# taz.de -- Moderne Kunst der Niederlande: Leuchten aus Pusteblumen | |
> Technik und Poesie sind die Zutaten der sinnlichen Objekte von Studio | |
> Drift. Das Amsterdamer Stedelijk Museum zeigt eine Werkschau. | |
Bild: „Fragile Future“ heißen die schimmernden Objekte von Studio Drift, b… | |
Unglaubliches trägt sich dieser Tage in Amsterdam zu: Im ersten Stock des | |
Stedelijk Museum wohnen die Besucher einem Wunder bei. In der Mitte des | |
großen Saales schwebt ganz langsam ein riesiger Betonblock durch die Luft. | |
Wie um zu beweisen, dass es keine versteckten Seile oder Haken braucht, | |
dreht sich das Ungetüm um sich selbst. Es schwenkt mal links, dann rechts, | |
zeigt seine sechs rauen Seiten. | |
Die Museumsbesucher stehen dabei. Sie legen die Köpfe in den Nacken, | |
nesteln nach ihren Handykameras, schauen einander fragend an. Viele lächeln | |
jenes skeptische Lächeln aus Kindertagen: Man weiß, dass der Zauberer | |
trickst. Aber man kriegt nicht raus, wie. Das ist Magie. | |
Der schwebende Betonklotz heißt „Drifter“ und ist der neueste heiße Schei… | |
des Künstlerduos Studio Drift. Die NiederländerInnen arbeiten seit dreizehn | |
Jahren an Projekten, in denen sie die Sinnlichkeit der Natur auf technisch | |
feinste Weise interpretieren. | |
Lonneke Gordijn und Ralph Nauta haben sich während ihres Design-Studiums in | |
Eindhoven kennengelernt, ihre Installationen sind mittlerweile heißbegehrte | |
Ausstellungs- und Sammlerstücke. Ob bei der New Yorker Armory Show, auf der | |
Art Basel, der Biennale in Venedig oder im Victoria and Albert – alle | |
reißen sich darum, Studio Drift präsentieren zu dürfen. Die Schau im | |
Stedelijk gibt einen ausführlichen Überblick der zurückliegenden | |
Arbeitsjahre. | |
Die Idee von Studio Drift ist, Technik und Poesie zu verbinden; und Technik | |
meint eben auch physikalische Vorgänge, die sich der Mensch von der Natur | |
abschauen kann. Sie huldigen der Natur, indem sie ihren Kopien Leben | |
einhauchen. Gordijn und Nauta bauen etwa filigrane Lichtobjekte, die die | |
Dynamik und Schönheit schwirrender Starenschwärme visualisieren. Sie | |
stellen zehn Meter lange, kunstvoll ausgeleuchtete Objekte auf, die die | |
Wellenbewegung von Fischen und Wasser nachahmen. | |
## Hauchzart und beweglich | |
Sie fertigen und orchestrieren filigrane Lämpchen, die aus den hauchzarten | |
Blüten von Pusteblumen bestehen und deren Leuchten zu atmen scheinen. Sie | |
lassen tanzende Lichtdrohnen am Strand von Miami aufsteigen. Und sie hängen | |
Blüten-Lampen aus Stoff auf, die sich sowohl öffnen und schließen als auch | |
dabei auf und nieder fahren und mit dem Betrachter Helldunkelspiele | |
spielen. | |
Zwei Variationen dieses Lampen-Balletts sind in der Stedelijk-Schau zu | |
sehen. Sie verzaubern die Menschen ganz besonders. Im riesigen Treppenhaus, | |
das in die Ausstellung führt, tanzen sie in Rosa und Hellblau; in einem | |
Raum im oberen Stockwerk changieren die Blüten dann zwischen Dunkelgrau und | |
Elfenbein. Mithilfe von Hydraulikzügen fahren sie – sich öffnend und | |
schließend – herab auf die Museumsbesucher und wieder hinauf zur Decke. | |
Um das Schauspiel besser sehen zu können, legen sich manche Menschen auf | |
den Parkettboden. Da lagern sie dann andächtig wie staunende Kinder. Nur | |
das Geräusch der sich öffnenden und schließenden Metallkonstruktionen und | |
das leise Rascheln der plissierten Blüten ist zu vernehmen. So was kann | |
Kunst. | |
Mit „Drifter“, dem schwebenden Riesenblock, markieren Gordijn und Nauta | |
eine neue Periode ihres Schaffens. Das Schwere wird federleicht, die | |
Moderne ist als Utopie gedacht. Die beiden KünstlerInnen haben an die Wand | |
des Saals einen kurzen Text aus Thomas Morus’„Utopia“ gestellt. In dem vor | |
500 Jahren erschienen Werk schildert der Engländer seine Idee von einer | |
besseren, weil freien und gleichen Gesellschaft. Morus beschreibt darin | |
eine Stadt aus gewaltigen steinernen Häusern, deren Bewohner nicht frieren | |
müssen – so gut sind die Bauten. | |
Im Nebenraum wird dazu das Video „Drifters“ gezeigt. Zwölf Minuten lang | |
poltern dort Hunderte animierte Betonblöcke in Slowmotion und Slowsound | |
hinab in eine schottische Hochebene – der Widerspruch zwischen der | |
Grandezza der saftigen Landschaft und den menschengemachten Quadern könnte | |
kaum größer sein. Und doch ist beides von großer Schönheit. Auch hier | |
scheinen Materie und Material zu tanzen. Ist das jetzt Kunst oder Handwerk | |
oder etwa Kunsthandwerk? | |
Tatsächlich ertappt man sich beim Gang durch die Ausstellung bei der Frage, | |
ob „Coded Nature“ vielleicht zu gefällig sein könnte. Immer nur Staunen, | |
bezaubert und beseelt sein – wo bleibt denn da die Reibung? Die | |
Beunruhigung? Gordijn und Nauta beantworten derlei Fragen auf ihre Weise: | |
mit Transparenz. | |
In einem eigenen Werkstatt-Raum zeigen sie ihr Arbeitsprinzip. Man sieht | |
Modelle, Videos und Zeichnungen, Aufrisse und Schaltkreise. Es wird | |
gezeigt, wie die Blumen-Ballettröcke genäht werden und wie sie mit einer | |
Art Schirmgestell zum Tanzen gebracht werden. | |
Nur eine Frage beantworten sie auch hier nicht: die nach dem schwebenden | |
Betonkoloss. Der fliegt tagein, tagaus unbeirrt durch den Saal im | |
Obergeschoss und bringt die Leute zum Staunen. Wie machen die das? Ist das | |
Magie? Ja. Doch wer sich Zeit nimmt und genau hinsieht und lauscht, findet | |
auch die technische Erklärung. Die Frage ist, ob man das wollen sollte. | |
24 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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