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# taz.de -- Panama und die Fußball-WM: Das Land der vielen Wunder
> Der Staat zwischen Nord- und Südamerika ist fußballerisch ein Zwerg.
> Nicht nur für Ganoven ist er dennoch ein Traumziel.
Bild: Voller Körpereinsatz von Roman Torres beim WM-Spiel gegen Belgien. Für …
Oh, wie schön ist Panama! Das weiß jedes Kind aus dem Bilderbuch von
Janosch, obwohl der kleine Bär und der kleine Tiger mit ihrer schwarz-gelb
gestreiften Tigerente aus Holz dort nie angekommen sind. Panama ist ein
erträumtes Land, nicht nur für kleine Bären und Tiger. Auch für
Kreuzfahrttouristen (die Passage durch den Panamakanal), für
Steuerflüchtlinge (die Panama Papers), für Dandys (der Panamahut), für
Biologen (die größte Artenvielfalt auf dem amerikanischen Kontinent), für
Waffenhändler und andere Ganoven (die Freihandelszone Colón, wo es keine
Zölle und auch so gut wie kein Gesetz gibt).
Und es ist auch das Land, in dem man innerhalb von zwei Stunden eine
Zeitreise durch Tausende Jahre Menschheitsgeschichte machen kann: von den
glitzernden Banken und Hotels der Hauptstadt über deren an Alt-Havanna
erinnerndes koloniales Zentrum bis zu den Emberá, einer Ethnie, die noch
nackt durch die Wälder rund um den Gatúnsee streift.
Nur in ein paar ihrer Dörfer wurden die Baumhütten schmuck hergerichtet, um
täglich Hunderte von Kreuzfahrttouristen empfangen zu können. Die Männer
haben sich ein keckes Schürzchen vor die Scham gebunden, die Frauen tragen
dazu ein glitzerndes Bustier. Zu viel natürliche Nacktheit, sagt der
Dorfälteste etwas verschämt, würde vor allem ältere US-amerikanische
Kreuzfahrerinnen verstören.
Ein Fußballfeld wird man auf einer solchen Zeitreise kaum sehen. Obwohl das
Land – etwa so groß wie Bayern, aber mit nur vier Millionen Einwohnern –
zum fußballbegeisterten Lateinamerika gehört, spielt diese Sportart nur
eine untergeordnete Rolle. Baseball ist das Mannschaftsspiel, das Emotionen
weckt. Fußball rangiert in der Beliebtheitsskala in etwa auf der Höhe von
Boxen.
Trotzdem dreht sich derzeit im Fernsehen mindestens jeder zweite Werbespot
um den größeren Lederball. Das liegt daran, dass sich Panama zum ersten Mal
überhaupt für eine Fußballweltmeisterschaft qualifiziert hat. Und dass
gerade kein wichtiges Baseballturnier ansteht.
## Gerade so durchgerutscht
Gut, es geschah mit viel Glück. Am entscheidenden Spiel war Panama gar
nicht beteiligt. Weil die USA zum Ende der Qualifikation gegen die
fußballerisch noch viel unbedeutenderen Karibikinseln Trinidad und Tobago
mit 1:2 verloren, rutschte Panama überraschend gerade noch so durch. Bis
1974 hatte die Nationalmannschaft nicht einmal an den
Qualifikationsturnieren teilgenommen, danach hat sie sich nie qualifiziert.
In den fünf auf die WM vorbereitenden Freundschaftsspielen gab es nur ein
Unentschieden (0:0 gegen Nordirland) und einen Sieg (1:0 gegen Trinidad und
Tobago).
Etliche aus dem zur WM geschickten Kader verdienen ihr Geld bei
US-amerikanischen Clubs, einer kickt gar in der Zweiten spanischen Liga.
Für heimische Vereine engagieren sich nur drei: die beiden Ersatztorhüter
und ein Mittelfeldspieler. Panama ist kein gutes Land, um sich als
Fußballer einen Namen zu machen.
Gäbe es nicht die USA und ihre militärischen und wirtschaftlichen
Interessen, würde Panama als Staat gar nicht existieren. Der schmale
Streifen Land zwischen Pazifik und Karibik war bis 1903 eine kolumbianische
Provinz. Schon die Spanier waren davon fasziniert. Nicht wegen der
Artenvielfalt, die daher rührt, dass sich in Panama nord- und
südamerikanische Flora und Fauna treffen. Die Spanier lockte der kurze Weg
vom Pazifik zur Karibik – gerade mal 60 Kilometer Luftlinie.
Dort bauten sie schon im 16. Jahrhundert einen Maultierpfad, um aus
Bolivien herangeschifftes Gold und Silber schnell auf die andere Seite und
von dort nach Europa zu bringen. Als Mitte des 19. Jahrhunderts Kalifornien
im Goldrausch war, suchten die USA einen schnellen und sicheren Weg von Ost
nach West, der die von Ureinwohnern und Desperados unsicher gemachten
Gegenden im Mittleren Westen umging.
Sie bauten eine Eisenbahn durch die Provinz Panama. Der Franzose Ferdinand
de Lesseps begann 1881, einen Kanal auf Meereshöhe durch die Landenge
graben zu lassen – und war nach acht Jahren und dem Tod von 20.000
Arbeitern bankrott.
Auch die USA waren an diesem Kanal interessiert – als schnelle Verbindung
für Waren, Soldaten und Kriegsgerät. Aber sie wollten den Kanal für sich,
und das wollten die KolumbiaVon Toni Keppener nicht. Also unterstützten die
USA 1903 eine vorher völlig unbedeutende Unabhängigkeitsbewegung und ließen
ihre KVon Toni Kepperiegsflotte vor der kolumbianischen Küste auffahren.
Als dann auch noch US-Marines Panama besetzten und dessen Unabhängigkeit
ausriefen, knickte der Kongress in Bogotá ein.
## Begeisterte Dandys
Mit der Unabhängigkeit sicherten sich die USA die Hoheitsrechte über die
Kanalzone. Als diese Wasserstraße – jetzt nicht mehr auf Meereshöhe,
sondern mit einem Schleusensystem – 1914 eröffnet wurde, setzten die
Kanalbetreiber bei der offiziellen Jungfernfahrt jedem der auf dem Dampfer
„Ancon“ sitzenden Notabeln zum Schutz vor der Tropensonne einen Hut aus
geflochtenem Toquillastroh auf. Die Fotos gingen um die Welt, Dandys waren
begeistert und verlangten nach dem „Panamahut“.
Lange bestimmten die USA Politik und Kultur des Kleinstaats von ihren
Gnaden. Zahlungsmittel ist der US-Dollar, Baseball der Nationalsport. Bis
zu 65.000 GIs waren in der Kanalzone stationiert, inklusive einer
Folterschule für lateinamerikanische Diktatoren von Schlage Somozas,
Stroessners und Pinochets.
An der karibischen Ausfahrt entstand bei Colón die nach Hongkong
umsatzstärkste Freihandelszone der Welt, die Duty-free-Shops in aller Welt
versorgt. Hin und wieder wird dort eine Fabrikhalle voller Sturmgewehre
entdeckt oder ein Kleinflugzeug voller Kokain. Gelegentlich stürzt auch ein
Privatjet voll windiger Geschäftsleute aus unerklärlicher Ursache ab. Die
Konkurrenz ist hart in Colón.
Es war General Omar Torrijos, der den Kanal für Panama erobert hat, ein
linksnationalistischer Militär, der sich 1968 an die Macht geputscht hatte.
1978 trotzte er dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter einen Vertrag ab,
der die Rückgabe der Kanalzone bis zum 31. Dezember 1999 festschrieb.
Bis dahin aber nutzte Torrijos die Präsenz der Besatzungsmacht. Die Nähe
von US-Militärs und der Dollar als Zahlungsmittel flößten Finanzjongleuren
Vertrauen ein. Torrijos baute Panama-Stadt zum internationalen
Bankenstandort aus, mit laxen Regeln wie in karibischen Steuerparadiesen,
aber mit der Sicherheit wie in den USA.
## Briefkastenfirmen ohne Ende
Man kann bis heute im Internet eine Briefkastenfirma eröffnen. Es dauert
gerade mal zehn Minuten und kostet nur ein paar Dollar. Das geschieht jeden
Tag mehrere hundert Mal. Es gibt in Panama mehr Briefkastenfirmen als
Einwohner. Und es gibt kleine und große Anwaltskanzleien, die diese Firmen
verwalten. Mossack Fonseca & Co., deren Daten geleakt und zu den berühmten
Panama Papers wurden, gehörte zu den größeren.
Die Wirtschaft von Panama hängt noch heute am Kanal und an undurchsichtigen
Finanzinstituten. Der Kanal füllt mit gut 2 Milliarden US-Dollar
Mauteinnahmen bei rund 600 Millionen Dollar Betriebskosten die
Staatskasse, die Finanzinstitute sorgen für gut bezahlte Arbeitsplätze und
gut situierte Besucher.
Und das Land hängt noch immer vom Wohlwollen der USA ab. Im Vertrag über
die Rückgabe des Kanals haben sie sich ein ewiges Interventionsrecht
gesichert für den Fall, dass dessen Neutralität gefährdet wäre – was immer
das bedeuten mag. Die Tatsache, dass Panama den USA die Teilnahme an der
Fußballweltmeisterschaft vermasselt hat, ist sicher kein solcher Fall.
Schließlich ist Fußball nicht der Nationalsport. Weder in den USA noch in
Panama.
24 Jun 2018
## AUTOREN
Toni Keppeler
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