# taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Runter von der Bühne | |
> Gibt es eine richtige Reaktionsweise auf gezielte Relativierungen, wie | |
> Gaulands „Vogelschiss“ eine war? Leider nein – aber vielleicht einen | |
> Ausweg. | |
Bild: Der Gewöhnungseffekt ist bereits bemerkbar | |
Wenn man nur alles falsch machen kann, hilft es nicht, nichts zu tun, denn | |
das wäre auch falsch, ist es doch auch unter „alles“ zu subsummieren. | |
Vor wenigen Tagen hat der unaussprechliche G., Fraktionsvorsitzender der | |
AfD im Deutschen Bundestag, wiederholt eine kontrollierte | |
Grenzüberschreitung begangen, indem er Hitler und den Nationalsozialismus | |
zu einem Vogelschiss relativierte – und zwar so, dass die | |
Grenzüberschreitung wiederum doppeldeutig war und wohl haarscharf an | |
möglicher Strafverfolgung vorbeischrammte. Die Reaktionen ließen nicht auf | |
sich warten – von moralischer Empörung bis hin zu gelehrten Erklärungen | |
darüber, dass der Begriff „Erfolg“ keine historische Kategorie sei oder das | |
Exzeptionelle des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs bleibe, auch | |
wenn es nur 12 von 1.000 (ausgerechnet!) Jahren sind. | |
Die Argumente sind alle schon bei anderer Gelegenheit formuliert worden – | |
und genau das ist das Problem. Denn die Invektiven des G. und seiner | |
Gesellen operieren nicht auf der Ebene der Sachbezüge des Gesagten, sondern | |
auf der Ebene ihres sozialen Sinns. Sie zielen nicht darauf, was gesagt | |
wird, sondern wer wie darauf reagiert. | |
Die neue Bemerkung sollte wohl genau diese Reaktionen provozieren, um | |
zugleich demonstrieren zu können, dass sie nicht einmal justiziabel ist. In | |
dieser Vorführung sitzen wir alle auf der Bühne. Reagiert man auf die | |
Invektiven, erreichen G. und die Seinen ihr Ziel, reagiert man nicht | |
darauf, erreichen sie es auch. Man kann nur falsch handeln, der Bühne | |
entkommt man nicht. | |
Die G.s sind Meister der Dosierung – sie steigern die Dosis langsam. Wie | |
bei einem Junkie, der eine sprunghafte Erhöhung der Dosis wohl nicht | |
überleben würde, aber eine langsame Steigerung mit einer Mixtur aus | |
Gewöhnung und Schädigung quittiert, wird auch die diskutierende | |
Öffentlichkeit so an die üblichen Widerlegungen gewöhnt, dass der | |
Informationswert jedes Mal sinkt. Parallel dazu steigt die Ratlosigkeit, | |
wie man jener Logik entkommt. | |
## Anzeige gegen G. eingestellt | |
Der Gewöhnungseffekt scheint auch auf Staatsanwälte überzugehen. Thomas | |
Fischer hat auf Spiegel Online davon berichtet, wie die Staatsanwaltschaft | |
Mühlhausen nach einer Anzeige gegen G. die Einstellung des Verfahrens | |
begründete. Fischer hatte Anzeige gegen G.s Bemerkung über die damalige | |
Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz erstattet, man wolle sie „ins | |
Eichsfeld“ einladen, um ihr zu zeigen, was „deutsche Kultur“ sei und sie | |
dann „in Anatolien entsorgen“. Der Fall ist bekannt. Es ging um Özoguz’ | |
Bemerkung, jenseits der deutschen Sprache gebe es keine spezifisch deutsche | |
Kultur. | |
Thomas Fischer begründete seine Anzeige mit dem Paragrafen 130 | |
Strafgesetzbuch, nach dem die Meinungsfreiheit nicht für Äußerungen gelte, | |
die den öffentlichen Frieden gefährden könnten. Die Begründung der | |
Verfahrenseinstellung ist bemerkenswert. Fischer zitiert: „Bei der | |
(Ermittlung der für den Beschuldigten günstigsten Deutungsmöglichkeit) ist | |
der politische Kontext der Äußerung zugrunde zu legen. Mit seiner Aussage | |
im Rahmen einer politischen Wahlkampfveranstaltung reagiert der | |
Beschuldigte konkret auf die oben angegebene generalisierende Bewertung der | |
Integrationsbeauftragten zum Thema des Vorhandenseins spezifisch deutscher | |
Kultur und wandte sich gegen die dort vorgenommene und objektiv in der | |
öffentlichen Diskussion diskursfähige Feststellung deren Fehlens. Damit | |
muss zugunsten des Beschuldigten davon ausgegangen werden, dass sich seine | |
Ausführungen nicht gegen die Person der Integrationsbeauftragten, sondern | |
gegen die von dieser vertretenen soziokulturellen These richten.“ | |
Man muss kein Jurist sein, um diese Begründung nicht nur für Unsinn zu | |
halten, sondern darin ein Dokument zu sehen, das nur Ergebnis jenes | |
Gewöhnungseffektes sein kann, den die G.s durch ihre Grenzüberschreitungen | |
bereitet haben. Der Paragraf wird also ausgehebelt, wo Äußerungen in einem | |
politischen Kontext stehen. Wo sollen Äußerungen, die den öffentlichen | |
Frieden zu stören vermögen, denn sonst stehen? | |
## Der Gewöhnungseffekt | |
Über Fischer hinaus muss man sagen: Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen | |
dokumentiert also nur, dass das, was G. et al. sagen, offenbar zum Kanon | |
legitimer politischer Auseinandersetzung gehört. Wenn das kein | |
Gewöhnungseffekt ist? | |
Wie also reagieren? Gibt es eine „richtige“ Reaktionsweise, wenn Aufklärung | |
ebenso ins Leere läuft wie moralische Empörung und strafrechtliche | |
Verfolgung? Offensichtlich nicht. Selbst diese meine Überlegungen stehen | |
nicht außerhalb des Spiels. Vielleicht hilft statt des lauten Aufschreis | |
eher die demütige Einsicht, wie lange wir das normalisierende Spiel | |
mitgemacht haben. Soziologisch kann man wissen, wie lange Akteure auch bei | |
offensichtlichem Augenschein an die Normalität der Welt glauben, wie sehr | |
sie unterstellen, eigentlich gehe doch alles mit rechten Dingen zu. Die | |
laute Empörung verdeckt vielleicht manchmal, wie lange wir den | |
Idealisierungen des „Es wird nicht so schlimm sein“ geglaubt haben. | |
Speziell G., vor Jahren ein eher liberaler konservativer Politiker, trägt | |
den Habitus und das Selbstbild gediegener Bürgerlichkeit vor sich her. | |
Vielleicht ist die einzige Währung, die dieses Milieu trifft, soziale | |
Ächtung und die Verweigerung bürgerlicher Achtung. Kann man solche Ächtung | |
organisieren? – Ich weiß es nicht. Peter Huth hat in der Welt eindrucksvoll | |
die Scham beschrieben, die uns Deutsche befallen müsste, wenn wir daran | |
denken, was wohl Briten, Franzosen, Russen oder Polen denken, wenn sie | |
diese Relativierungen des Nationalsozialismus hören. Das ist ein schwaches | |
Argument – aber es läuft nicht in die Falle zu tun, was sich die G.s | |
wünschen. Seine Schwäche macht dieses Argument stark. | |
Das ist naiv, ja. Aber vielleicht könnte diese Haltung dazu führen, dass | |
die eigene Gewöhnung reflexiv wird. Vielleicht kann man nicht nur alles | |
falsch machen. | |
* Dieser Beitrag erschien zuerst als „Montagsblock“ des Kursbuchs | |
[1][(www.kursbuch.online)] | |
6 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Armin Nassehi | |
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