# taz.de -- Jahrestag der Unruhen in Xinjiang: Adleraugen über Urumqi | |
> Vor einem Jahr war es in der Grenzregion Xinjiang zu ethnischen Unruhen | |
> mit vielen Toten gekommen. Frieden setzt die Regierung seitden vor allem | |
> mit verschärfter Kontrolle durch. | |
Bild: Leben in Urumqi: seit einem Jahr unter verschärfter Beobachtung der chin… | |
PEKING taz | Ein angsterfüllter Jahrestag in Urumqi: In der Hauptstadt von | |
Chinas Grenzregion Xinjiang waren vor einem Jahr ethnischen Unruhen | |
entbrannt, bei denen nach offiziellen Angaben 197 Menschen getötet und über | |
1.700 verletzt wurden. Ein Protest von Uiguren im Zentrum am 5. Juli 2009 | |
war in Gewalt gegen Han-Chinesen umgeschlagen. Zwei Tage später nahmen | |
Han-Chinesen an Uiguren Rache. | |
Die Regierung versucht nun die westliche Region, die an Zentralasien, | |
Pakistan und Afghanistan grenzt, zu befrieden - mit einer Mischung aus | |
scharfen Kontrollen und Wirtschaftsinvestitionen. Polizisten und Soldaten | |
patroullierten durch die Straßen. Verstärkte Razzien der Polizei richten | |
sich gegen "kriminelle Elemente" und "Unruhestifter". Korrespondenten, die | |
sich vor Ort informieren wollten, wurden in den letzten Tagen besonders | |
strikt beschattet, uigurische Gesprächspartner eingeschüchtert. Hunderte | |
Uiguren und einige Han-Chinesen wurden seit vergangenem Jahr verhaftet, | |
mindestens 26 hingerichtet, viele blieben verschwunden. | |
Um jede ungewöhnliche Bewegung sofort zu entdecken, hatten die Behörden in | |
den vergangenen Tagen 8.370 Sicherheitskameras in Urumqi zusätzlich | |
aufgestellt, gaben Sprecher der Stadt bekannt. Diese "Adleraugen" mit | |
Nachtsichtlinsen verstärken die bereits existierenden 47.000 Kameras, heißt | |
es. Sie überwachen Plätze, Bushaltestellen, Schulen, Kindergärten, Märkte, | |
Straßen und Geschäfte. Erst im Frühjahr hatten die Behörden nach neun | |
Monaten Sperrung den Zugang zum Internet wieder geöffnet. Bis dahin konnten | |
nur Parteifunktionäre, Behörden und Geschäfte mit Sondererlaubnis online | |
gehen. Auch die SMS-Funktion der Mobiltelefone ist wieder freigeschaltet. | |
Die Regierung macht uigurische "Extremisten, Separatisten und Terroristen" | |
im In- und Ausland für die Unruhen des letzten Jahres verantwortlich und | |
versuchte damit zugleich, sich von der Verantwortung für die wachsenden | |
sozialen und ethnischen Konflikte freizusprechen. Obwohl die Region reich | |
an Öl, Gas und Mineralien ist, liegt das Durchschnittseinkommen ein Fünftel | |
unter dem des gesamten Landes. Die Armut ist besonders unter uigurischen | |
Bauern und Wanderarbeitern groß. Han-Chinesische Geschäftsleute und | |
Arbeiter, die aus anderen Teilen Chinas zugewandert und oft besser | |
ausgebildet sind, dominieren Wirtschaft und Verwaltung. | |
Der als korrupt verschriene Ex-Parteichef Wang Lequan, lange mächtigster | |
Mann der Region, ist mittlerweile zwar von einem anderen Han-Chinesen, | |
Zhang Chunxian, abgelöst worden, jedoch weiter einflussreich. Uigurische | |
Kaufleute, die traditionell mit den Nachbarstaaten in Zentralasien Handel | |
treiben, fühlen sich diskriminiert. Viele dürfen nicht mehr ins Ausland | |
reisen, weil ihnen die Pässe abgenommen wurden - als eine der | |
Kontrollmaßnahmen Pekings. In der Hoffnung, die Bewohner Xinjiangs durch | |
Jobs und wirtschaftliche Anreize stärker zu binden, hat die | |
Zentralregierung im Frühjahr ein großes Investitionsprogramm angekündigt: | |
Innerhalb von zehn Jahren sollen etwa in der Region sechs neue Flughäfen | |
entstehen; das regionale Schienennetz von 3.599 auf 12.000 Kilometer | |
erweitert werden. 7,155 Kilometer Autobahnen und andere Straßen sollen | |
repariert oder neu gebaut werden. Ein neues Steuersystem soll | |
sicherstellen, dass Xinjiangs Bewohner stärker an Einnahmen aus dem | |
Rohstoffreichtum beteiligt werden. Die Stadt Kashgar, traditionelles | |
Handelszentrum der Seidenstraße, soll zum neuen Wirtschaftsknotenpunkt | |
Chinas in Zentralasien werden, heißt es. Die Pläne sind allerdings noch | |
vage. | |
Seit Juni ist Kashgar mit dem längsten Inlandsflug über 4.852 Kilometer mit | |
der südöstlichen Industriemetropole Kanton (Guangzhou) verbunden. Ob und | |
wie sich die Pläne verwirklichen werden, bleibt abzuwarten. Die Sorge ist | |
groß, dass die gewaltigen Investitionen nicht ausreichen, um den Kern des | |
Konfliktes zu bewältigen - dazu gehören die Konkurrenz um Arbeitsplätze und | |
Aufstiegschancen zwischen Han-Chinesen und Uiguren ebenso wie das Fehlen | |
eines echten und offenen Dialogs zwischen den Kulturen im Land. | |
5 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Todesstrafen nach Juli-Unruhen in Xinjiang: China rechnet scharf ab | |
Ein Gericht verurteilt elf Uiguren und einen Han-Chinesen zum Tode. Damit | |
will die Regierung in Peking auch die Familien der Opfer besänftigen. | |
Ethnische Konflikte drohen. | |
Uiguren-Aufstand in Westchina: Polizei nimmt 1400 Menschen fest | |
Zwei Tage nach den Unruhen demonstrieren uigurische Frauen gegen die | |
Massenverhaftungen durch die Polizei. Unter den Uiguren gewinnen radikale | |
islamische Geistliche an Einfluss. | |
Chinas Uiguren-Provinz in Unruhe: Leicht entflammbare Atmosphäre | |
156 Menschen starben bei den Krawallen In Urumqi, der Hauptstadt von | |
Xinjiang. Die örtlichen Behörden sind nur wenig auskunftsfreudig und | |
ersticken jeden neuen Protest schon im Kern. | |
Uiguren-Aufstand in Westchina: Lang schwelender Konflikt eskaliert | |
Bei blutigen Krawallen zwischen muslimischen Uiguren und chinesischen | |
Sicherheitskräften im Nordwesten Chinas kamen mindestens 140 Menschen um. | |
Uiguren fühlen sich bevormundet. |