| # taz.de -- Eine neue Ordnung | |
| > Europa will mit aller Macht an dem Atomabkommen mit Iran festhalten, das | |
| > Trump einseitig aufgekündigt hat | |
| Bild: Die Gäste eines Teehauses in Teheran verfolgen Trumps Erklärung | |
| Aus Berlin, Brüssel und Teheran Eric Bonse, Anja Krüger, Jan Pfaff und | |
| Peter Philipp | |
| Den Katholikentag in Münster wählt Angela Merkel, um ihrer Enttäuschung | |
| Ausdruck zu verleihen. An einem Pult mit der Aufschrift „Suche Frieden“ | |
| spricht die Kanzlerin am Freitagvormittag über die internationalen | |
| Verwerfungen der vergangenen Tage. Und über die Folgen von Donald Trumps | |
| Entscheidung, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen. Mit einer | |
| schnellen Unterschrift hatte Trump am Dienstagabend eine Vereinbarung stark | |
| verletzt, wenn nicht gar völlig zerstört, deren Aushandeln zahlreiche | |
| Regierungschefs und Diplomaten jahrelange Arbeit gekostet hatte. | |
| Mit der Unterzeichnung des Abkommens verpflichtete sich der Iran 2015, im | |
| Tausch gegen die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen sein | |
| Atomwaffenprogramm nicht weiter voranzutreiben. Inspektoren der | |
| Internationalen Atomenergiebehörde kontrollierten die Einhaltung der | |
| Zusagen – und bestätigten bisher in allen Berichten, dass der Iran sich | |
| daran hielt. Aber Trump interessierte das nicht. Für ihn war das von seinem | |
| Vorgänger Barack Obama ausgehandelte Abkommen der „schlechteste Deal, der | |
| je ausgehandelt wurde“. | |
| An dem Redepult in Münster distanziert sich Merkel so deutlich wie selten | |
| zuvor von dem US-Präsidenten. Trumps Entscheidung „verletzt das Vertrauen | |
| in die internationale Ordnung“. Es sei nicht richtig, eine vom | |
| Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig gebilligte Verabredung | |
| einseitig aufzukündigen. Und dann schlägt die sonst Kanzlerin, der Pathos | |
| sonst so fernliegt, einen großen Bogen, vom Westfälischen Frieden in die | |
| Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Vereinten Nationen gegründet | |
| wurden und die „Weltgemeinschaft zu unglaublichen Taten fähig war“. Dieser | |
| Geist des Multilateralismus sei heute ernsthaft gefährdet. | |
| Mit ihren Sorgen ist Merkel in diesen Tagen Teil einer globalen | |
| Gemeinschaft. Auch in London, Paris und Moskau zeigte man sich bestürzt | |
| über Trumps Schritt – nur Israel und Saudi-Arabien begrüßten die | |
| Entscheidung. | |
| Enttäuschung ist auch das dominierende Gefühl, das einem auf den Straßen | |
| Teherans begegnet. „Vielleicht hätten wir ja die USA nicht immer so hart | |
| beschimpfen sollen“, sagt eine junge Mutter in einem der besser situierten | |
| Stadtteilen Teherans. Ihr Mann widerspricht: „Wir waren zu lasch und haben | |
| uns ein Abkommen aufschwätzen lassen, das uns gar nichts gebracht hat.“ Der | |
| Mann ist Staatsangestellter. Er macht Präsident Hassan Rohani dafür | |
| verantwortlich, dass von den Verbesserungen der Lebensbedingungen, die nach | |
| der Unterzeichnung des Abkommens versprochen wurden, in seinem Alltag kaum | |
| etwas angekommen sei. | |
| Im Gegenteil, die USA hätten mit dem Abkommen nur einen Teil ihrer | |
| Sanktionen gegen den Iran ausgesetzt, andere Beschränkungen dagegen | |
| unverändert aufrechterhalten. „Das wäre uns unter Ahmedinedschad nicht | |
| passiert. Der bewies Stärke und das Ausland hätte sich solch repressive | |
| Maßnahmen nicht getraut“, sagt der Mann. Ahmedinedschads Nachfolger Rohani | |
| sei einfach zu schwach. | |
| In dem Gespräch bekommt man einen Eindruck davon, wem Trumps Ausstieg im | |
| Iran vor allem nutzen könnte: den Hardlinern. Es ist knapp ein Jahr her, | |
| dass Rohani mit großer Mehrheit für eine zweite Amtszeit gewählt wurde. | |
| Seine konservativen Widersacher machten ihm im Wahlkampf den Vorwurf, mit | |
| dem Atomabkommen von 2015 nichts erreicht zu haben. Bei den Wählern verfing | |
| das aber nicht. | |
| Dass Trump trotz seiner vielen Ankündigungen tatsächlich so weit gehen | |
| würde, das Abkommen einseitig zu beenden, haben die meisten Iraner offenbar | |
| nicht erwartet. Und so sind vor der Trump-Rede am Dienstag in Teheran die | |
| Lokale wie immer gut besucht, der Verkehr zieht sich so zähflüssig dahin | |
| wie immer. Wenig Nervosität ist zu sehen, und umso größer ist die | |
| Ernüchterung nach Trumps Auftritt: Spontan sagen viele, dies sei der | |
| Beweis, dass das Abkommen ein Fehler war und dass es „dem Ausland“ – nicht | |
| nur den USA – ja nur darum gehe, den Iran niedrig zu halten und zu | |
| isolieren. | |
| Präsident Rohani wird seinen Gegnern aber das Feld nicht einfach | |
| überlassen, er hat erst das erste Jahr seiner zweiten Amtszeit hinter sich. | |
| Wären jetzt Wahlen, stünde das Rohani-Lager vermutlich auf verlorenem | |
| Posten, und es könnte sich wiederholen, was nach dem erfolglosen Reformer | |
| Mohammad Khatami geschah: Die enttäuschten Wähler brachten damals den | |
| Hardliner Mahmud Ahmedinedschad ins Amt. Den Mann, der mit radikalen | |
| Sprüchen, vor allem aber mit einer zügellosen Atompolitik den Iran in die | |
| internationale Isolation trieb. | |
| Rohani trat danach ein schweres Erbe an. Das Land litt schwer unter den | |
| Sanktionen und dem allgemeinen Misstrauen, das die Außenwelt ihm | |
| entgegenbrachte. Erst das mühsam ausgehandelte Atomabkommen versprach dem | |
| ein Ende zu bereiten. | |
| Und so versucht Rohani nun zu retten, was zu retten ist: Die Hoffnungen, | |
| das Abkommen auch ohne die USA aufrechterhalten zu können, ruhen dabei vor | |
| allem auf den Europäern. Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten | |
| vor Jahren die Initiative zu Atomverhandlungen ergriffen, und sie stellen | |
| sich nach Trumps Auftritt in einer gemeinsamen Erklärung hinter das | |
| Abkommen. | |
| Nur selbst unter Anhängern Rohanis ist man da skeptisch: „Es ist leicht, | |
| Briefe zu schreiben und Erklärungen abzugeben“, sagt einer von ihnen. | |
| In Brüssel gibt man sich in diesen Tagen wild entschlossen, die EU will um | |
| fast jeden Preis an dem Abkommen festhalten. „Der Atomdeal mit dem Iran ist | |
| die Krönung von 12 Jahren Diplomatie“, betont die EU-Außenbeauftragte | |
| Federica Mogherini, das werde man nicht einfach so aufgeben. Es gehe nicht | |
| nur um den Frieden im Nahen Osten, sondern auch um die „wirtschaftlichen | |
| Investitionen“ der Europäer. Bereits am Montag ist ein Treffen zwischen den | |
| großen Drei – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – mit Iran | |
| geplant. Man will unbedingt verhindern, dass die Iraner ihrerseits das | |
| Abkommen aufkündigen. | |
| Das zweite Ziel des Treffens ist es, „die internationale Gemeinschaft“ | |
| zusammenzuhalten – auch ohne die USA. Gemeint sind damit vor allem die | |
| weiteren Vertragsstaaten Russland und China. Allerdings sind die | |
| Beziehungen zu Russland angespannt. | |
| Als größte Schwachstelle könnten sich die US-Sanktionen erweisen. Denn sie | |
| werden europäische Unternehmen treffen, die in den USA tätig sind und mit | |
| Iran Geschäfte machen. Das volle Ausmaß der US-Sanktionen sei noch nicht | |
| absehbar, sagte eine Kommissionssprecherin. Die Folgen für europäische | |
| Unternehmen müssten noch geprüft werden. Erst danach könne man über | |
| mögliche Schutzmaßnahmen nachdenken. | |
| Auch für die deutsche Wirtschaft sind die Folgen der US-Sanktionen das | |
| dominierende Thema. Trump will, dass die Handelsverbote nicht nur von | |
| US-Firmen, sondern von allen Unternehmen weltweit befolgt werden. Solange | |
| das Atomabkommen mit den übrigen Unterzeichnerstaaten in Kraft bleibt, gibt | |
| es von europäischer Seite zwar keine Handelsverbote, und europäische Firmen | |
| können ihre Geschäfte im Iran weiterbetreiben. Sie bekommen aber ein | |
| Problem, wenn sie außerdem in den USA aktiv sind. | |
| Deutschen Firmen mit Iran-Engagement drohen hohe Strafen oder sogar das | |
| Verbot, Waren in die USA zu liefern. Die sogenannte exterritoriale, also | |
| über das eigene Rechtsgebiet hinausreichende Anwendung von Sanktionen ist | |
| völkerrechtlich zwar umstritten, trotzdem hat sie in den USA immer wieder | |
| dazu geführt, dass Gerichte Unternehmen zu Geldstrafen in Milliardenhöhe | |
| verurteilt haben. | |
| Getroffen hat es etwa die Commerzbank und die französische BNP Paribas, | |
| weil sie gegen Sanktionen gegen Kuba oder den Iran verstoßen haben. Das | |
| Bundeswirtschaftsministerium will nun Gespräche mit Unternehmen führen, die | |
| von dem Trump-Bann betroffen sind. Eine Lösung sei aber schwierig, betont | |
| Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): „Wir haben juristisch keine | |
| Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen | |
| Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen.“ | |
| Auch in Brüssel ist in diesen Tagen viel Distanz zu spüren, wenn es um das | |
| Verhältnis zu den USA geht. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker | |
| äußert, ähnlich wie Merkel, deutliche Zweifel an der Verlässlichkeit der | |
| USA. Unter Trump kehre das Land multilateralen Beziehungen den Rücken, „mit | |
| einer Heftigkeit, die uns nur überraschen kann“, so Juncker. Man müsse sich | |
| auf alles gefasst machen. | |
| Bisher ist die EU darauf aber denkbar schlecht vorbereitet. Während sie im | |
| Zollstreit mit den USA bereits seit Wochen mögliche Vergeltungsmaßnahmen | |
| plant, steckt sie bei der Abwehr der Iran-Sanktionen noch mitten im | |
| Brainstorming. In Brüssel werden bisher nur Optionen diskutiert, ein | |
| fertiges Maßnahmenpaket gibt es noch nicht. | |
| Eine Möglichkeit wäre es, ein Abwehrgesetz aus dem Jahr 1996 zu | |
| reaktivieren. Das sogenannte Blocking Statute war damals im Streit um | |
| Sanktionen gegen Kuba, Iran und Libyen erlassen worden. Damit könnte es | |
| europäischen Firmen unter Androhung von Strafe verboten werden, sich an die | |
| US-Sanktionen gegen den Iran zu halten. Gleichzeitig würde das Statut | |
| regeln, wie europäische Unternehmen für entstehende Verluste entschädigt | |
| werden. Es wurde bisher aber nie wirklich erprobt – niemand weiß, ob es | |
| funktioniert. | |
| Recht vage ist auch die Idee, die Europäische Investitionsbank (EIB) zum | |
| Schutz von Investitionen einzusetzen. Da sie nicht in den USA aktiv ist, | |
| könnte die EIB Geschäfte in Iran fördern, ohne Sanktionen fürchten zu | |
| müssen. Vorher wären aber noch diverse praktische Hürden zu überwinden. | |
| Während Trump weiter Druck macht und bereits in dieser Woche nicht nur alte | |
| Iran-Sanktionen wieder in Kraft gesetzt, sondern auch neue eingeführt hat, | |
| muss sich die EU noch sortieren. | |
| 12 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| Anja Krüger | |
| Peter Philipp | |
| Jan Pfaff | |
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