# taz.de -- WM-Stimmung in Deutschland: Schland, rassistisch vergiftet | |
> Ein multikulturelles „Sommermärchen“ wie damals, als die WM in | |
> Deutschland stattfand? Vorbei. Seit Sommer 2015 ist die Atmosphäre | |
> verdorben. | |
Bild: Unterschicht? Mittelschicht? Einfach nur Fans? – Balkon in Leipzig | |
Es könnte ja ein Fall von Gewöhnung sein: 2006, als das WM-Turnier in | |
Deutschland stattfand, war es, dass sich die Deutschen endgültig | |
mediterranisierten: Alles abendliche Leben war auf die Straße verlegt, und | |
man saß um Bildschirme herum, um sich Fußballspiele anzugucken. Die | |
Mediterranisierung ist geblieben, hinzugekommen ist jedoch ein Strom | |
völkischer Miesheit. | |
Dass man sich im heimischen Wohnzimmer verriegelte und keine eingeladenen | |
Gäste hatte – das war unschicklich geworden. Millionen dekorierten mit | |
Wimpeln und Stofffetzen alles mögliche, auch Rückspiegel an den | |
Automobilen: Aus Doitschland wurde Deutschland und dieses wurde zu einem | |
Namen verkürzt, [1][der fast eine Koseform war: Schland]. | |
Schland – das war die Chiffre für ein Land, das weltoffen ist, sich darauf | |
zu verständigen wusste, dass Rassismus igitt ist und völkisches Denken so | |
was von doof und hässlich und fies ist, wie es einfach nicht mehr in die | |
errungene Zeit passt. Errungen deshalb, weil das, was selbstverständlich | |
schien, also eben eine Mannschaft gut zu finden, die wirklich wie ein Traum | |
der „rot-grün-versifften Republik“ aussieht, in der Männer wie [2][David | |
Odonkor und Gerald Asamoah] mitmachten, also nicht gerade blonde bis | |
brünette Musterexemplare nach dem Geschmack jener, die heute der AfD | |
zuneigen. | |
Entsprechend sah es in den vier Turnierwochen in Deutschland aus: | |
Angereichert durch Hundertausende WM-Touristen aus 31 Ländern jubelten | |
irgendwie alle allen zu – das Nationale blieb erhalten, ohne das | |
Internationale abzuwerten. Solche Szenen wirken inzwischen wie aus einer | |
anderen Zeit, an die man jedoch erinnern muss, um die maue Atmosphäre | |
aktuell als das zu empfinden, was sie ist: trist. | |
## In den Mittelschichtsvierteln hapert's noch | |
Konkret: Vergiftet durch Bemerkungen wie die des AfD-Bundestagsanführers | |
Alexander Gauland. Er sagte der FAZ zum deutschen Verteidigerstar Jérôme | |
Boateng: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen | |
einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ [3][In diesem Satz] steckte im | |
Unterfutter des Sagbaren noch die Botschaft, eigentlich gehöre er nicht | |
dazu. Zu Deutschland nämlich. | |
So ähnlich wie die DFB-Juwelen [4][Mesut Özil nicht und Ilkay Gündogan], | |
die allerdings fahrlässigerweise neulich Recep Tayyip Erdogan als ihren | |
Präsidenten bezeichneten. Also nicht den deutschen, Frank-Walter | |
Steinmeier, sondern den türkischen – als wollten sie den Ethnopluralisten | |
rechter Art ein Geschenk machen. | |
Jedenfalls ist die Luft irgendwie raus, Sommermärchen 2018 in Deutschland: | |
keine Anzeichen. Okay: In den Einkaufszentren in jenen Vierteln, die von | |
Flüchtlingen und Migrant*innen bewohnt werden, gehen die | |
schwarz-rot-goldenen Devotionalien weg wie nix. Kinder lieben Tröten und | |
rund um die Sonnenallee in Berlin-Neukölln ist es fast so stark bewimpelt | |
wie vor vier, acht und zwölf Jahren. Nur in den Mittelschichtsvierteln | |
[5][hapert's noch, und das sehr]. | |
Denn die Akzeptanz des Schlandhaften, wie 2006 begründet, fußte ja in der | |
öffentlichen Wahrnehmung besonders auf dem Umstand, dass plötzlich nicht | |
nur die Proleten fraglos die eigene Mannschaft, also die deutsche, | |
anfeuerten, sich mit ihr freute oder an ihr litt, sondern auch die | |
Kulturmenschen, die Diskursverarbeiter*innen – Fußball war kulturfähig | |
geworden. Man sprach über ihn wie über Weine und Speisen: in kennerischen | |
Kategorien. | |
## „Ein einladendes, tolerantes Land“ | |
Tempi passati: War das sogenannte Sommermärchen 2006 eine Art | |
kulturvorbereitende Übung für den „Refugees welcome“-Sommer 2015, so ist | |
die durch die Präsenz der AfD aufgewühlte Stimmung des ethnisch | |
formulierten Misstrauens die Grundlage, weshalb es an einer guten | |
Schland-Atmosphäre gebricht – und was eben nicht nur daran liegt, dass es | |
zur Routine geworden ist, in allen Kneipen, Bars und Spätis Fußball live | |
und auf großem Screen sehen zu können. | |
Dabei wäre es gerade jetzt nötig, sozusagen als Antihaltung zur Aggression | |
sehr vieler dem Deutsch-Multikulturellen gegenüber, die WM als Fest | |
deutscher Modernität zu nehmen. Die Équipe Joachim Löws als jene, auf die | |
man sich freut, weil sie potenziell alle Nachbarn sein könnten (und | |
vielleicht sein sollten). Eine Feier des Schlandischen, weil | |
Schwarz-Rot-Gold eben die Trikolore der Republik ist, nicht der Rassisten, | |
die die Reichskriegsflagge bevorzugen und die Fahne der Republik als | |
„schwarz-rot-senf“ schmähten – und alles, was an der Bundesrepublik | |
libertär und weltoffen ist, verachten und abschaffen wollen. | |
Der Grünen-Vorsitzender Robert Habeck sagt nun, die Fahne stehe „für ein | |
einladendes, tolerantes Land, das Respekt und Anerkennugn lebt“, Sahra | |
Wagenknecht, die Ikone der Linkspartei, erwidert auf die Fragen zur | |
ermüdeten Stimmung: „Ob Euphorie entsteht, sollte maßgeblich vom Spiel | |
unserer Nationalelf und dem Turnierverlauf und nicht von Überlegungen | |
abhängen, wie viel Jubel gerade als politisch korrekt angesehen wird.“ | |
Rationaler und damit unfußballischer lässt sich das kaum formulieren: Als | |
ob es nicht gerade politisch klug wäre zu überlegen, dass die neuen | |
Deutschen im Löw-Team wie Khedira, Özil, Gündogan oder Rüdiger Vorbilder | |
sind für jene, die gerade ins Land einwanderten oder es möchten. Mehr als | |
ein bisschen Begeisterung könnte schon sein, und sei es nur, um die | |
[6][Milieus, für die die AfD steht], zu ärgern. | |
17 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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