# taz.de -- Arabisches Filmfestival in Berlin: Der Geschmack von Krieg und Beton | |
> Am Mittwoch startet die 9. Ausgabe des arabischen Filmfestivals Alfilm. | |
> In viele Beiträge hat sich der syrische Bürgerkrieg eingeschrieben. | |
Bild: „Taste of Cement“ verbindet spektakuläre Bilder Beiruter Baustellen … | |
Leicht indigniert nehmen die Tauben auf einem Dach in Damaskus den Lärm | |
hinter ihnen zur Kenntnis. Für den Schriftsteller Ibrahim Samuel hingegen | |
ist Damaskus mit all seinem Lärm und Dreck ein Lebenselixir. Der in | |
Österreich lebende syrische Filmemacher Alfoz Tanjour nutzt den Blick | |
Samuels, um sich seiner Heimatstadt Damaskus nach einem Filmstudium im | |
Ausland zu nähern. | |
Die bescheidenen Wünsche Samuels nach einem Leben ohne Stromausfälle und | |
unvermittelt abgestelltes Wasser bilden einen Gegenpol zu Tanjours eigenen | |
Reflektionen auf der Tonspur in seinem Dokumentarfilm „A Memory in Khaki“. | |
Tanjours Film ist einer von vielen der diesjährigen, neunten, Ausgabe von | |
[1][Alfilm], dem arabischen Filmfestival in Berlin, in den sich die | |
Verwüstungen des syrischen Bürgerkriegs eingeschrieben haben. | |
Folgt man der Mittelmeerküste nach Süden zeigt sich wie sehr dieser | |
Konflikt abstrahlt: Kurz hinter der syrisch-libanesischen Grenze in der | |
Bergregion Akkar kämpft Haykal, ein maronitischer Christ mit Ruwaida, einer | |
Muslimin, im Dokumenarfilm „Those Who Remain“ von Eliane Raheb darum, | |
bleiben zu können. | |
Auch wenn seine Schafe fast nichts mehr einbringen, weil Schafe, die die | |
syrische Armee den Aufständischen weggenommen hat, zu Billigpreisen über | |
die Grenze gehandelt werden; auch wenn endlose Lastwagenkolonnen, gegen die | |
die Nägel, die Ruwaida auf die Straße voller Schlaglöcher wirft, nichts | |
ausrichten können, alles mit Staub bedecken und die Apfelernte vernichten: | |
Haykal bleibt. | |
Noch etwas weiter südlich, in Beirut, steigen syrische Arbeiter in Ziad | |
Khartoums Dokumentarfilm „Taste of Cement“ Tag ein Tag die Treppe hinauf, | |
die durch ein Loch im Betonboden auf die Baustelle führt. Immer wieder | |
stehen in Khartoums Film Fassaden, die noch immer von den Geschossen des | |
Bürgerkriegs zerfurcht sind, neben den glatten Oberflächen der Neubauten. | |
Zement fließt stoßweise zum Geräusch von Wellen aus einem Schlauch auf den | |
Boden als dränge das Meer schon beim Bau in das Gebäude. Abends sitzen die | |
Arbeiter unter der Erde im Fundament das Gebäudes und essen ihr gemeinsames | |
Abendessen während aus dem Fernseher der kriegerische Alltag der Region auf | |
sie hernieder prasselt. | |
„Taste of Cement“ verbindet spektakuläre Bilder von den Bauarbeiten hoch | |
über Beirut mit einer persönlichen Erinnerung an die Kindheit in Syrien mit | |
einem Vater, der ebenfalls schon in Beirut arbeitete, und Bildern des | |
syrischen Bürgerkriegs. | |
Bisweilen ist der Film ein wenig arg in seine eigenen Bilder verliebt, aber | |
das kollektive Porträt der Bauarbeiter rettet den Film immer wieder zur | |
rechten Zeit. „Beirut erwacht zum Klang der Bauarbeiten, wie an jedem Tag | |
seit dem Ende des Krieges.“ | |
In seinen impliziten Parallelen zwischen dem bis heute andauernden | |
(Wieder-)Aufbau Beiruts und der Hoffnung, dass Syrien diesen Punkt | |
überhaupt irgendwann mal erreichen möge, zwischen der Zerstörung in der | |
Heimat der Bauarbeiter, dem Glanz der fertigen Oberflächen der Gebäude und | |
dem Staub der Baustellen entwirft „The Taste of Cement“ ein melancholisches | |
Bild gleich mehrerer Transformationsprozesse. | |
Dokumentarfilme und der Libanon bilden ohnehin Schwerpunkte der | |
diesjährigen Ausgabe von Alfilm. In einem Schwerpunktprogramm zu arabischen | |
Männlichkeiten laufen gleich drei umwerfende Arbeiten: Die älteste stammt | |
von einem der Großmeister des zeitgenössischen Dokumentarfilms, von Mohamed | |
Soueid. | |
1994 widmete Soueid der syrischen Transgenderperson Khaled El Kurdi mit | |
„Cinema Fouad“ ein intimes Porträt. Drei Jahre später reiste Soueids | |
Kollege Akram Zaatari die libanesische Küste entlang. In „Majnounak: On | |
Men, Sex and the City“ befragte er in der Tradition von Pier Paolo | |
Pasolinis „Comizi d’amore“ Männer an den Stränden zu Sexualität. | |
Ibrahim Salameh, ein ehemaliger PLO-Kämpfer, wurde in den 1980er Jahren im | |
Südlibanon von einem Scharfschützen getroffen und liegt seitdem | |
querschnittsgelähmt in einem Krankenhaus der PLO in Amman. Gepflegt wird | |
Ibrahim von dem deutlich jüngeren Walid, der seine Familie in Ägypten | |
zurückgelassen hat, um in Jordanien zu arbeiten. Sandra Madis | |
Dokumentarfilm „Saken“ zeigt die schwierige Beziehung zwischen Ibrahim und | |
Walid, die Arbeitsverhältnis, Freundschaft und Abhängigkeit zugleich ist. | |
Auch in diesem Jahr lädt Alfilm dazu ein, arabische Filme in ihrer ganzen | |
Bandbreite zu entdecken: beim freudigen Feiern, beim nachdenklichen Blick | |
zurück und bei der Wiederentdeckung vergessen geglaubter Stimmen und | |
Bilder. Eine jedes Jahr aufs neue unwiderstehliche Einladung zum Sehen und | |
Zuhören. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
5 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.alfilm.de/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
Zehn Jahre Arabischer Frühling | |
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