| # taz.de -- Cécile Lecomte über Anti-AKW-Kampf: „Es ist ein Auf und Ab“ | |
| > Cécile Lecomte ist Vollzeitaktivistin. Ein Gespräch über den Kampf gegen | |
| > Atomkraft und darüber, warum sie trotz chronischer Krankheit weitermacht. | |
| Bild: Cécile Lecomte versteht Widerstand als eine Kette mit verschiedenen Glie… | |
| taz: Frau Lecomte, wie wird man Berufsaktivistin? | |
| Cécile Lecomte: Ich war schon immer engagiert und habe mich für das | |
| interessiert, was in der Welt passiert. Als Jugendliche war ich auf Demos | |
| der Antifa, damals war der Front National zum Beispiel auch schon ein | |
| Thema. Als ich anfing zu studieren, habe ich mir dann politische Gruppen | |
| gesucht, in denen ich mich engagiert habe. Später habe ich als Lehrerin für | |
| Französisch als Fremdsprache gearbeitet, aber das war ein wenig schwierig. | |
| Wieso? | |
| Ich hatte immer wieder Probleme mit Behörden, die der Meinung waren, ich | |
| dürfte in meiner Freizeit nicht tun, was ich will. Und ich wollte mich | |
| beruflich nicht immer für mein politisches Engagement rechtfertigen müssen. | |
| Also haben Sie freiwillig den Schuldienst verlassen? | |
| Naja, es ist ja nicht so, dass es einen Lehrerüberschuss gibt. Ich hätte | |
| schon eine Stelle gefunden. Ich wusste aber damals schon, dass ich eine | |
| chronische Erkrankung habe, rheumatoide Arthritis. Das ist eine chronische | |
| Gelenkentzündung. Die Krankheit verläuft in Schüben. | |
| Wie geht es Ihnen, wenn Sie einen Schub haben? | |
| Wenn ich heute einen Schub habe, bin ich nicht mal in der Lage, mich allein | |
| anzuziehen. Damals war die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten, | |
| aber es war absehbar, dass ich auch mal länger krank sein würde. Für die | |
| Schüler wäre das nicht gut gewesen. Am Ende war es pragmatisch und | |
| politisch gesehen die beste Lösung, auch wenn ich sagen muss, dass die | |
| Polizei mir sehr geholfen hat, diese Entscheidung zu treffen. | |
| Was hat die Polizei damit zu tun? | |
| Ich war erst ein Jahr in Lüneburg, aber das hat wohl ausgereicht, um die | |
| Polizei auf mich aufmerksam zu machen. Vor dem Castortransport 2006 durch | |
| Lüneburg haben sie mich mit mehreren mobilen Einsatzkommandos heimlich | |
| überwacht und später auch festgenommen. | |
| Wie haben Sie von der Überwachung erfahren? | |
| Wenn solche Überwachungsmaßnahmen präventiv durchgeführt werden, wird man | |
| im Nachhinein darüber informiert. Ich weiß genau, wann ich damals bei der | |
| Arbeit war und ob ich mit dem Ein- oder Zweirad dahin gefahren bin. Es ist | |
| naheliegend, dass sich die Polizei damals auch bei der Schule gemeldet hat. | |
| Genau in der Zeit hatte ich mit der Schulleitung Gespräche über mein | |
| politisches Engagement. Zwar habe ich gegen die Vollzeitüberwachung | |
| geklagt, und sie ist im Nachhinein für rechtswidrig erklärt worden, das | |
| ändert aber natürlich nichts. | |
| Sie haben viel Erfahrung mit Verfahren und Gerichtsverhandlungen und | |
| verteidigen sich selbst und auch andere vor Gericht. Sind die | |
| Erfolgschancen bei einer professionellen Verteidigung nicht größer? | |
| Auch wenn es sich dabei um sogenannte Laienverteidigung handelt, erhebe ich | |
| einen Anspruch auf Professionalität. Ich übernehme nie einen Fall, den ich | |
| mir nicht zutraue. Bei Vergehen wie beispielsweise Hausfriedensbruch oder | |
| Nötigung kennen wir die Rechtsprechung aber einfach besser als die Richter. | |
| Deshalb hat es Sinn, dass wir uns selbst verteidigen. Ich habe auch den | |
| Anspruch, das ernsthaft zu machen. Ich denke, die Erfolgschancen sind eine | |
| Frage der Strategie. | |
| Und welche Strategie wenden Sie an? | |
| Es ist eher Konfliktverteidigung. Es wird sich streng an die | |
| Strafprozessordnung gehalten. In der Praxis halten sich Richter kaum daran. | |
| teilweise aus Unwissen, teilweise, weil sie es gewohnt sind, Leute schnell | |
| abzuurteilen. In diesen Fällen reichen wir dann Anträge ein, sorgen für | |
| Beschlüsse und Rügen. Das dauert länger und ist anstrengend. | |
| Welche Fälle übernehmen Sie nicht? | |
| Es gibt schon Verfahren, die ich lieber mit einem Anwalt führe, | |
| beispielsweise, wenn es um Polizeigewalt geht. Ich kann in einem Prozess | |
| niemanden befragen, der mir zuvor Gewalt angetan hat. Das belastet mich zu | |
| sehr. Wegen einer besonderen Erfahrung habe ich eine posttraumatische | |
| Belastungsstörung, die mich ständig begleitet. | |
| Was ist passiert? | |
| 2008 gab es einen Castortransport, und es lag wieder einmal eine | |
| Gefahrenprognose für mich vor. Die Polizei hat befürchtet, dass ich mich | |
| wieder irgendwo abseile. Obwohl ich nicht vorbestraft war, wurde ich | |
| deshalb drei Tage vor dem Transport festgenommen. Alle haben Aktionen | |
| vorbereitet, aber niemand ist verhaftet worden, nur ich. Der zuständige | |
| Richter hat mich angehört und dann seinen schon ausgedruckten Beschluss | |
| verlesen. Ich hatte das Gefühl, da rollt eine Maschine auf mich zu und ich | |
| kann sie nicht aufhalten. Da ist bei mir ein Trauma entstanden. | |
| Wahrscheinlich, weil ich nicht darauf vorbereitet war. Für mich kam das aus | |
| heiterem Himmel. | |
| Haben Sie wegen solcher Erfahrungen nie ans Aufhören gedacht? | |
| Eigentlich nicht. Klar, es ist ein Auf und Ab. Aber ich bin der Meinung, | |
| dass das eine gesunde Reaktion auf ein krankes System ist. Es ist normal, | |
| dass du innerlich verletzt bist, die Seele verletzt ist, wenn dir so etwas | |
| passiert. | |
| Was motiviert Sie, trotzdem immer weiterzumachen und neue Aktionen zu | |
| planen? | |
| Ich glaube, Protest ist global gesehen wichtig für eine Demokratie. Ich | |
| habe nicht das Gefühl, dass es umsonst ist, selbst wenn wir nicht immer | |
| gewinnen. Natürlich habe ich keinen On-Off-Knopf für das AKW. Aber ich habe | |
| durch meine Kletteraktionen mehrere Atom-Transporte gestoppt, und das hat | |
| erheblich dazu beigetragen, dass der Export von Uranhexafluorid nach | |
| Russland nachhaltig gestoppt wurde. Es gibt immer noch viele | |
| Atomtransporte, aber das war ein wichtiger Etappensieg, und so etwas | |
| motiviert mich, weiterzumachen. | |
| Sie haben mit der Anti-Atomkraftbewegung angefangen, sich mittlerweile auch | |
| gegen Gentechnik, Kohleabbau und für Informationsfreiheit eingesetzt. Gibt | |
| es ein Thema, mit dem Sie sich nicht beschäftigen? | |
| Ich habe schon meine klaren Schwerpunktthemen. Als so genannte | |
| Vollzeitaktivistin ist es mir wichtig, genau zu wissen, wofür ich kämpfe. | |
| Deshalb informiere ich mich und recherchiere viel. Ich habe mir zum | |
| Beispiel viel Wissen zum Thema Atomkraft angeeignet und mache viel in | |
| diesem Bereich. Und auch mit den juristischen Inhalten beschäftige ich mich | |
| extrem viel. Wenn man jahrelang aktivistisch unterwegs ist, muss man sich | |
| einfach wehren können. Das kann ich nicht zu jedem Thema leisten. Ich halte | |
| es aber grundsätzlich für nachhaltiger, sich mit Inhalten | |
| auseinanderzusetzen, als viele Veranstaltungen zu besuchen. | |
| Sie finanzieren Ihren Lebensunterhalt durch die Bewegungsstiftung und | |
| erhalten Förderung von Patinnen und Paten. Stehen Sie dadurch unter Druck, | |
| immer neue Aktionen zu planen? | |
| Nein, das ganze funktioniert nicht à la rent a demonstrant. Früher hatte | |
| ich schon ein komisches Gefühl dabei, vom Geld anderer Menschen zu leben. | |
| Heute sehe ich das etwas professioneller. Für mich ist das ein Modell der | |
| Solidarität. Meine Patinnen und Paten haben sich freiwillig dafür | |
| entschieden, weil sie unterstützenswert finden, was ich tue. Viele von | |
| ihnen kenne ich auch persönlich. | |
| Was für Menschen sind das, die sie unterstützen? | |
| Das ist ganz unterschiedlich. Informatiker, Ärzte, Künstler, einige von | |
| ihnen sind selbst aktiv. Ich finde, das ist eine Bereicherung. Wenn man in | |
| so einer politischen Clique aktiv ist wie ich, dann verliert man ein | |
| bisschen den Bezug zur Realität. Deshalb bitte ich meine Patinnen und Paten | |
| auch um Feedback. Das erweitert meinen Horizont. Außerdem gibt mir das | |
| Modell natürlich auch eine gewisse Sicherheit im Bezug auf meine Krankheit. | |
| Niemand ist mir böse, wenn ich mal zwei Wochen im Bett liegen muss, weil | |
| sie wissen, dass ich mehr als 40 Stunden in der Woche arbeite, wenn ich | |
| kann. | |
| Sie sind heute zum Teil auf den Rollstuhl angewiesen. Ist es nicht manchmal | |
| frustrierend, nicht mehr so aktiv sein zu können wie früher? | |
| Natürlich. Es gibt Tage, da will ich von meiner Krankheit nichts hören. Ich | |
| bin zermürbt von den Therapieversuchen, die am Ende wieder nichts bringen. | |
| An anderen Tagen ist das alles kein Problem für mich. Ich glaube, dass man | |
| sich einer Behinderung anpassen kann und immer aktiv sein kann, selbst mit | |
| einer körperlichen Einschränkung wie meiner. Ich verstehe Widerstand als | |
| eine Kette mit verschiedenen Gliedern. Wenn ein Glied fehlt, funktioniert | |
| der Widerstand nicht. Ich arbeite heute hauptsächlich im nicht sichtbaren | |
| Teil des Widerstands, halte Vorträge, schreibe Dossiers und veröffentliche | |
| Artikel. Damit bin ich ein Glied in der Kette. | |
| Woher nehmen Sie Kraft für diese positive Einstellung? | |
| Es findet viel im Kopf statt, davon bin ich überzeugt. Ich schaue einfach, | |
| wie ich mich beteiligen kann. Zum Beispiel waren die Anti-Kohle-Aktionen | |
| von Ende Gelände nichts für mich, weil ich nicht laufen kann. Aber ich war | |
| als Rechtshilfe dabei und konnte bei Übersetzungen helfen. Und wenn ich an | |
| einer Demo nicht teilnehmen kann, dann überlege ich, wo ich klettern und | |
| ein Banner aufhängen kann. Dann habe ich auch einen Teil beigetragen. Und | |
| klettern werde ich immer, das ist meine Leidenschaft, ohne die geht es | |
| nicht. | |
| 12 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Marthe Ruddat | |
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