# taz.de -- Vor 39. Revolutionsjahrestag in Nicaragua: Ortegas Sturmangriff auf… | |
> Kurz vor dem Jahrestag der Revolution lässt Daniel Ortega Masaya | |
> angreifen. Die Stadt gilt als Hochburg des Widerstands gegen sein Regime. | |
Bild: Nicaragua am Dienstag: Polizei und Paramilitärs erobern Monimbó zurück | |
Wien taz | Das Foto hat Symbolkraft: Etwa zwei Dutzend maskierte Männer in | |
Uniform posieren mit ihren Kalaschnikows und anderen Sturmgewehren vor | |
einem Fahnenmast. Die blau-weiß-blaue Nationalflagge wurde eingeholt und | |
durch das rot-schwarze Banner der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) | |
ersetzt. Die Partei von Präsident Daniel Ortega hat über die Bevölkerung | |
der Stadt Masaya gesiegt. | |
Zwei Tage, bevor am 19. Juli der 39. Jahrestag der sandinistischen | |
Revolution begangen wird, blies Ortega zum Sturmangriff auf die Stadt | |
Masaya, Hochburg des Widerstands gegen sein autoritäres Regime. Vor dem | |
Feiertag, an dem an den Sieg über die Diktatorendynastie der Somoza 1979 | |
erinnert wird, sollte die Stadt „gereinigt“ werden, „koste es, was es | |
wolle“. So der Auftrag. | |
Schon im Morgengrauen begannen um die 2.000 Mann Spezialtruppen, verstärkt | |
durch Einheiten der Nationalpolizei und paramilitärische Verbände Masaya | |
und speziell den indianischen Stadtteil Monimbó zu umstellen. | |
Mit Sonnenaufgang begann die Offensive. „Niemand kommt hier rein, niemand | |
kann raus, auch die Verwundeten nicht“, berichtete ein Einwohner von | |
Monimbó, den die taz am Telefon erreichte. Im Hintergrund waren Schüsse von | |
Kalaschnikows zu hören. | |
## Stärke zeigen mit Sicherheitsaufgebot | |
Der Stadteil Monimbó, geprägt von kleinen Handwerksbetriebe, war durch | |
Dutzende Barrikaden aus Pflastersteinen in eine Trutzburg verwandelt, die | |
monatelang das Zentrum der Proteste gegen Ortega und seine allgemein | |
verhasste Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo gebildet hatte. Jede | |
Barrikade wurde von Männern verteidigt, von denen viele nicht mehr nur | |
Steinschleudern und Feuerwerkskörper gegen die militärische Übermacht in | |
Stellung brachten. | |
Der Einwohner von Monimbó, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen | |
will, hat in den vergangenen zwei Wochen eine Militarisierung des Konflikts | |
beobachtet, der vor drei Monaten mit friedlichen Protesten begann, die | |
blutig unterdrückt wurden. | |
Mittlerweile zählt man über 370 Todesopfer, und auch der Blutzoll auf | |
Regierungsseite steigt. In den vergangenen Tagen wurden mehrere Polizisten | |
erschossen, darunter einer, der Daniel Ortegas Rückzug aus Masaya deckte. | |
Der Staatschef war mit massivem Sicherheitsaufgebot erschienen, um Stärke | |
zu zeigen. | |
Eine Opferbilanz der Rückeroberung von Masaya ist noch nicht möglich. | |
Medien sprechen von mindestens vier Toten. Nach der Einnahme jeder | |
Barrikade ließen die Regierungstrupps die Bagger kommen und begannen in | |
Häuser einzudringen, wo sie junge Männer herausholten. Der Einsatz von | |
Drohnen ermöglichte ihnen, in die Hinterhöfe zu spähen, ob es Männer im | |
wehrfähigen Alter gab. Über das Schicksal der Verschleppten ist nichts | |
bekannt. | |
## „Der Moment zum Abtreten“ | |
Ortega will bis zum Revolutionsjubiläum am Donnerstag sämtliche Barrikaden | |
und Straßensperren im Land beseitigt haben, damit er den Sieg über die | |
„Kontrerrevolution“ verkünden kann. Alle, die sich an den Protesten | |
beteiligt haben, erwarten hohe Haftstrafen. | |
1979 hatte Ortega, führender Comandante einer der drei in der FSLN | |
vereinigten politischen Linien, Regierungsverantwortung übernommen, als der | |
Diktator Somoza geflohen war und die Guerilleros triumphierend in Managua | |
einzogen und mit einigen bürgerlichen Alliierten eine Regierungsjunta | |
bildeten. | |
1984 war Ortega zum Präsidenten gewählt worden, verlor das Amt aber, als | |
bei den Wahlen im Februar 1990 die konservative Oppositionskoalition Uno | |
gewann. Violeta Chamorro wurde Präsidentin, Daniel Ortega ging in die | |
Opposition. | |
Er strukturierte die FSLN nach seinem Gutdünken um, Kritiker wurden | |
hinausgedrängt. Einige, etwa der Schriftsteller Sergio Ramírez, vormals | |
Ortegas Vizepräsident, oder Dora María Tellez, die einst als „Comandante | |
Dos“ den Sturm auf den Nationalpalast organisiert hatte, gründeten die | |
„Bewegung der Sandinistischen Erneuerung“. | |
## Jeder Protest wird kriminalisiert | |
Doch die FSLN blieb die starkste Partei im Land, und durch zahlreiche | |
Pakte, unter anderem mit Kirche und Unternehmerverband, schaffte Ortega | |
2006 die Rückkehr an die Macht. Seither hat er nicht zur seine Frau zur | |
Vizepräsidentin wählen lassen, auch nahe alle Kinder und sonstigen | |
Verwandten sind mit Regierungsposten versorgt. | |
Am Montag wurden zwei Gesetze durch das von Ortega-Getreuen kontrollierte | |
Parlament gepeitscht, die jeden Protest kriminalisieren. Ein Gummiparagraph | |
bedroht alle mit 15 bis 20 Jahren Haft, die sich an Demonstrationen | |
beteiligen, bei denen Personen oder Güter zu Schaden kommen. | |
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte sieht darin „einen Text, der | |
jene, die friedlich protestieren als Terroristen abstempeln könnte“ – und | |
wurde prompt vom nicaraguanischen Außenminister Denis Moncada in einer | |
energischen Protestnote als „Komplize in Aktionen von Terroristen“ | |
zurechtgewiesen. | |
Nicht nur die UNO und zuletzt auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini | |
haben zum Dialog und zum Ende der Gewalt in Nicaragua aufgerufen. Auch der | |
uruguayische Ex-Präsident José Mujica, der als ehemaliges Mitglied der | |
Tupamaro-Guerilla unverdächtig ist, im Sold Washingtons zu stehen, hat in | |
einer Videobotschaft Klartext gesprochen: „Was einst ein Traum war, ist zu | |
einer Autokratie verkommen und wer gestern Revolutionär war, hat das das | |
Gespür verloren, wann der Moment zum Abtreten gekommen ist“. | |
## Deutsche Soli-Bewegung unterstützt den Protest | |
Anlässlich des 19. Juli hat auch die deutsche Solidaritätsbewegung eine | |
[1][Erklärung] veröffentlicht. „Wir unterstützen die Forderungen der | |
Protestbewegung: vorbehaltlose Aufklärung der Verantwortlichkeiten für die | |
Repression; sofortiger Rücktritt der amtierenden Regierung und der | |
Polizeiführung sowie Bildung einer Übergangsregierung unter breiter | |
Partizipation der sozialen Bewegungen,“ heißt es darin. | |
Unter den 115 Erstunterzeichnern findet sich alles, was einst in der | |
Nicaragua-Bewegung der 1980er Jahre Rang und Namen hatte. Auch der | |
langjährige Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der | |
Schriftsteller Erich Hackl und die emeritierten Professoren Urs | |
Müller-Planttenberg und Klaus Meschkat haben unterschrieben. | |
In diesem Zusammenhang bittet das Informationsbüro Nicaragua auch um | |
Geldspenden für die Versorgung der Verletzten, den Schutz vor Repression | |
und für Menschenrechtsarbeit in Nicaragua. | |
19 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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