| # taz.de -- Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Fasten im Tortenmonat März | |
| > Wenn am Gründonnerstag die Fastenzeit endet, hat sie bei unserer Autorin | |
| > nie begonnen. Dabei erschien ihr die Idee des Verzichts durchaus | |
| > sinnvoll. | |
| Bild: Der März – in so manchem Leben ein Geburtstags- und somit auch Tortenm… | |
| Es hat nicht geklappt. Schon wieder nicht. Wenn am Gründonnerstag die | |
| Fastenzeit endet, hat sie bei mir nie begonnen. Dabei war ich wirklich | |
| motiviert. | |
| Eine Woche vor Aschermittwoch hatte ich eine Theologin der Evangelischen | |
| Akademie zur christlichen Fastenzeit interviewt. Ich war inspiriert, | |
| allerdings weniger von den biblischen Bezügen wie der Erzählung von Jesus | |
| in der Wüste, von dem es heißt, er habe 40 Tage lang gefastet. Auch nicht | |
| von der christlichen Bußübung, an Karfreitag, Jesu Sterbetag, auf Fleisch | |
| und Alkohol zu verzichten. Was mich als in der DDR aufgewachsene | |
| norddeutsche Atheistin an meiner Interviewpartnerin beeindruckte, war | |
| ihr beinahe weltlicher Verzicht auf dahingelebte Gewohnheiten und | |
| alltägliche Routinen, um die Aufmerksamkeit auf Wesentliches zu lenken und | |
| die eigene Haltung zu hinterfragen. | |
| Die Idee des Verzichts zur Besinnung wie auch Entschlackung von der | |
| Überflussgesellschaft zwischen Aschermittwoch und Ostern erschien mir | |
| sinnvoll. Verzichten, dachte ich, das kann ich. Auf all die Plastikbehälter | |
| beim Obst- und Gemüsekauf, auf übermäßigen Netflix-Konsum, sogar aufs | |
| Flugzeug beim nächsten Kurztrip. | |
| ## Und ich kann es doch: verzichten | |
| Ich entschied mich für die Urform des Fastens, auch aufgrund geschätzter | |
| drei Kilo Übergewicht nach reichlicher Weihnachtsvöllerei. Ich wollte | |
| verzichten – auf Schokolade, Kekse und Zucker im Kaffee (regelmäßiger | |
| Konsum), Fleisch (geringer Konsum), Rotwein (überschaubarer Konsum), Nüsse | |
| und Chips am späten Abend (in Schüben auftretender, nicht planbarer | |
| Konsum). Dann kam der Tortenmonat März. | |
| In meinem Leben ist er eine Zeit voller Feste. Zuerst feierten wir die | |
| Pensionierung meiner Mutter nach 43 Grundschuljahren, es folgten ein paar | |
| Abschiede langjähriger taz-Kollegen, weiter ging’s mit den Geburtstagen | |
| vieler meiner engsten Freunde und meines Mannes (der 40.!). Monatshöhepunkt | |
| ist die Geburtstagswoche vom 12. bis zum 18. März mit einem Festakt pro | |
| Tag, in der ich mich mitunter schon zum Frühstück von Kuchen, Keksen und | |
| Sekt ernähre. Anfänglich hatte ich meinen Vorsatz, kulinarisch | |
| kürzerzutreten, noch von Woche zu Woche, dann von Tag zu Tag verschoben, | |
| zwischendurch aber schlichtweg vergessen. | |
| Und doch kann ich es: verzichten! Meine erfolgreichste Fastenzeit verlebte | |
| ich beim Urlaub in Kuba. In den Regalen der wenigen Geschäfte standen zwar | |
| meterweise Dosentomaten, Ketchup und Rum – Joghurt, Eis, Käse oder | |
| Schokolade gab es dagegen fast nie. Eier und Weißbrot bekamen die Kubaner | |
| sogar nur gegen Lebensmittelkarten. Mich erinnerte das an meine | |
| DDR-Kindheit, als Oma stolz eingeweckte Erdbeeren und Pflaumen servierte, | |
| weil der einzige Obstladen im Ort nichts hergab, und wir Kinder zur | |
| Eisdiele sprinteten, wenn es statt Vanille- mal Schokoeis gab. | |
| ## Ich stelle fest: Ich esse wirklich gern | |
| In Kuba ernährte ich mich also von Bohnen, Fisch und Obst. Auch fastete ich | |
| digital und konsumierte so gut wie keine Nachrichten, denn Internet gab es | |
| nicht am Malecón, und die Lektüre der Tageszeitung Granma hatte sich | |
| bereits am zweiten Tag erledigt. Abwechselnd veröffentlichten Fidel und | |
| Raúl Castro darin ihre Gedanken zum tropischen Sozialismus. Nach drei | |
| Wochen hatte ich einen frischen bronzefarbenen Teint, ein paar Kilos | |
| weniger, und auch mein Geist war derart ausgeruht, dass ich zurück im | |
| Berliner Wintergrau immer wieder darauf angesprochen wurde. | |
| Heute, da sich der Tortenmärz dem Ende zuneigt und ich richtig reingehauen | |
| habe, stelle ich fest: Ich esse wirklich gern. Und drei Kilo Übergewicht | |
| erzeugen zu wenig Leidensdruck. Vielleicht auch, weil ich nicht einsehe, | |
| warum ich dem kapitalistischen Überfluss, der Umwelt, Klima und Menschen | |
| verschlingt, körperliche Optimierung entgegensetzen soll. Außerdem: Für das | |
| Konzept kollektiver Enthaltsamkeit scheine ich nicht gemacht zu sein. Genau | |
| dann, wenn viele Menschen etwas einhellig tun oder eine höhere Instanz eine | |
| gemeinsame Idee propagiert, meldet sich mein Eigensinn, es anders zu | |
| machen. Immerhin: Darauf ist Verlass. | |
| 26 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Boek | |
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