| # taz.de -- Reden über Rassismus in Deutschland: Rassisten sind immer nur die … | |
| > Seit Mesut Özils Austritt aus der Nationalelf steht die Bundesrepublik | |
| > Kopf. Selbstreflexion in der Debatte um Rassismus ist selten. Und hat | |
| > einen Preis. | |
| Bild: Dieser Gartenzwerg ist kein Rassist. Er kennt viele Migranten | |
| Als Mesut Özil aufgrund der rassistischen Diskussionen seinen Austritt aus | |
| der deutschen Nationalelf erklärte, stellte ich mir unwillkürlich die | |
| Frage: Wenn Rassismus die Karriere eines in Deutschland geborenen, zudem | |
| berühmten und reichen Mannes, dessen Muttersprache Deutsch ist, beenden | |
| kann, was für ein Leben kann ich als Frau mit türkischem Pass und Türkisch | |
| als Muttersprache in Deutschland erwarten? | |
| Es war während der Europameisterschaft 2012, mein zweites Jahr in | |
| Deutschland. Wie in den meisten Ländern zur EM und WM üblich, sind | |
| Nationalflaggen allgegenwärtig. Nach einem Deutschlandspiel steige ich in | |
| Berlin in die stickige U-Bahn und fahre nach Hause. Wegen der Rushhour ist | |
| der Waggon knallvoll mit Menschen, es werden die unterschiedlichsten | |
| Sprachen gesprochen. | |
| Der Zug schaukelt monoton, ich versinke in meinem Buch. Erst als alle | |
| Sprachen verstummen und ich lautes, polterndes Deutsch höre, merke ich, | |
| dass sich das Fahrgastprofil auf einmal verändert hat. Ich hebe den Kopf | |
| und sehe fünf, sechs große weiße deutsche Männer mit Glatzen, lärmend und | |
| johlend feiern sie den Sieg ihrer Fußballmannschaft. Immer wieder stoßen | |
| sie mit Bier an, ihre alles übertönenden Stimmen stören viele Fahrgäste, | |
| doch keiner sagt etwas. Es sollte mich nicht wundern: Fußballkultur | |
| begünstigt Nationalismus und Machokultur. Das gibt Rassismus zusätzlichen | |
| Auftrieb. | |
| ## Pöbelnde Glatzen in der U-Bahn | |
| Die Männer tigern durch den Waggon, bauen sich vor einzelnen Fahrgäste auf | |
| und fragen, warum sie den Sieg der deutschen Mannschaft nicht mitfeiern. | |
| „Bist du nicht deutsch genug? Liebst du dein Land nicht?“, brüllen sie. Ich | |
| traue mich nicht, den Blick vom Buch zu heben, nehme aber wahr, dass alle, | |
| die nicht „weiß genug“ aussehen, grüppchenweise aussteigen. Wütend darü… | |
| nicht die erwartete Reaktion zu bekommen, fangen die Männer an, mit ihren | |
| Fäusten gegen die Zugwände zu hämmern. | |
| Aggressive Sprüche schneiden die Luft: „Wer liebt hier sein Land nicht?“ | |
| und „Wer sich uns nicht anschließt, ist kein Deutscher“, viel mehr verstehe | |
| ich nicht. Ich denke, wenn ich mich nicht rühre, sehen sie mich vielleicht | |
| nicht, und verhalte mich so unauffällig wie möglich. Unvermittelt hockt | |
| sich der Lauteste vor mich hin, stiert mir ins Gesicht und sagt: „Komm mit | |
| uns feiern, Püppchen!“ | |
| Er nennt mich wohl so, weil ich mir an jenem Tag zwei Zöpfe geflochten | |
| hatte. Mir bricht der Schweiß aus. Er hat es nicht gemerkt, denke ich. Er | |
| weiß nicht, dass ich Türkin bin. Aber das beruhigt mich keineswegs. Denn | |
| sobald ich den Mund öffne und ein Wort sage, wird er an meinem Akzent | |
| hören, dass ich keine Deutsche bin. Ich bin zum Schweigen verurteilt. Ich | |
| versuche zu lächeln, um den Typen nicht zu ärgern, nicke zu allem, was er | |
| sagt, umgehe so höflich wie möglich seinen wuchtigen Körper, der alles um | |
| mich herum auszufüllen scheint, und springe an der nächsten Station aus der | |
| Bahn. | |
| ## Angst vor deutscher Autorität | |
| Das ist nur eine von vielen Rassismus-Erfahrungen, die ich in meinem Leben | |
| gemacht habe. Ich kann Geschichten erzählen, von Chorkolleg*innen, die das | |
| Gespräch mit mir beendeten, als sie erfuhren, dass ich Türkin bin, statt | |
| wie von ihnen angenommen Britin. Von einer Professorin an der Freien | |
| Universität, die während eines Sprachkurses genervt das Gesicht verzog, | |
| weil ich einen türkischen Namen trage. | |
| Oder davon, dass meine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wurde, obwohl | |
| alle meine Unterlagen vollständig waren und ich zu diesem Zeitpunkt bereits | |
| seit sieben Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland besaß. | |
| Vielleicht hatte der Beamte an dem Tag Streit mit seinem Mann oder seiner | |
| Frau. Vielleicht gefiel ihm meine Haarfarbe nicht. Egal warum, er erteilte | |
| er mir keine Aufenthaltsverlängerung. Pech. Für Deutschland war ich an | |
| diesem Tag nicht gut genug. | |
| Als Studentin musste ich mir von einem Mitarbeiter im Studentenwerk der | |
| Universität erklären lassen: „Du siehst gar nicht wie eine Türkin aus, | |
| Türken haben schwarze Haare.“ Jedes Mal, wenn wir uns begegneten, rief er: | |
| „Hey, wie geht’s, nicht-türkisches Mädchen?“ Gerne hätte ich ihm erkl�… | |
| wie rassistisch sein Spruch ist. | |
| Stattdessen habe ich meinen Ärger runtergeschluckt und ihn bemüht | |
| freundlich angelächelt, weil ich Angst hatte, er stellt mir sonst meinen | |
| Studentenausweis nicht aus. Dieselbe Angst, die ich auch vor dem | |
| Grenzpolizisten habe, jedes Mal, wenn ich nach Deutschland einreise. Die | |
| verinnerlichte Angst vor der deutschen Autorität. | |
| ## Bloß keine Fehler machen! | |
| Eine gute Migrantin ist eine schweigende Migrantin. Halt den Mund, nicke | |
| und lächle. Eine Anwältin, die ich nach dem Problem mit der | |
| Aufenthaltserlaubnis aufsuchte, sagte: „Hast du mal versucht, die dumme | |
| Migrantin zu spielen?“ Sie riet mir einfach bei allem, was die Beamt*innen | |
| sagen, total überrascht zu tun: „Dann glauben sie, du wärst noch dümmer als | |
| sie selbst und geben dir deine Aufenthaltserlaubnis.“ | |
| Im Gegensatz zu mir ist Mesut Özil hier geboren und aufgewachsen. Er ist | |
| ein Deutscher. In den Augen der weißen Deutschen macht das aber keinen | |
| großen Unterschied. Sobald du einen türkischen Namen hast, wirst du in die | |
| Türken-Schublade gesteckt. Wie wütend werden dieselben Deutschen aber, wenn | |
| man sie Kartoffel nennt. | |
| Dabei ist umgekehrter Rassismus, genau wie umgekehrter Sexismus, ein von | |
| den Täter*innen, also den Rassist*innen erfundenes Märchen. Kartoffeln | |
| werden nicht wie die 69 Menschen aus Afghanistan am 69. Geburtstag des | |
| Innenministers abgeschoben, sie werden nicht auf offener Straße beschimpft, | |
| nur weil sie ihre Muttersprache sprechen. | |
| Keine Kartoffel ist gezwungen, so wie ich um drei Uhr morgens bei Minus 20 | |
| Grad in der Schlange vor der Ausländerbehörde zu stehen, und vier Stunden | |
| in der eisigen Kälte auszuharren. Alles nur um ein Gebäude betreten zu | |
| können, in dem dich zum Teil eine menschenunwürdige Behandlung erwartet. | |
| Als Knoblauchfresser, so bezeichnen Kartoffeln Türk*innen, bekommst du bei | |
| jeder Gelegenheit zu spüren, dass du unerwünscht bist. Niemanden schert es, | |
| dass du doppelt so viel arbeiten musst wie eine Kartoffel, um den gleichen | |
| Erfolg zu haben. | |
| Läuft irgendwo irgendetwas falsch und ist ein Mensch mit | |
| Migrationshintergrund zur Hand, dann ist es vermutlich seine Schuld. | |
| Deutschland flog wegen Özil aus der Weltmeisterschaft. Das Leben | |
| durchschnittlicher Migrant*innen vergeht damit, keine Fehler zu machen, | |
| damit weißen Deutschen nicht sagen können: „Hab ich’s doch gewusst, siehst | |
| du, deinetwegen ist das passiert!“ | |
| ## Rassismus von sympathischen Kartoffeln | |
| Als feministische, queere Frau, die etliche Jahre in dem von Erdoğan | |
| regierten Land gelebt hat, habe ich die Nase voll davon, dass Kartoffeln | |
| nicht den Rassismus in Deutschland sehen. Stattdessen lechzen sie nach | |
| Horrorgeschichten aus meinem Land. | |
| Wer aber mich nach Erdoğan fragt, bekommt etwas über Rassismus in | |
| Deutschland zu hören, über die frauenfeindlichen Praktiken hierzulande oder | |
| die unmenschlichen Erfahrungen, die Migrant*innen im Alltag durchmachen. | |
| Was bin ich für eine undankbare Migrantin, dass ich jetzt Deutschland | |
| schlecht mache, dem ich dankbar dafür sein sollte, dass es mich (vorerst!) | |
| aufgenommen hat! | |
| Kürzlich erzählte ich einer höchst sympathischen Kartoffel von meinen | |
| Rassismuserfahrungen, die ich mit einer gemeinsamen Bekannten gemacht habe. | |
| Ihre Reaktion darauf war, dass „Rassismus ein sehr hartes Wort“ dafür sei. | |
| Sie erklärte mir, dass diese Person keine Rassistin sein könne, denn „sie | |
| kennt doch so viele Migrant*innen und ist doch so ein guter Mensch.“ | |
| Klar, niemand will eine Rassist*in sein, Rassisten sind immer nur die | |
| anderen. Dabei ist es überaus wichtig, rassistisches Verhalten beim Namen | |
| zu nennen. Denn Rassismus zu erleben ist für mich als Betroffene eine sehr | |
| viel härtere Erfahrung als die Erkenntnis für meine Bekannte, dass ihr | |
| Verhalten rassistisch ist. | |
| Es geht mir nicht darum, Deutschland schlecht zu machen. Es geht darum, | |
| dass die Lösung der Probleme darin liegt, strukturellen Rassismus endlich | |
| beim Namen zu nennen. Um eine Krankheit zu kurieren, braucht es ja auch | |
| zunächst einmal eine Diagnose. Deutschland muss lernen, seine Krankheit | |
| nicht länger zu leugnen. | |
| 25 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Burçin Tetik | |
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| Schwerpunkt Rassismus | |
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