# taz.de -- Kritik an der DFB-Elf: Blutgrätsche „deutscher Tugenden“ | |
> Vor dem Spiel der DFB-Auswahl gegen Schweden bricht sich dumpfe Hysterie | |
> Bahn. Jogi Löw ist unter Beschuss. Dabei geht es um sehr viel. | |
Bild: Löw ist nicht gut in der Verteidigung seiner Kulturleistung | |
Anfang dieser Woche saßen Waldemar Hartmann und Edmund Stoiber in einer | |
Fernsehtalkshow und sprachen in einer Härte über die deutsche | |
Fußballnationalmannschaft (Waldi) und die Einwanderung (Edi), dass es den | |
daneben sitzenden Welt-Chefreporter Robin Alexander hörbar schüttelte. | |
Stoiber verkürzte die Asylproblematik darauf, dass da „ein Ali“ immer | |
wieder unberechtigt über die Grenze komme. Hartmann rief: „Fußball ist | |
Krieg!“ Ein Sekundant in einem Massenblatt nennt das Spiel zwischen | |
deutscher und schwedischer Verbandsauswahl an diesem Samstag „Krieg | |
zwischen den Nationen“. Wer selbst auch zur Hysterie neigt, der kann den | |
Eindruck gewinnen, dass hier bereits die Ausrufung eines Überlebenskampfes | |
des deutschen Volkes mitschwingt. Den wir mit so liberalen Schöngeistern | |
wie Angela Merkel und Jogi Löw nicht gewinnen werden. | |
Worum es manchen in der Tat geht: Die gesellschaftspolitische Leistung von | |
Joachim Löw und Jürgen Klinsmann rückgängig zu machen, also die | |
Emanzipation, Liberalisierung und Internationalisierung der deutschen | |
Verbandsfußballkultur auf der Grundlage rot-grüner Einwanderungspolitik. | |
Stattdessen soll der Voodooglaube an „deutsche Tugenden“ reinstalliert | |
werden. Mehr Blutgrätsche und Führung, weniger flache Hierarchien und | |
Nivea. | |
Das ist die politische Dimension [1][dieser Weltmeisterschaft], die ja | |
faktisch nur ein Sommerfußballturnier ist, in dem bunt zusammengewürfelte | |
Verbandsauswahlteams zu unserem Vergnügen ein bisschen rumkicken, während | |
der richtige Fußball pausiert. | |
Der Londoner Weltunternehmer Mesut Özil ist nur ein Bauer in diesem Spiel. | |
Was die Reaktionäre an ihm stört, [2][ist nicht seine Herkunft | |
(Gelsenkirchen)], sondern dass er aus ihrer Sicht so „schwul“ spielt, also | |
die ästhetische Effizienz einbringt, die den Unterschied macht. | |
## Löws Kulturleistung | |
Ja, aber [3][bei Mexikos Siegtor läuft er körperlos nebenher], sagen sie. | |
Nein. Er geht den langen Weg vorbildlich zurück und attackiert den späteren | |
Torschützen so, dass der eben keinen Elfer schinden kann, sondern den Haken | |
zur Mitte schlagen muss, der den Ball zur Beute eines zweiten mitlaufenden | |
Deutschen machen müsste. Wenn Toni Kroos den richtigen Laufweg gemacht | |
hätte. | |
Özil hat hier alles richtig gemacht. Kroos nicht, das stimmt. Auch ist die | |
Sorge berechtigt, dass der Fehler in der Struktur liegt und die Abstände | |
zwischen den Ketten einfach zu groß sind, wodurch die Tempodefizite einiger | |
Spieler relevant werden. | |
Aber für mich sind nicht die Rückwärtsbewegungsdefizite von Toni Kroos das | |
wirklich Besorgniserregende, sondern diese plötzliche Bösartigkeit, dieses | |
rasende Wusste-ich-doch-dass-alles-scheiße-ist, das über die Reaktionäre | |
hinausgeht, die ihren alten Status wiederhaben wollen. | |
Wo ist der Respekt vor der Kulturleistung von Löw, wo ist der Dank für 14 | |
großartige Verbandsfußballjahre, wie es sie noch nie gegeben hat, wo ist | |
das Verständnis dafür, dass ein WM-Titel – für dessen Gewinn man selbst gar | |
nichts geleistet hat, wenn man nicht Mesut Özil heißt – eine Ausnahme ist? | |
Und kein Besitzstand, der einem deutschen Bürger zusteht. | |
## Die Nervosität dieser Gesellschaft | |
Vielleicht hat Löw es versäumt, den Nichtfachleuten vorsichtig | |
näherzubringen, dass wir im Moment vielleicht nur eine gute Mannschaft | |
haben und keine sehr gute mehr. | |
Und ganz sicher ist Löw nicht gut in der Verteidigung seiner | |
Kulturleistung. Er hat sie möglich gemacht, er lebt sie, aber kann sie | |
nicht intellektuell oder gesellschaftspolitisch unterfüttern. Deshalb | |
müssen das jetzt andere tun, statt dem Mob die Argumente zu liefern oder | |
gar abzukaufen. Aber die Nervosität dieser Gesellschaft beruhigt man nicht, | |
indem man das Gegenteil rumschreit. | |
Das alte Gerede ist nie ganz weg, das wird auch nicht zu unseren Lebzeiten | |
gelingen. Wir müssen die Aufklärung immer wieder neu behaupten, und sie | |
beginnt mit einem moderaten und liberalen Sprechen auf der Basis einer | |
glasklaren Haltung. | |
Also: Steht auf, wenn ihr Jogi seid. Und zwar win or lose. | |
23 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /WM-taz-2018/!t5476467/ | |
[2] /!5512841 | |
[3] /!5513664 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Frauen-WM 2019 | |
WM-taz 2018: Neben dem Platz | |
Jogi Löw | |
Mesut Özil | |
Mesut Özil | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
Mesut Özil | |
Frauen-WM 2019 | |
Frauen-WM 2019 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Münkler über Schland-WM-Kultur: „Früher haben sie Kaugummi gekaut“ | |
Die Debatte über die Nationalelf zeigt, wie sich das deutsche | |
Selbstverständnis wandelt. Der Politologe Münkler über Symbolik und | |
Spieler, die nicht singen. | |
Deutschland vs. Schweden: Auf Messers Schneide | |
Die Deutschen besiegen Schweden mit 2:1. Ihre Selbstgefälligkeit und | |
Selbstgerechtigkeit könnte ihnen beim Weiterkommen im Wege stehen. | |
Gruppe F: Deutschland – Schweden: Schlandard schlägt Schweden | |
Der fünfte Stern? Die deutsche Mannschaft will, kann aber nicht. Alle | |
Hoffnungen ruhen auf Gomez. Muss man mehr sagen? Ja, Kroos. | |
Liveticker Deutschland – Schweden: Kroosartig! | |
2:1 für Deutschland. Kroos schießt die dezimierte DFB-Elf im letzten Moment | |
zum Sieg. Alles ist noch drin. Glück gehabt. | |
WM-Podcast „Russisch Brot“: „Rassistisch überdreht“ | |
Doris Akrap kommentiert Matthäus' Schüsse gegen Mesut Özil. Und Andreas | |
Rüttenauer trifft den besten Autofahrer. Folge 7 unseres Podcasts. | |
Gruppe F: Deutschland – Mexiko: Schland schlicht schlapp | |
Bräsig startet Deutschland ins Spiel – und fängt sich das 0:1. Das DFB-Team | |
quält sich zurück ins Spiel, es reicht nicht. Und nun: Vorrundenaus? | |
WM-Stimmung in Deutschland: Schland, rassistisch vergiftet | |
Ein multikulturelles „Sommermärchen“ wie damals, als die WM in Deutschland | |
stattfand? Vorbei. Seit Sommer 2015 ist die Atmosphäre verdorben. |