# taz.de -- Debatte Deutsche Kurdenpolitik: Anerkennen statt ignorieren | |
> Der deutsche Umgang mit Kurden ist außenpolitischen Interessen | |
> untergeordnet. Die Bundesregierung braucht endlich eine eigenständige | |
> Kurdenpolitik. | |
Bild: Die YPG ist in Deutschland nicht verboten – ihre Fahnen auf Demonstrati… | |
Gibt es eine eigenständige, kohärente und nachhaltige deutsche | |
Kurdenpolitik? Braucht Deutschland eine solche Kurdenpolitik? Ein | |
kritischer Blick zeigt, dass die erste Frage leicht mit Nein und die zweite | |
mit einem Ja zu beantworten ist. | |
Kurdische Bürgerinnen und Bürger sind numerisch eine große Migrantengruppe. | |
Sie leben und arbeiten seit mehreren Generationen in Deutschland, tragen | |
zum Bruttosozialprodukt bei und sind mit diversen Unternehmen, Vereinen und | |
politischen Organisationen vertreten. Kurdische Interessenvertretungen | |
wurden lange Zeit als „getarnte Kämpferverbände“ angesehen und ausgegrenz… | |
Auch heute gibt es noch Nachholbedarf, was Anerkennung und Gleichbehandlung | |
angeht. | |
Dies fängt bei einer Sprache an, die Kurden nicht pauschal ignoriert oder | |
subsumiert (wie etwa unter „türkischstämmig“) oder auch bei der Verteilung | |
integrationspolitischer Fördermaßnahmen. Die Abstinenz einer eigenständigen | |
Kurdenpolitik bedeutet jedoch nicht, dass es keine Politik in Bezug auf | |
Kurden und den grenzüberschreitenden historischen Konflikt gibt. Betrachtet | |
man den Umgang Deutschlands mit kurdenpolitischen Fragen, so kann | |
konstatiert werden. | |
Erstens ist der politische Umgang eingebettet in die Beziehungen | |
Deutschlands zur Türkei, Irak, Syrien und Iran – den Herkunftsstaaten der | |
Kurden. Er ist primär geleitet von außenpolitischen Interessen und dem | |
Bestreben, die Beziehungen zu diesen Staaten nicht zu gefährden. Die Kurden | |
sind dem zwischenstaatlichen Beziehungsgeflecht und der außenpolitischen | |
Interessenpolitik ganz klar untergeordnet. | |
## Deutschland als Handlanger türkischer Interessen | |
Zweitens steht der politische Umgang mit den Kurden im Zusammenhang mit den | |
Entwicklungen im Kurdenkonflikt in der Türkei und im Nahen Osten. Konflikte | |
und Krisenentwicklungen wirkten sich in der Vergangenheit wie auch heute | |
auf die Situation in Deutschland aus, weil hier lebende kurdische | |
Bürgerinnen und Bürger in unterschiedlicher Weise davon betroffen sind. | |
Stets war und ist die Politik reaktiv, weil sie nicht nachhaltig angelegt | |
ist. Oftmals nahm sie erst unter innenpolitischem öffentlichem Druck | |
notwendige Korrekturen vor, wie etwa die Aussetzung der Waffenlieferungen | |
an die Türkei in den 1990er Jahren. | |
Drittens ist der Umgang im Innern durch einen sicherheitspolitischen Ansatz | |
geleitet. Dieser läuft im Großen und Ganzen auf dem Rücken der Kurden, da | |
er die gesellschaftliche Anerkennung schmälert und berechtigte Anliegen von | |
Kurden ignoriert. Damit wird ihrer Kriminalisierung und Wahrnehmung als | |
„Sicherheitsproblem“ Vorschub geleistet. Bei vielen Kurden erzeugt dies | |
Unmut, Ohnmacht und stärkt das Gefühl, gezielt ausgegrenzt zu werden. | |
Aktuell schlägt sich diese Frustration darin nieder, dass Demonstrationen | |
von Kurden gegen den völkerrechtswidrigen militärischen Einmarsch der | |
Türkei in Afrin nicht erlaubt werden oder mit Restriktionen versehen sind, | |
wenn etwa Symbole und Fahnen der syrisch-kurdischen PYD/YPG, die engste | |
Verbündete der USA im Kampf gegen den IS ist, getragen werden. Diese | |
Verbote und Einschränkungen, die das Recht auf Versammlungsfreiheit | |
tangieren, sind kaum nachvollziehbar. Vor allem aber verstärken sie die | |
Überzeugung, dass deutsche Kurdenpolitik eine Verlängerung der aggressiven | |
türkischen Kurdenpolitik ist und Deutschland zum Handlanger türkischer | |
Interessen wird. Die einseitige Parteinahme oder auch das Schweigen werden | |
zu Recht als unzumutbar empfunden. | |
## Kurdische Communities als Subjekt anerkennen | |
Viertens wird zwar der historische Konflikt um die Rechte der Kurden | |
grundsätzlich nicht negiert, sondern als eine Frage der Menschen- und | |
Minderheitenrechte angesehen. Dennoch fehlt es an einer sichtbaren | |
Unterstützung durch politische Strategien im Rahmen der zwischenstaatlichen | |
Beziehungen ebenso wie an friedensorientierten Bemühungen, um historisch | |
gewachsene Autonomieforderungen von Kurden konstruktiv einzubeziehen. | |
Stattdessen dominiert die Status quo wahrende Herangehensweise, kurdische | |
Autonomieanforderungen per se abzulehnen und größtenteils im Sinne der | |
autoritär-repressiven Kurdenpolitiken der Staaten, in denen Kurden leben, | |
handzuhaben. Unabhängig davon, ob eine Autonomie sinnvoll ist oder nicht, | |
erfordern regionale Entwicklungen wie Krieg und Zerfallsprozesse in Syrien | |
und im Irak ein Überdenken althergebrachter Strategien. | |
Um eine von demokratischen Werten geleitete Außen- und Sicherheitspolitik | |
Deutschlands zu stärken und vorhandene Dilemmata des politischen Umgangs | |
mit Kurden aufzulösen, bedarf es einer eigenständigen und nachhaltigen | |
Kurdenpolitik, die souverän und nicht als „Anhängsel“ der Türkei-, Irak- | |
oder Iran-Politik wirkt. Das setzt voraus, kurdische Communitys in | |
Deutschland als Subjekt und ihre Interessenvertretungen als Ansprechpartner | |
anzuerkennen sowie politische Strategien zur Förderung von Inklusion und | |
Gleichbehandlung zu entwickeln und umzusetzen. | |
In außenpolitischer Hinsicht bedarf es neuer friedenspolitischer | |
Strategien, um die Beziehungen mit kurdischen Akteuren und | |
zivilgesellschaftlichen Einrichtungen in den Herkunftsstaaten nachhaltig | |
aufzubauen und kurdische Autonomiebestrebungen konstruktiv in laufende und | |
zukünftige Prozesse einzubinden. Auf diese Weise kann mehr Frieden im | |
regionalen Kurdenkonflikt und in den Herkunftsstaaten generiert werden, der | |
zugleich eine positive Rückwirkung auf innenpolitische Prozesse haben wird. | |
## Sichtbarkeit von Kurden in Wissenschaft und Forschung | |
Nachholbedarf gibt es aber auch im parteipolitischen Spektrum, was eine | |
nachhaltige Ausweitung und Ausgestaltung der Beziehungen zu Kurden sowohl | |
hierzulande als auch in den Herkunftsstaaten angeht. Die politischen | |
Parteien nehmen hierbei eine zentrale Stellung ein, weil sie als Bindeglied | |
zwischen Gesellschaft und Politik empfänglich sein müssen für Anforderungen | |
aus dem gesellschaftlichen Umfeld und deren Einbindung in politische | |
Entscheidungsprozesse. Die Anliegen aus den kurdischen Communitys gehören | |
ebenso dazu. Schließlich sind sie eine nicht zu ignorierende und | |
unterschätzende Wählergruppe. | |
Gleichwohl ist die parteiinterne Befassung mit kurdenpolitischen Anliegen | |
nicht immer ein integraler Bestandteil. Vielmehr ist diese sporadisch und | |
konjunkturell und läuft oftmals über Personen. Umso wichtiger ist es, dass | |
Parteien nach Wegen suchen, wie sie parteiintern sowohl | |
strategisch-inhaltlich als auch strukturell eine nachhaltige Beziehung zu | |
Kurden aufbauen und unterfüttern können. Eine Möglichkeit ist | |
beispielsweise, entsprechende Arbeitsgruppen zu etablieren, die sich den | |
verschiedenen Facetten von Kurden und kurdenpolitischen Fragen widmen, die | |
Beziehungen und den Dialog zu kurdischen Interessenvertretungen hierzulande | |
und in den Herkunftsstaaten gezielt aufbauen und fördernde Strategien | |
entwickeln. Dieser Handlungsbedarf besteht auch bei politischen Stiftungen. | |
Sie sollten stärker als bisher kurdenpolitische Schwerpunkte gezielt | |
aufbauen und unterfüttern. | |
Nicht zuletzt bedarf es, die Sichtbarkeit von Kurden auch in Wissenschaft | |
und Forschung gezielt zu fördern, um zuverlässige Daten und Informationen | |
zu gewinnen. So sollten in und außerhalb der Universitäten verstärkt | |
Forschungszentren zu kurdischen Studien eingerichtet und gefördert werden. | |
Bislang dominiert auch hier eine Zurückhaltung und fehlende Unterstützung | |
für solche Initiativen, die es schlichtweg zu überwinden gilt. | |
21 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Gülistan Gürbey | |
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