| # taz.de -- „Jim Knopf“-Film und Diskriminierung: Ohne N-Wort geht’s auch | |
| > „Jim Knopf“ zeigt, dass man auch ohne die schlimmsten Rassismen dem | |
| > Original treu bleiben kann. Am Sexismus wurde aber festgehalten. | |
| Bild: In deutschen Erzählungen immer noch sehr selten: ene schwarze Hauptfigur… | |
| Jim Knopf ist erwartet worden – mit Vorfreude und Besorgnis. Die Verfilmung | |
| von Michael Endes Kinderbuchklassiker hat zahlreiche Fans, was sich daran | |
| zeigte, dass „Jim Knopf“ in den Charts mehrere Hollywood-Blockbuster | |
| überholte. | |
| Zugleich ist der Film [1][neben „Black Panther“] und „Das Zeiträtsel“ … | |
| von drei aktuellen Filmen, die mit schwarzen Hauptfiguren aufwarten, aber | |
| der Einzige aus Deutschland. „Jim Knopf“ dürfte auch der umstrittenste | |
| sein, weil Michael Ende in seiner Erzählung zum einen auf diskriminierende | |
| Beschreibungen für schwarze Menschen zurückgreift und zum anderen | |
| zahlreiche Ostasienklischees enthält. | |
| Für Kinder in Deutschland bietet der Film eine herausragende schwarze | |
| Hauptfigur: Jim Knopf, der in einem Postpaket auf der Insel Lummerland | |
| landet und später mit seinem Freund Lukas, einem Lokomotivführer, nach | |
| Mandala auswandert. Auf der Suche nach der geraubten mandalanischen | |
| Prinzessin Li Si begegnet er Halbdrachen und Scheinriesen und besiegt eine | |
| Drachenlehrerin, die Kinder aus der ganzen Welt raubt, um sie in einer | |
| Schule zu quälen. | |
| An der Originaldarstellung Jims gibt es viel zu kritisieren: An einer | |
| Stelle wird der schwarze Junge mit dem N-Wort bezeichnet, anderswo wird | |
| Lukas’ vom Ruß dreckige Haut als genauso schwarz wie Jims beschrieben und | |
| an wieder anderer Stelle erbleicht Jim unter seiner schwarzen Haut – als | |
| wäre sie nur aufgeschminkt. Schafft es nun die Fantasy-Verfilmung, weniger | |
| rassistisch zu sein als die Vorlage? | |
| ## In ihrer Intention antirassistisch | |
| Trotz aller Kritik sollte vorangestellt sein, dass Michael Endes Erzählung | |
| in ihrer Intention und Botschaft keine rassistische ist – im Gegenteil. Sie | |
| rechnet explizit mit Autoritarismus und Nationalsozialismus ab, ihre Helden | |
| sind Arbeiter, nämlich Lokomotivführer, und deren Freunde sind allerlei | |
| Außenseiter, die aus Angst oder Verachtung ausgegrenzt werden, und | |
| schließlich ist die in der Geschichte formulierte Utopie ein Land, in dem | |
| Kinder aus aller Welt in Frieden leben dürfen. Auch die Tatsache, dass die | |
| Hauptfigur Jim selbstverständlich schwarz und deutsch (äh … lummerländisch) | |
| ist, ist auch fast sechzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buches | |
| keine Selbstverständlichkeit in deutschen Erzählungen. | |
| Doch wie ist es nun mit dem Film und dem N-Wort? Bei den rassistischen | |
| Stellen aus dem Buch haben sich die DrehbuchautorInnen offensichtlich Mühe | |
| gegeben: Das N-Wort kommt nicht vor und auch die Stellen, die Jims dunkle | |
| Haut mit Lukas’ dreckiger Haut vergleichen, sind weg. Der „dicke gelbe | |
| Kopf“, der die Tür des kaiserliche Palastes in Mandala hütet, ist nur gelb | |
| geschminkt. Kurz: Der Film zeigt, dass man dem Original von Michael Ende | |
| treu bleiben und dabei die Erzählung in seinem Sinne aktualisieren kann. | |
| Die große Schwäche in der Hinsicht aber ist das Land Mandala – im Buch wie | |
| im Film. In der Erzählung ist es der zivilisierteste Ort der Welt. Während | |
| Lummerland nicht einmal ein Dorf ist und ein verwirrter Mann im Morgenrock | |
| sich für einen König hält, gibt es in Mandala eine Hauptstadt mit | |
| florierendem Handwerk und der Kaiser unterhält eine Bürokratie, Militär und | |
| Wissenschaftler. Problematisch ist jedoch, dass Michael Ende dabei auf | |
| Ostasienklischees und Chinesenwitze zurückgreift, um die Befremdung von | |
| Jim und Lukas in dieser für sie unbekannten Gesellschaft darzustellen: So | |
| essen die Mandalanier Wespennester in Schlangenhaut, haben Namen wie Ping | |
| Pong und Pi Pa Po und Kinder und Kindeskinder, die zwar noch klein, aber in | |
| ihrem Verhalten erwachsen sind. | |
| Mandala kann aus „Jim Knopf“ nicht so einfach gestrichen werden wie das | |
| N-Wort, denn es ist wortwörtlich die Mitte der Welt und zentraler | |
| Handlungsort. Auch der Film legte seinen Schwerpunkt darauf, Mandala vor | |
| allem exotisch aussehen zu lassen, und verzichtete deshalb explizit auf | |
| mögliche Drehorte in China, um ein „Mandala zu schaffen, wie es noch kein | |
| Kinobesucher gesehen hat“, wie Szenenbildner Matthias Müsse sagt. Dennoch | |
| sei es stark von chinesischer Architektur inspiriert. Der Spagat scheint | |
| gelungen, denn das Mandala des Films wirkt tatsächlich authentisch – auch | |
| wenn die Intensität an bunten Kostümen, architektonischen Sonderelementen, | |
| Lampions und anderen Dekorationen sehr verkitscht ist. | |
| ## Die Welt durch die Augen von Europäern | |
| Mandala ist so immer noch durch die Augen der beeindruckten europäischen | |
| Ausländer dargestellt, die aus ihrer Heimat nur Grau- und Brauntöne kennen. | |
| Gut ist deshalb, dass der Film letztendlich eine wichtige Szene aus dem | |
| Buch beibehalten hat: Als Lukas und Jim sich vor dem mandalanischen Essen | |
| ekeln, bitten sie stattdessen um ein Käsebrot, was direkt zurückgespielt | |
| wird: „Ist Käse nicht verschimmelte Milch?“ | |
| Die andere Schwachstelle findet sich zum Schluss des Films, als Jim und | |
| Lukas die Prinzessin Li Si und Kinder aus der ganzen Welt aus den Fängen | |
| Frau Malzahns befreien. Das Klassenzimmer ist eine Ansammlung | |
| folkloristischer Klischees, von der amerikanischen Ureinwohnerin mit Feder | |
| im Haar bis zum braunen Kind mit Turban. Michael Endes Vorstellung vom | |
| Multikulti-Klassenzimmer war vermutlich einst antirassistisch gemeint, | |
| wirkt heute aber andersherum: als Reduktion auf von Europäern formuliertes | |
| Klischees. Hier hat der Film einen eigenen Perspektivwechsel eingebaut: Ein | |
| weißer Junge verfällt beim Anblick der Lokomotive Emma in deutsche Mundart, | |
| während die anderen Kinder achselzuckend auf hochdeutsch fragen: „Was hat | |
| der gesagt?“ | |
| Was Michael Endes Erzählung aber nie war, ist: antisexistisch. Die Welt von | |
| „Jim Knopf“ ist geradezu entvölkert, was Frauen angeht. In beiden Bänden | |
| kommen eine handvoll Frauen vor und dazu noch in stereotypen Rollen: die | |
| Hausfrau Waas, die Prinzessin Li Si, die strenge Lehrerin Malzahn und die | |
| Meerjungfrau Sursulapitschi. Ihre Geschichten sind genauso stereotyp: Frau | |
| Waas würde gerne Mutter sein und befürchtet, ihren Ziehsohn Jim zu | |
| verlieren, Li Si wird geraubt und muss von Jim gerettet werden, Frau | |
| Malzahn muss Jim erst besiegen, damit sie zum „Goldenen Drachen der | |
| Weisheit“ wird. | |
| Der Film ist in dieser Hinsicht nicht besser – und fügt leider selbst noch | |
| mehrere problematische Stellen hinzu. Anders als im Buch bringt | |
| beispielsweise Herr Ärmel seine Wäsche zu Frau Waas. Die Stelle ist für die | |
| Erzählung nicht notwendig, sie soll offenbar Herrn Ärmel als eingebildet | |
| und inkompetent vorführen, doch gleichzeitig bestätigt sie stereotype | |
| Rollenbilder, und obwohl Frau Waas sichtlich protestieren möchte, tut sie | |
| es nicht. | |
| ## Hollywood ist mutiger | |
| Später im Film verleugnet der Halbdrache Nepomuk seine Nilpferd-Mutter, | |
| indem er über seinen Vater behauptet, dieser sei „kurzsichtig gewesen“. Die | |
| Unterstellung ist, dass der Drachenvater sich eigentlich niemals mit einem | |
| Nilpferd abgegeben hätte und bedient sich eines sexistischen Musters, bei | |
| dem Männer Frauen anhand ihres Aussehens bewerten. Auch das ist eine | |
| unnötige Abweichung vom Buch. Und so bekommt ausgerechnet die Stelle, an | |
| der Michael Ende mit der Rassentheorie des Nationalsozialismus abrechnet, | |
| im Film auch noch eine rassistische Komponente: Als Nilpferd kommt Nepomuks | |
| Mutter offensichtlich aus Afrika. | |
| Die Verfilmung von „Jim Knopf“ zeigt, dass man ein Original stellenweise | |
| tatsächlich behutsam und bedeutsam verbessern kann. Aber die Neuerzählung | |
| hätte mutiger sein können, so wie die Regisseurin von „A Wrinkle in Time“, | |
| die sich nicht scheute, eine als weiß geschriebene Figur schwarz zu casten, | |
| oder der Regisseur von „Ghostbusters“, der die Hauptfiguren in der | |
| Neuverfilmung mit Frauen besetzte. | |
| Ein ebenfalls schwarzer Lukas oder Jim als Mädchen – das wäre in | |
| Deutschland leider unvorstellbar. | |
| 17 Apr 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lalon Sander | |
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