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# taz.de -- Ideologie der Blockchain: Die ineffizienteste Datenbank der Welt
> Blockchains werden gehyped, aber wenig gebraucht. Rechte interessieren
> sich dafür, weil sie den etablierten Institutionen misstrauen.
Bild: Eine Blockchain funktioniert wie ein Haufen miteinander vernetzer, versch…
Die Blockchain wird derzeit überall als neue Wundertechnologie gepriesen.
Sechsmal kommt das Wort im Koalitionsvertrag vor, immer im Kontext neuer,
vielversprechender Digitaltechnologien.
Doch was steckt dahinter?
Die erste populäre Anwendung, die Blockchaintechnologie nutzte, war
Bitcoin. Bitcoin basiert darauf, dass alle Transaktionen, die mit der
digitalen Währung gemacht werden, in einer Art Grundbuch vermerkt werden.
Nur liegt dieses Grundbuch nicht bei einem zentralen Grundbuchamt, sondern
auf den Computern aller Bitcoin-Nutzer. Jeder hat eine identische Kopie
aller Transaktionen. Und jede neue Transaktion wird mehr oder weniger
gleichzeitig in all diesen Büchern vermerkt. Erst wenn der Großteil aller
Bücher die Transaktion aufgeschrieben hat, gilt sie als vollzogen. Dabei
wird jede Transaktion mit den vorhergehenden kryptografisch verkoppelt,
sodass ihre Gültigkeit für alle nachprüfbar ist. Schiebt nun etwa jemand
eine gefälschte Transaktion dazwischen, dann stimmen die Berechnungen nicht
mehr, und das System schlägt Alarm. Am Ende hat man eine
Speichertechnologie, die kein Einzelner kontrollieren oder manipulieren
kann.
Schon früh räumten selbst Bitcoin-Skeptiker ein, dass unabhängig von der
digitalen Währung die zugrunde liegende Blockchaintechnologie das
eigentliche Zukunftspotenzial berge. Seitdem zerbrechen sich viele Menschen
den Kopf, wo man sie noch anwenden könnte.
## Komplette Dezentralisierung
Das Internet galt immer als eine besonders dezentrale Technologie, doch das
stimmt für die meisten Dienstleistungen schon lange nicht mehr. Sie alle
nutzen eine Suchmaschine (Google), ein soziales Netzwerk (Facebook) und
einen Nachrichtendienst (WhatsApp). Diese Dienste basieren darauf, dass sie
zentral unsere Daten halten und organisieren. Die Blockchaintechnologie
scheint einen Ausweg zu weisen: Alle Dienste, die bislang über zentrale
Datenbanken funktionierten, könnten nun auch mit einer solchen verteilten
Blockchain organisiert werden. Ein Zentrum bräuchte es dann nicht mehr.
Die Ideen gehen so weit, komplexe Geschäftsprozesse in Blockchains
abzubilden. Beispielsweise automatisierte Auszahlungen an ein Konto, wenn
eine Aktie einen bestimmten Wert erreicht. Das nennt sich dann „Smart
Contracts“.
Der Hype um die Blockchain ist fast so alt [1][wie der um Bitcoin], wir
reden also bereits seit sechs bis sieben Jahren über die Unabwendbarkeit
dieser Technologie. Hunderte, ja Tausende Start-ups haben sich seitdem
gegründet. Ebenso viele Anwendungszwecke der Blockchain wurden seither
behauptet.
Warum, so fragt sich der interessierte Beobachter, gibt es neben den
Kryptowährungen (die selbst hauptsächlich Spekulationsblasen ohne wirkliche
Anwendung sind) dann noch keine einzige populäre Anwendung? Warum hat noch
keine auf Blockchain basierende Suchmaschine Google bedroht oder ein
blockchainbasiertes soziales Netzwerk Facebook? Warum sehen wir keine
Fahrtenvermittlung auf Blockchainbasis und keine Wohnungsvermittlung,
obwohl genau diese Zwecke so oft angepriesen wurden? Warum verbleiben alle
Blockchaintechnologien in der Projektphase, und keines findet einen Markt?
Die Antwort ist: Blockchain ist mehr Ideologie als Technologie. Ideologie
meint hier, dass dahinter eine Vorstellung steht, wie Gesellschaft
funktioniert und wie sie funktionieren sollte.
## Vertrauen zwischen Unbekannten
Eines der ältesten Probleme der Sozialwissenschaft ist die Frage, wie
Vertrauen zwischen Unbekannten hergestellt werden kann. Gesellschaft
funktioniert erst, wenn dieses Problem hinreichend gelöst ist. Der Ansatz
unserer modernen Gesellschaft ist es, Institutionen zu etablieren, die als
vertrauensvoller Dritter Interaktionen absichern. Denken wir an Banken, das
Rechtssystem, Parteien oder Medien. All diese Institutionen bündeln
Vertrauen und sichern so soziale Handlungen zwischen Unbekannten ab.
Diese Institutionen allerdings erlangen durch ihre zentrale Rolle eine
gewisse gesellschaftliche Macht, die Anhängern einer bestimmten
Denkrichtung schon immer ein Dorn im Auge war: nämlich den Libertären, oder
auch Anarchokapitalisten. Sie glauben zum Beispiel, dass es keinen Staat
geben solle, der sich in die Angelegenheiten der Menschen einmischt. Der
Markt – als Summe aller Individuen, die miteinander handeln – solle das von
sich aus regeln. Libertäre sind entsprechend sehr kritisch gegenüber
Institutionen wie Zentralbanken, die Währungen ausgeben. Die Zentralbanken
– und Banken überhaupt – aus der Gleichung zu streichen ist schon der
Grundgedanke hinter Bitcoin.
Hinter Blockchain verbirgt sich der libertäre Wunsch einer Gesellschaft
ohne Institutionen. Statt Vertrauen in Institutionen sollen wir Vertrauen
in die Kryptografie haben. Statt unserer Bank sollen wir auf die
Unknackbarkeit von Verschlüsselungen vertrauen, statt Uber oder einer
Taxi-App sollen wir einem Protokoll vertrauen, das uns einen Fahrer
vermittelt.
Deswegen sind Bitcoin und die Blockchaintechnologie so beliebt bei den
amerikanischen Rechten, die eine lange libertäre Tradition haben und den
Staat ablehnen. Deswegen kommen sie auch bei deutschen Rechten sehr gut an,
zum Beispiel bei Alice Weidel von der AfD, die nun die Keynote auf einer
großen deutschen Bitcoin-Konferenz halten wird und ein eigenes
Blockchain-Start-up gründet. Wer gegen „Lügenpresse“ und „Altparteien“
wettert, steht im Zweifel auch allen anderen Institutionen kritisch
gegenüber.
## Naives Misstrauen
Wenn man also in Blockchain investiert, macht man eine Wette gegen das
Vertrauen in die Institutionen. Und das ist auch der Grund, warum diese
Wette noch nicht ein einziges Mal gewonnen wurde. Denn die Ideologie des
Anarchokapitalismus ist naiv.
Rein technisch kann eine Blockchain dasselbe, was jede
Nullachtfuffzehn-Datenbank schon lange kann – tendenziell eher weniger. Das
einzige Feature, das die Blockchain auszeichnet, ist, dass niemand einer
zentralen Instanz vertrauen muss. Statt einer Datenbank braucht es
Millionen Datenbanken. Statt eine Transaktion einmal aufzuschreiben, muss
sie Millionen Mal aufgeschrieben werden. All das kostet Zeit, Rechenkraft
und Ressourcen.
Wenn man also die libertäre Grundannahme, dass die Menschen den
Institutionen misstrauen sollen, nicht teilt, dann ist die Blockchain nur
die ineffizienteste Datenbank der Welt.
10 Mar 2018
## LINKS
[1] /Spekulationsblase-Bitcoin/!5471262
## AUTOREN
Michael Seemann
## TAGS
Blockchain
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