# taz.de -- Regisseur über Fußball-WM im TV: „Freude sichtbar machen“ | |
> Liveübertragungsregisseur Volker Weicker bemängelt das fußballerische | |
> Niveau der WM. Die Regie müsse Aufmerksamkeit über andere Wege schaffen. | |
Bild: Sehen und gesehen werden: die WM 2018 | |
taz: Herr Weicker, hat diese WM Bilder geschaffen, die Ihnen im Gedächtnis | |
bleiben? | |
Volker Weicker: Bisher noch nicht. Ich fand die WM von der fußballerischen | |
Qualität eher ein bisschen langweilig, weil alle auf diesen | |
Ballbesitzfußball umgestiegen sind. Aber was sagt die Zahl von soundsoviel | |
Pässen aus, wenn es hinten immer nur quer hin und her geht? Viele | |
Mannschaften haben sich so gegenseitig neutralisiert, was natürlich keine | |
spannenden Bilder gibt. Darum hat die Regie versucht, Aufmerksamkeit zu | |
generieren, indem man sehr viele Zuschauer eingeblendet hat. | |
Die Zuschauer sind die neuen Stars? | |
Kann man so sagen. Sie sind jedenfalls sehr prominent im Fernsehen zu | |
sehen. Das finde ich im Prinzip auch gut, weil dadurch Emotionen sichtbar | |
werden. Aber man merkt auch, dass die Leute mittlerweile verkleidet wie zum | |
Karneval in die Stadien gehen – in der Hoffnung, dass sie mit einem | |
auffälligen Kostüm ins Fernsehen kommen. Das wirkt manchmal sehr | |
kalkuliert. | |
Das Bewusstsein, Teil eines medialen Ereignisses zu sein, ist gestiegen? | |
Ja, und in diesem Umfang ist auch neu, dass die Fernsehbilder auf den | |
Großbildschirmen im Stadion übertragen werden. Deshalb hat man viele | |
Zuschauer gesehen, die gar nicht aufs Spielfeld schauen, sondern auf die | |
Bildschirme. Wenn sie sich dort selber sehen, reagieren sie jubelnd auf ihr | |
eigenes Bild. Das finde ich eher schade, weil ich es spannender finde, wenn | |
Menschen auf das Spiel reagieren, statt sich selbst zu feiern. | |
Warum wird von der Regie eigentlich oft in dem Moment weggeschnitten, wenn | |
die Zuschauer sich selber auf der Großleinwand erkennen? | |
Die Emotionen – die Freude, die Trauer – sollen möglichst spontan wirken, | |
nicht für die Kamera inszeniert. | |
Bei früheren Turnieren wurden die Superstars oft stärker inszeniert. Das | |
war diesmal anders, [1][Ronaldo und Messi waren früh raus], die ganz großen | |
Duelle gab es da nicht … | |
Man muss immer mit dem arbeiten, was man hat. Dieser Ballbesitzfußball ist | |
ja vor allem ein Fehlervermeidungsfußball. Das führt dazu, dass der | |
Angriffsfußball und die genialen Einzelspieler nicht so zum Zuge kommen. | |
Und das ist schwierig für Heldengeschichten. Einen richtigen Helden hat | |
diese WM noch nicht hervorgebracht. | |
So ein Superstar muss sich aber selbst dazu machen, die Medien allein | |
können das nicht? | |
Nein, das geht auf dem Fußballplatz nicht. Sonst werden im Fernsehen ja | |
alle fünf Minuten neue Glitzersternchen hochgejazzt, die überhaupt nichts | |
drauf haben und nur berühmt sein wollen. Da wird immer wieder die Regel | |
gebrochen, die lautet: Stop making stupid people famous! An die hält sich | |
das Fernsehen nie. Aber im Sport kann man das komplett vergessen. Sie | |
können nicht durch Bildauswahl und Regie bei einem Spiel jemanden zu einer | |
wichtigen Person machen, der die Leistung auf dem Platz nicht bringt. In | |
der Beziehung ist Fußball sehr ehrlich. | |
Die Spieler sind sich ihres medialen Bilds aber auch genau bewusst. | |
Allerdings, nicht nur Zuschauer haben ihr Bild auf der Großbildleinwand im | |
Stadion verfolgt, auch manche Spieler haben ihre Aktionen dort noch mal | |
betrachtet. Da habe ich schon gedacht: Brauchen wir das wirklich? | |
Die Generation Selfie steht jetzt auf dem Platz. | |
Genau, es ist eine Generation, die damit groß geworden ist, dass alles in | |
Videobildern festgehalten wird – und diese Bilder in Echtzeit ständig | |
überprüft werden. Das ist wie bei den Konzerten, bei denen alle mit ihren | |
Handys filmen, um das Ereignis festzuhalten, dadurch aber gar nicht richtig | |
dabei sind. | |
Neu bei dieser WM war der Einsatz des Videoassistenten. Dann hat man einen | |
Split-Screen gesehen, auf dem es drei Bilder gleichzeitig gab. Den | |
Schiedsrichter, den Blick in den Raum des Videoassistenten und die | |
strittige Szene selbst. | |
Das machen wir in den Bundesliga-Übertragungen auch so. Man muss dem | |
Zuschauer ja kenntlich machen: Das ist jetzt keine normale | |
Zeitlupenwiederholung, das ist die Szene, um die es geht. Insgesamt hatte | |
ich den Einsatz sogar inflationärer erwartet, fand das dann aber ganz | |
angemessen. | |
Sehr angesagt in den Fernsehstudios sind gerade Projektionen und Hologramme | |
der Spieler. | |
Virtual Reality gilt zurzeit als der heiße Scheiß. Ich persönlich bin kein | |
Freund davon. Wenn da Spieler als Hologramm im Studio stehen, und die haben | |
wegen einer Verzerrung plötzlich ganz kleine Beine, finde ich das nicht | |
schön. Und ob ein Logo jetzt als Hologramm eingeblendet wird oder hinten | |
auf der Videowand zu sehen ist, ist dem Zuschauer doch egal. | |
Warum fahren dann alle so drauf ab? | |
Die Sender hoffen, dass sie sich dadurch besser von ihren Mitbewerbern | |
absetzen. Wenn man sich aber die Studiodesigns von ARD und ZDF bei der WM | |
anschaut, dann sieht man da keinen großen Unterschiede – der kommt nur über | |
die unterschiedliche Köpfe der Sender. Vieles ist allerdings auch | |
Geschmackssache. Ich könnte jedenfalls darauf verzichten, dass sich vor | |
Holger Stanislawski ein virtuelles Stadion aufbaut, bevor er mit der | |
Taktikanalyse beginnt. Er könnte einfach sagen: „Gucken wir uns die Szene | |
an“ – und dann geht’s los. | |
Bei den Spielen gab es auch immer den Hinweis der Kommentatoren, dass man | |
sich in den Mediatheken gerade gezeigte Szenen noch mal aus ganz vielen | |
anderen Perspektiven anschauen kann. Macht das jemand? | |
Das ist ein Angebot für Fußballnerds, das sind minimale Zugriffszahlen. Das | |
breite Publikum will ja weiter das Spiel schauen und sich jetzt nicht die | |
Torszene noch mal aus drei anderen Winkeln raussuchen. Als Bildregisseur | |
kriegt man hinterher immer Kritik, dass eine Zeitlupeneinstellung gefehlt | |
hat oder es die falsche war. Live muss man das ja in Sekundenbruchteilen | |
entscheiden, und da vertut man sich schon auch mal mit der Entscheidung – | |
das ist dann aber halt so. | |
13 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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