# taz.de -- Gezi-Festival auf dem Blücherplatz: Kämpferisch in Kreuzberg | |
> Auf dem Blücherplatz erinnert ein Festival an die Unruhen im Istanbuler | |
> Gezipark 2013: Soli-Adresse an die Erdoğan-Opposition in der Türkei. | |
Bild: Tanzen gegen Erdogan: Szene vom Gezi-Festival am Samstag | |
Am Samstag ist der Kreuzberger Blücherplatz von Hunderten Menschen besetzt: | |
Sie liegen auf mitgebrachten Decken oder stehen vor einer kleinen Bühne, | |
auf der eine Gruppe türkische Volkstänze aufführt. Einige der | |
„BesetzerInnen“ haben T-Shirts mit dem Konterfei des Republikgründers | |
Atatürks an, andere mit der Aufschrift „Tamam“, türkisch für „Genug“… | |
gilt der Regierungszeit des türkischen Präsidenten Erdoğan. | |
Die Besetzung des Blücherplatzes soll an eine andere vor fünf Jahren | |
erinnern: Damals hatten GegnerInnen der Regierung Erdoğan den Istanbuler | |
Gezipark besetzt. Organisiert hat das Festival auf dem Blücherplatz der | |
Berliner Ableger der Vereinigte Juni-Bewegung, ein Zusammenschluss aus | |
AkademikerInnen und Oppositionellen, der im August 2014 als Reaktion auf | |
die Gezi-Unruhen in der Türkei entstanden ist. | |
Rückblende, Istanbul im Juni 2013. Auf dem Gelände des Geziparks soll ein | |
riesiges Einkaufszentrum entstehen. UmweltaktivistInnen wehren sich | |
dagegen. Sie errichten ein Camp, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Die | |
Polizei geht im Auftrag der Regierung mit Tränengas und Wasserwerfern gegen | |
die DemonstrantInnen vor, Tausende werden verletzt. Immer mehr Unzufriedene | |
schließen sich dem Protest an, die Bewegung „Occupy Gezi“ entsteht. Der | |
Konflikt politisiert auch die türkischstämmigen Communitys in anderen | |
Ländern. Vor allem in Deutschland finden Pro-Erdoğan-Demonstrationen statt. | |
Aber auch SympathisantInnen der „Occupy Gezi“-Proteste gehen auf die | |
Straße. | |
Am Samstag finden sich links neben der Bühne mit den VolkstänzerInnen die | |
Stände türkischer Oppositionsparteien wie der CHP und HDP. Auch Amnesty | |
International und die Grünen sind vor Ort. Der Auftritt der Grünen bei | |
Veranstaltungen zu Gezipark hat Tradition. Die ehemalige Vorsitzende | |
Claudia Roth war bereits 2013 in Istanbul, um sich mit den AktivistInnen zu | |
solidarisieren. Dass der Schulterschluss mit der türkischen Opposition | |
immer noch wichtig ist, weiß auch Werner Graf, Berliner Landesvorsitzender | |
der Grünen. „Gezi ist eine Bewegung, die uns am Herzen liegt“, so Graf. �… | |
der Türkei werden Menschenrechte mit Füßen getreten, umso wichtiger ist es | |
für uns, klar Position zu beziehen, auch hier in Berlin.“ | |
## Amnesty: Opposition kaum möglich | |
Unter dem autoritären Regierungsstil Erdoğans hat es die Opposition | |
allerdings derzeit schwer in der Türkei. Davon betroffen seien auch | |
unabhängige Menschenrechtsorganisationen, erzählt Mehmet Desde von Amnesty | |
International. Er zeigt auf den aktuellen Menschenrechtsbericht, der am | |
Amnesty-Stand ausliegt. „Uns wird von der türkischen Regierung vorgeworfen, | |
wir seien eine politische Organisation. Wir versuchen aber nur, die | |
Situation in der Türkei darzustellen. Das dürfen wir auf den Straßen | |
Istanbuls nicht einmal austeilen.“ | |
Das Gezi-Festival ist eine Solidaritätsaktion in Richtung der | |
Erdoğan-KritikerInnen in der Türkei. Es ist aber auch ein Versuch, den | |
vorhandenen oppositionellen Geist der türkischen Gemeinde in Berlin zu | |
stärken. Cemil Aykac ist einer der Veranstalter des Gezi-Festivals. Er | |
steht in einem kleinen Wagen und schenkt Getränke aus: Cola, Fanta, Bier. | |
„Wir möchten dafür sorgen, dass Gezi nicht in Vergessenheit gerät“, sagt | |
Aykac. „Wir möchten daran erinnern, dass wir alle zusammen überall auf der | |
Welt feiern können.“ | |
Am 24. Juni finden vorgezogene Neuwahlen in der Türkei statt. Präsident | |
Erdoğan will sich im Amt bestätigen lassen. „Die Opposition hat es dieses | |
Mal selbst in der Hand zu gewinnen. Schon die letzte Wahl hat Erdoğan nur | |
durch Wahlbetrug für sich entschieden“, glaubt Aykac. | |
Damit bezieht sie sich auf Vorwürfe von WahlbeobachterInnen, die | |
Unregelmäßigkeiten beim Referendum im Frühjahr vergangenen Jahres | |
festgestellt hatten. 51,3 Prozent hatten schließlich für die | |
Verfassungsänderung gestimmt, die die Macht des Präsidenten gegenüber | |
Parlament und Justiz ausweiten würde. Im Falle eines Wahlsiegs in drei | |
Wochen könnte Erdoğan das Referendum Gesetz werden lassen. Auch in Berlin | |
stimmte 2017 eine knappe Mehrheit von 50,3 Prozent für Erdoğans | |
Präsidialsystem. | |
„Davon dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen“, sagt Aykac am Samstag. | |
„Viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund haben deutsche Pässe | |
und sind gar nicht wahlberechtigt. Wir gehen davon aus, dass der Anteil von | |
Erdoğan-Kritikern in dieser Gruppe deutlich höher ist.“ Auch dieses Mal | |
möchte die Opposition in Berlin alle Wahlberechtigten mobilisieren. „Wir | |
werden informieren und gegen Erdoğan auf die Straße gehen, bis er | |
zurücktritt“, erklärt Aykac. | |
3 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Serdar Arslan | |
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