| # taz.de -- Chinas Uiguren-Provinz in Unruhe: Leicht entflammbare Atmosphäre | |
| > 156 Menschen starben bei den Krawallen In Urumqi, der Hauptstadt von | |
| > Xinjiang. Die örtlichen Behörden sind nur wenig auskunftsfreudig und | |
| > ersticken jeden neuen Protest schon im Kern. | |
| Bild: Straßenszene in Urumqi: Die Einheimischen beklagen die Toten. Die Polize… | |
| URUMQI taz | Auf der Straße der Freundschaft in Urumqi scheint das Leben | |
| still zu stehen: Vor den Häusern und Einfahrten bilden sich Grüppchen von | |
| Anwohnern, einige halten Knüppel in der Hand, alle warten auf etwas. | |
| Bewaffnete Polizisten in grünen Uniformen und schwarz gekleidete | |
| Aufstandstruppen stehen vor Tankstellen und wichtigen Regierungsgebäuden. | |
| "Geht nach Hause!", ruft ein junger Mann, "Gleich kommen sie wieder und | |
| schlagen zu." Ein anderer sagt: "Eben hat es eine Explosion gegeben, | |
| vielleicht am Busbahnhof, genaues wissen wir auch nicht". | |
| Vor dem Sheraton Hotel rollen die Angestellten einen Feuerlöschschlauch | |
| aus. Taxifahrer weigern sich Passagiere mitzunehmen. "Die Han-Chinesen | |
| wollen sich rächen", flüstern sich die Leute zu. Diesmal sind es nicht | |
| Uiguhren, vor denen sie Angst haben, wie sich herrausstellt, sondern ihre | |
| eigenen Leute: In den folgenden Stunden sammeln sich immer mehr Gruppen | |
| junger Männer und Frauen, die mit Stöcken und Äxten bewaffnet durch die | |
| Strassen der Stadt ziehen. | |
| Es herrscht Ausnahmezustand in Urumuqi, der Hauptstadt der Grenzregion | |
| Xinjiang und 3.000 Kilometer westlich von Peking. Vor zwei Tagen mündete | |
| ein Protestzug von mehreren hundert Uighuren in blutige Krawalle. Seit her | |
| hat es in verschiedenen Vierteln mehrere Zusammenstösse gegeben. An einigen | |
| Stellen riegeln Polizisten die Stassenzüge ab, an anderen lassen sie die | |
| Menge durch. Das Mobiltelefonnetz ins Ausland ist blockiert, das Internet | |
| ist gesperrt. | |
| Der Parteichef und der Bürgermeister der Stadt Urumqi geben vor | |
| Journalisten gegen Mittag die neuesten Zahlen bekannt: 156 Menschen sind | |
| seit Sonntag ums Leben gekommen, über 800 wurden verletzt, mehr als tausend | |
| haben die Behörden in den vergangenen Tagen festgenommen. | |
| Längst ist ausgemacht, wer für die Unruhen verantwortlich ist: "Die | |
| Seperatistin Rebiya" und ihre Clique von Terroristen wiegelten "ein kleine | |
| Gruppe von Menschen auf", sagt Parteichef Li Zhi, "um die Einheit der | |
| Völker Chinas und die Stabilität des Landes zu zerstören." | |
| "Es geht hier nicht um Nationalitäten oder Religionskonflikte", sagt Li, | |
| "sondern um einen politischen Kampf". In der Autonomen Region Xinjiang | |
| leben rund 20 Millionen Meschen, daruter etwa 8 Millionen muslimische | |
| Uighuren, knapp 10 Millionen Han-Chinesen, ausserdem mehrere kleine | |
| Volksgruppen. | |
| Geradezu unheimlich scheint die Parallele zwischen den Unruhen in Tibet im | |
| März 2008 und der Situation in Xinjinag in diesen Tagen. Auch in Xinjiang | |
| fühlt sich die angestammte Bevölkerung von den wirtschaftlich stärkeren | |
| Han-Chinesen an den Rand gedrängt. Eine offene Debatte über die | |
| Religionspolitik der Regierung ist zudem nicht möglich. Peking leugnet die | |
| seit Jahren wachsenden Spannungen in ihren Grenzregionen - und sucht statt | |
| dessen einen Sündenbock ausserhalb des Landes. | |
| Mit der "Seperatistin Rebiya" ist die Uighurin Rebiya Kadeer gemeint die es | |
| als Geschäftsfrau in Urumqi zu Wohlstand gebracht hatte, dann aber wegen | |
| ihrer Kritik an der Regierung sechs Jahre lang im Gefängnis saß. | |
| Inzwischen lebt sie in den USA, ist Präsidentin des Uighurischen | |
| Weltkongresses und in den Augen Pekings - wie der Dalai Lama für Tibet - | |
| Hauptfeind Nummer Eins für Xinjiang. | |
| So schnell die Behörden mit der Schuldzuweisung an Drahtzieher im Ausland | |
| sind, so zurückhaltend sind sie, wenn es darum geht, etwas über die | |
| Hintergründe der Unruhen vom Sonntag zu sagen: "Wieviele der 156 Toten sind | |
| Han-Chinesen, wieviele sind Uiguren oder andere", fragt eine Reporterin. | |
| "Wir sind noch dabei, das zu untersuchen", sagt der Parteichef. Soviel ist | |
| unumstritten: bei den Unruhen sind sehr viele Han-Chinesen ums Leben | |
| gekomen, aber auch Uighuren und Angehörige anderer Volksgruppen wurden | |
| angegriffen. | |
| Wie leicht entflammbar die Atmosphäre ist, zeigt sich, als die Behörden die | |
| ausländischen Journalisten in eine Straße bringen, in der mehrere Geschäfte | |
| bei den Krawallen in Flammen aufgegangen waren. Aus den angrenzenden | |
| Häusern eilen überwiegend uighurische Bewohner herbei, klagen und weinen. | |
| Sie berichten, dass die Polizei bei einer Razzia in der Nachbarschaft über | |
| hundert Männer und Kinder festgenommen und verprügelt hätten. Einige seien | |
| erschossen worden. Nachzuprüfen ist das nicht. "Sie haben meinen | |
| vierzehnjährigen Sohn Mehmet Tursun Kadi mitgenommen", schluchzt eine Frau. | |
| "Ich weiß nicht wo er ist, er ist doch ein Kind". | |
| Ein etwa fünfzigjähriger Mann mit Bart wiederholt ein ums andere Mal: " Wir | |
| wollen nur Gerechtigkeit und Freiheit - nichts anderes". "Sie beschützen | |
| die Han-Chinesen, aber uns nicht". | |
| "Glauben Sie denen nichts",sagt ein han-chinesischer Polizist. "Die | |
| Uigurinnen verstecken die Waffen ihrer Männer unter den Kleidern". Rund | |
| hundert Uiguren, vorwiegend Frauen und Kinder, demonstrieren nun auf der | |
| Strasse, fordern die Freilassung ihrer Angehörigen. Bewaffnete Polizei mit | |
| Wasserwerfern, Gewehren und langen Schlagstöcken kesseln die Gruppe ein. | |
| Nach einer guten halben Stunde ziehen die Frauen in eine Seitegasse ab. | |
| 7 Jul 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Jutta Lietsch | |
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