# taz.de -- Neuaufteilung Syriens: Land nur für Assad-Getreue | |
> In Syrien können Millionen Menschen enteignet werden. Ehemalige | |
> Rebellengebiete und Häuser Geflohener fallen an Assad-Loyalisten. | |
Bild: Zerstörte und von den Bewohnern verlassene Wohngebiete gibt es derzeit i… | |
Als Amira Ali (Name geändert) mit ihrer Familie 2011 aus ihrem Haus in Homs | |
floh, ließ sie alles zurück, was ihr etwas bedeutete: ihre Bücher, ihre | |
Kleider. Und den großen roten Teddybären, den ihr Freund ihr ein Jahr zuvor | |
zum Geburtstag geschenkt hatte. „Wir dachten, wir würden bald wieder | |
zurückkehren“, sagt Ali. | |
Heute lebt Familie Ali in Baden-Württemberg. Amira und ihr Freund haben | |
geheiratet und wollen in Deutschland bleiben. Ihre Eltern aber wollen | |
zurückkehren, sobald der Krieg vorbei ist. In Homs, mehr noch als anderswo, | |
war aus dem Kampf zwischen Regime und Rebellen schnell ein Konfessionskrieg | |
zwischen Assad-treuen Alawiten und Sunniten geworden. Die Alis sind | |
Sunniten, lebten aber in Zahra, einem vorwiegend alawitischen Viertel. | |
Nachdem die Familie ihr Haus verlassen hatte, wurde es von einer lokalen, | |
Assad-treuen Miliz beschlagnahmt. Die Kämpfer plünderten das Inventar, | |
putzten das Haus – und vermachten es einer alawitischen Familie. | |
Der Vater von Amira Ali versuchte, das Haus zurückzubekommen. Er schickte | |
seinen Bruder, um mit den neuen BewohnerInnen zu verhandeln. „Die gaben zur | |
Antwort, dass sie nur mit den rechtmäßigen Besitzern sprechen würden“, sagt | |
Ali. Ihr Vater habe sogar einen Anwalt in Damaskus kontaktiert. Doch | |
aufgrund des neuen Gesetzes, das Präsident Baschar al-Assad am 2. April | |
unterzeichnete, fürchtet Familie Ali, ihren Anspruch auf das Haus zu | |
verlieren. | |
Das „Gesetz Nummer 10“ ist der jüngste Schritt des Regimes, die Zukunft | |
Syriens ganz nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Es gibt ihm die | |
Möglichkeit, beliebige Gebiete im Land zu Bauzonen zu erklären, um sie neu | |
bebauen zu können. Sobald ein Gebiet entsprechend festgelegt ist, haben | |
Hausbesitzer einen Monat Zeit, um ihren Besitz bei den Behörden | |
nachzuweisen. Ansonsten fällt ihr Haus an den Staat und wird öffentlich | |
versteigert. Das Gesetz birgt also das Potenzial, Millionen von Syrer zu | |
enteignen. | |
„Gesetz Nummer 10 ist ein Persilschein für das Regime, um jede Region | |
Syriens umzustrukturieren“, sagt Hamidi al-Hadschi Hamidi von der | |
Vereinigung freier AnwältInnen aus dem von der Opposition kontrollierten | |
westlichen Umland von Aleppo. „Das Gesetz richtet sich insbesondere gegen | |
Leute, die der Opposition nahestehen. Es ist ein Verbrechen an allen | |
Syrern, die vertrieben wurden oder geflohen sind.“ | |
## Ein Auszug aus dem Strafregister | |
Zwölf Millionen Syrer haben ihre Häuser seit Ausbruch des Kriegs 2011 | |
verlassen, haben innerhalb oder außerhalb des Landes Schutz gesucht – über | |
die Hälfte der Bevölkerung. Zwar können Syrer im Ausland auch Verwandte zu | |
den Behörden schicken. Um einen Besitzanspruch geltend zu machen, brauchen | |
diese allerdings einen Strafregisterauszug. Und wer der Opposition | |
nahesteht, wer 2011 an Demonstrationen gegen Assad teilnahm, wird den kaum | |
bekommen. | |
„Wie sollen meine Eltern ihre Papiere bei der Lokalverwaltung | |
vorbeibringen, wenn sie in Deutschland sind?“, sagt Amira Ali. Zwar könnten | |
sie auch ihren Onkel schicken, der noch in Syrien lebt. Dieser fürchte | |
jedoch die Repression des Regimes, die ihm droht, wenn er nach dem Haus | |
seiner Verwandten fragt. | |
Die Weichen dafür, wie und für wen Syrien wiederaufgebaut werden soll, hat | |
das Regime schon vor Jahren gestellt – zu einer Zeit, als viele noch davon | |
ausgingen, das Regime Assads würde bald fallen. | |
Basatin al-Rasi – das „Rasi-Wäldchen“ – war vor dem Krieg ein einfaches | |
Arbeiterviertel im Süden von Damaskus. Während der Aufstände 2011 war es | |
bekannt dafür, dass seine BewohnerInnen die Opposition unterstützten. Im | |
Juli 2012 vertrieben junge Männer aus al-Rasi unter dem Banner der Freien | |
Syrischen Armee die syrischen Streitkräfte – die das Viertel jedoch am Tag | |
darauf wieder zurückeroberten. Wer sich an den Demonstrationen beteiligt | |
oder gekämpft hatte, floh. Zwei Monate später unterzeichnete Assad das | |
Dekret 66, das im Süden von Damaskus zwei Zonen für Neubauprojekte schuf. | |
In einer davon liegt Basatin al-Rasi. | |
## Marota City – eine Retortenstadt | |
Ein Beitrag eines regimetreuen Fernsehsenders vom März 2016 zeigt Präsident | |
Assad in Basatin al-Rasi vor einem großen Betonklotz. Er spachtelt Kitt in | |
eine Aussparung und setzt einen Ziegelstein ein – den symbolischen | |
Grundstein für ein gigantisches Bauprojekt mit dem Namen „Marota City“: | |
eine Retortenstadt mit Restaurants, Schulen, Mall und luxuriösen | |
Hochhäusern für 60.000 künftige Bewohner. Die Investorengruppe Damascus | |
Cham Holding wurde von der Stadtverwaltung von Damaskus eigens für dieses | |
Projekt ins Leben gerufen. Einer der Teilhaber: Rami Machluf, einer der | |
einflussreichsten Geschäftsmänner Syriens und Cousin Präsident Assads. | |
Von den Bewohnern des ehemaligen Arbeiterviertels Basatin al-Rasi wird es | |
sich kaum jemand leisten können, in Marota City zu leben. Das ursprüngliche | |
Viertel wurde komplett abgerissen – nur die Moschee hätten sie stehen | |
lassen, sagt Ahmad (Name geändert), ein ehemaliger Bewohner, der | |
mittlerweile in den Niederlanden lebt. Manche Bewohner seien umgezogen, | |
andere hätten Syrien verlassen. „Wer sein Haus bereitwillig aufgab, erhielt | |
eine Kompensation. Wer sich weigerte, musste trotzdem raus – und erhielt | |
nichts.“ | |
Das vordergründige Ziel von Dekret 66 ist es, informelle Siedlungen umbauen | |
zu können. Rund vierzig Prozent der Häuser in Syrien wurden illegal erbaut | |
– meistens von Leuten, die seit den 1960er Jahren vom Land in die Stadt | |
zogen und außerhalb der offiziellen Bauzonen zu bauen begannen. | |
Zugleich dient Dekret 66 dem Regime dazu, Oppositionelle zu vertreiben oder | |
an der Rückkehr zu hindern. Das sagen nicht nur Kritiker. Im Jahr 2012 | |
erklärte Ibrahim Ghalawandschi, der damalige Minister für Lokalverwaltung, | |
Dekret 66 sei „der erste Schritt, illegale Siedlungen umzubauen, vor allem | |
jene, die zum Ziel von bewaffneten Terroristen wurden. Diese Häuser wollen | |
wir nach hohen Entwicklungsstandards wieder aufbauen.“ | |
## Das Regime will eine loyale Bevölkerung | |
Als „Terroristen“ bezeichnet die syrische Regierung pauschal alle | |
RegimekritikerInnen. Schon damals war unmissverständlich, worauf die | |
Raumplanung des Regimes abzielte: auf ein Syrien, in dem sich das Regime | |
der Loyalität seiner Bevölkerung sicher sein kann. | |
Ähnliche Projekte sind in Planung. Im Mai 2015 verabschiedete das Regime | |
das Dekret Nummer 19, der es Lokalbehörden in Syrien wie im Falle von | |
Basatin al-Rasi erlaubt, Immobilienfirmen für den Neubau von Stadtvierteln | |
zu gründen. Im März 2017 geschah dies bereits in Homs, wo eine | |
Investorengruppe für den Neubau des ehemaligen Oppositionsviertels Baba Amr | |
eingesetzt wurde. Studien zu einem möglichen Umbau zwischen dem östlichen | |
Stadtrand von Damaskus und dem im März von der Armee zurückeroberten | |
Harasta in der Provinz Ostghuta sind in Planung. | |
In Teilen Syriens fanden Enteignungen ganz ohne rechtliche Grundlage statt. | |
In den Städten Majadin und Abu Kamal im Osten Syriens sei es den Bewohnern | |
verboten, zurückzukehren, sagt Aktivist Aghiad al-Cheder. Er wuchs in Abu | |
Kamal auf, wohnt heute aber in Deutschland. Die Orte würden von | |
Assad-treuen irakischen und iranischen Milizen kontrolliert, sagt er: „Die | |
Bewohner, die während der Kämpfe gegen den ,Islamischen Staat' fliehen | |
mussten, leben in der Wüste und werden nicht zu ihren Häusern | |
zurückgelassen.“ | |
Abdelkarim Halabi ist ein Aktivist aus dem ehemals belagerten Ostaleppo, | |
der heute in der Türkei lebt. Seine Verwandten hätten versucht, in sein | |
Haus in Salah al-Din zu ziehen, sagt Halabi. Doch am Checkpoint ins Viertel | |
seien sie von den Milizen verhört und zurückgeschickt worden. Durch | |
ehemalige Nachbarn habe er erfahren, dass mittlerweile andere Leute in | |
seinem Haus lebten. | |
In Basatin al-Rasi bei Damaskus haben inzwischen die Bauarbeiten begonnen. | |
27 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Mostafa Al-Shimali | |
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