksparkstadion fast ausverkauft, 70.000 | |
| Menschen sind gekommen. | |
| Nur wenige Sekunden steht Fischer auf der Bühne, ihr Bild ist auf die | |
| riesige Leinwand projiziert, sie sieht mit ihren halblangen, blond | |
| gefärbten Haaren aus wie eine hübsche Mallorca-Urlauberin. Dann tritt die | |
| Windmaschine in den Dienst und pustet ihr die Luft ans Haupt, die aus der | |
| Frau, die als Vierjährige mit ihren Eltern aus Sibirien nach Deutschland | |
| kam, jenes Phänomen macht, das Menschen aus der Mitte dieser Gesellschaft | |
| auffängt und zu glückseligen Jüngern werden lässt – wie eine gütige | |
| Jagdgöttin. | |
| Schon auf dem Weg zum Konzert tragen die Fans ihre Hingabe wie ein | |
| Bekenntnis auf der Brust. „Keep calm and love Helene“, heißt es bei vielen | |
| Frauen, „Helene Fischer Ultras“ bei jungen Männern, bei denen die Liebe zu | |
| einer Musik, wie Helene Fischer sie macht, sehr wenig zur Attribuierung | |
| bundesdeutscher Durchschnittsmännlichkeit passt. | |
| ## Frauengruppen in Kegelgruppenstärke | |
| Besser passen da der Strothmann-Korn und das Holsten-Bier, die fürs | |
| vorzeitige Spüren den Weg zum Stadion begleiten. Viele Frauen hingegen, | |
| häufig angereist in Kegelgruppenstärke, halten sich an kleinen, oft | |
| pinkfarbenen Dosen fest, deren klebrig-süßer Alkohol mit Melonen- oder | |
| Erdbeeraroma hilft, die Leichtigkeit dieses Abends noch erträglicher zu | |
| machen. | |
| Bereits vor dem Windeinsatz ist der Jubel ohrenbetäubend. Das Erscheinen | |
| der 1,58 Meter großen Sängerin reicht aus, um die Vertreter*innen einer | |
| nach unten offenen Mittelschicht – das Gros zwischen Mitte 40 und Ende 50 | |
| Jahre alt, viele mit ihren Partnerinnen oder Partnern und der gemütlichen | |
| Gewohnheit langjährigen Zusammenseins gekommen – in den Vorhof der Ekstase | |
| zu versetzten. Jungen Frauen glüht das Gesicht vor Verzückung, jedes Lied | |
| singen sie mit, jede Textzeile begleiten sie mit großen Gesten und bei | |
| Fischer abgeguckten Moves. | |
| Mit dem Verstreichen dieses zweistündigen Konzertes wird die Begeisterung | |
| noch lauter werden, die Gesichter noch seliger. Paare, das zeigt die | |
| Großleinwand, werden sich aneinander drücken, im Arm halten, vereint durch | |
| die Zeilen der 33-Jährigen, die unaufhörlich von Liebe singt und der | |
| Kostbarkeit des Moments. Und wenn alles glattgeht, dann werden „heute Abend | |
| noch viele Helenes gemacht“, denn die Fischer möchte, „dass ihr danach | |
| weiterfeiert“. | |
| „Feiern“, zumindest in seiner ursprünglichen Bedeutung, ist ein zentraler | |
| Begriff von Helene Fischer. Das Leben ist hart und dass der | |
| Multimillionärin die Nöte der Deutschen bekannt sind, suggeriert die | |
| Häufigkeit, mit der sie die Wörter „dieser Abend“ und „feiern“ | |
| zusammenbringt. Es bedeutet: Ich habe verstanden und es ist gut, dass ihr | |
| da seid, denn ich werde jetzt für einen Moment Licht in das Mausgrau eures | |
| Lebens bringen, „es ist euer Tag, es ist euer Abend“. | |
| Für dieses Vorhaben singt und tanzt sie und bewegt sich auf einer Klaviatur | |
| zwischen Feinfühligkeit, romantischer Verhuschtheit und feuriger Erotik, | |
| die kaum einer anderen deutschen Sängerin zur Verfügung steht. | |
| Helene Fischer hat einen grandios tollen Körper; ihre Beine, ihre Brust, | |
| ihr Po sind von großer Makellosigkeit. Ihr Gesicht taugt für die | |
| Darstellung einer schwedischen Blumenwiesenschönheit, einer biederen | |
| Schlagerschnepfe bis hin zu der einer Femme fatale. Sie hat trotz der | |
| planschigen Melodien und ihrer kleingeistigen Texte, bei denen mit dem | |
| Wunsch „in zerrissenen Jeans um die Häuser zu ziehen“ bereits die Spitze | |
| der bürgerlichen Apokalypse erreicht ist, das größte internationale | |
| Potenzial. Nie wird Deutschland der Ikone Kylie Minogue, bekannt für ihren | |
| eingängigen Pop und ihren Göttinnen-Status innerhalb der schwulen | |
| Community, näher kommen als mit dieser Frau. | |
| Die Show profitiert von dieser Vielseitigkeit. Die Videos, die vor und | |
| während des Auftritts laufen, sind von der US-amerikanischen Firma „Good | |
| Company“ auf höchstem Niveau produziert – das Stage-Spektakel wurde bei den | |
| britischen „Entertainment Architects“ Stufish in Auftrag gegeben, die unter | |
| anderem auch die Brit-Awards und die Shows von Robbie Williams, Lady Gaga | |
| und Beyoncé produzieren. | |
| Sie zeigen die Wandelbarkeit Fischers zwischen der Nahbarkeit einer | |
| Ungeschminkten und Latex-Inszenierungen, wie Madonna sie einst in die | |
| Mainstreamkultur einbrachte. Die Vorbilder für diese Videos sind klar, vor | |
| allem bei Beyoncé wurde reichlich abgeschaut. | |
| Und doch gibt es bei dieser Inszenierung, in der kein Schritt, keine Geste | |
| dem Zufall überlassen scheint, in der auf die Sekunde genau die | |
| Konfettikanonen explodieren, eine Sollbruchstelle, die verhindert, dass das | |
| Ganze zu groß wird – dass Helene Fischer nicht deutsch genug sein könnte. | |
| Es ist der Auftritt all jener, die nicht Helene Fischer sind. | |
| Wer hier tanzt, wer hier singt, sieht aus, als hätte dem Kostümbildner | |
| allein die 90er-Jahre-Revival-Kollektion von Adler-Mode zur Verfügung | |
| gestanden. Leo-Prints und breite, weiße Gürtel, lilafarbener Lippenstift | |
| und ein geklebtes Glitzerstirnband zum Aerobic-Style-Wallehaar für die | |
| Damen, die Männer geben in kurzärmeligen, weißen Netzhemden ihr Bestes, an | |
| denen meterlange Textilfransen den Tanz schleudernd untermalen. | |
| Die Inszenierungen changieren zwischen Starlight Express und dem | |
| MDR-Fernsehballett und holen die Größe Fischers zurück auf das heimische | |
| Verständnis von Kunst. Es ist das alte Gottschalk-Prinzip, das | |
| „Wetten-dass“ über Jahrzehnte zur erfolgreichsten Fernsehshow machte: dem | |
| Publikum nie zu viel zumuten. Keine Avantgarde, kein Größenwahn, sondern | |
| jeder Kunst, jedem Können, jeder Internationalität eine kraftvolle Portion | |
| Graubrot entgegensetzen, damit das Publikum den Anschluss nicht verliert. | |
| ## Meisterin des Erspürens | |
| „Spürst du das?“ ist der Name dieser Tour und Helene Fischer ist zumindest | |
| eine Meisterin des Erspürens. Wie eine Heiratsschwindlerin hat sie die | |
| Bedürfnisse und die Bedürftigkeit ihres Publikums ausgemacht und gibt jeder | |
| und jedem, was sie oder er braucht – der Schlüssel für ergebene | |
| Gefolgschaft. Frauen gibt sie die Idealisierung der Liebe, den Männern | |
| handfeste Erotik. Auch Fischer wird wie Kylie Minogue von vielen | |
| Homosexuellen vergöttert – also dampft der Eröffnungsnebel in | |
| Regenbogenfarben. | |
| Sollten sich Lesben oder Feministinnen im Publikum befinden, könnten die | |
| Gefallen an dem lange Zeit eingeblendeten „Spürst du das?“-Logo finden: | |
| Helene inmitten eines derzeit zur Darstellung der Vagina beliebten | |
| pinkfarbenen Dreiecks; es ist mit an fleischige Blüten erinnernden | |
| Farbklecksen gefüllt, die bei genauer Betrachtung sich berührende Frauen | |
| zeigen. | |
| Die für ihren Perfektionismus bekannte Sängerin weiß um die Kraft der | |
| Gemeinschaft, also vereinigt sie die einzelnen Konzertbesucher zum großen | |
| „Wir“, indem sie, so oft es geht, „ihr“, „euch“ und noch öfter „… | |
| sagt. Damit auch die auf den billigen Plätzen Helene spüren, lässt sie sich | |
| auf einem Autodach stehend durch das riesige Stadion fahren und ruft denen, | |
| die in schwindelnder Höhe kaum erkennbar sitzen, zu: „Ich sehe euch!“ | |
| In ihrer vermeintlichen Nahbarkeit erinnert sie an das Prinzip der | |
| Frauenzeitschriften: Immer ein besonderes, ein exotisches Reiseziel | |
| vorstellen, das Frauen „träumen“ lässt. Unbedingt aber auch ein Hotel | |
| nennen, das sich die Krankenkassenangestellte nach ein oder zwei Jahren des | |
| Sparens leisten kann. | |
| Zum Ende der Show kommt der Moment, in dem unklar ist, ob sie es jetzt | |
| nicht doch ein wenig übertreibt mit ihrem Frauenzeitschriftenkonzept. Es | |
| ist die Ansage vor dem letzten Song. Die Sängerin dankt dem Publikum für | |
| das Erlebnis. „Das hat sich tief in mein Herz gegraben.“ | |
| Dann leitet sie, wie wahrscheinlich an jedem der zehn Auftritte dieses | |
| Sommers, zum Song über, sie sitzt auf einer Treppe, umringt von ihren | |
| Sängerinnen und Sängern, und sagt mit bewegter Stimme: „Es ist ein | |
| Herzensmoment von mir.“ Ein Moment, den sie teilen und mit ihren Freunden | |
| besingen möchte. Aber natürlich: „Dieser Moment ist für euch!“ | |
| 21 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Silke Burmester | |
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