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# taz.de -- Drei Geschichten über Sex: Wo mein Körper politisch wird
> Macht zeigt sich auch in den Leerstellen. Zum Beispiel in den Dingen, die
> einem nicht erzählt werden, die einem niemand erklärt, die niemand
> hinterfragt.
Bild: In ihrer Fotoarbeit „Lying Still“ beschäftigt sich Piontek mit weibl…
## Wie ich lernte zu ejakulieren
Sanft im Sessel zurückgelehnt, die Beine gespreizt und klick! Schemenhaft
beginnt sich die Großaufnahme meiner Vulva auf dem Polaroid abzuzeichnen.
Kurz darauf hängt sie an der Wand, inmitten einer ganzen Vulven-Galerie.
Erstaunlich, diese Vielfalt an Falten und Formen. Sehr weit entfernt von
Mainstream-Porn-propagierter Einheitlichkeit. Vor fünfzehn Fremden die
Hosen fallen zu lassen kostet Überwindung. Ich zeig dir meins, du zeigst
mir deins. Immerhin verpufft so jede Scham direkt zum Einstieg.
An diesem kalten Wintermorgen haben wir alle ein erklärtes Ziel: Wir wollen
ejakulieren. Squirten. Spritzen. Oder wie auch immer man die „stoßweise
Freisetzung eines Sekrets aus den Skene-Drüsen, das biochemisch dem
männlichen Ejakulat ähnelt“, nennen möchte. Etwas, das mir in zehn Jahren
Sex noch nie passiert ist. Das ich bisher als Porno-Mythos abgetan hatte.
Und das mich neugierig macht. Habe ich mich selbst all die Jahre um
ungeahnte Lust gebracht? Ich stelle mir Megaorgasmen vor, ein vollständiges
Sich-gehen-Lassen und wortwörtliches Zerfließen.
Ich lerne, dass offenbar schon Hippokrates um 400 vor Christus
ejakulierende Frauen beobachtet hatte. Doch dieses Wissen geriet in
Vergessenheit. Ejakulieren wurde zum Synonym für den männlichen Orgasmus.
Wenn Frauen über einen Flüssigkeitsausstoß beim Sex berichteten, wurden sie
nicht selten wegen Inkontinenz behandelt, teilweise sogar operiert.
Aktuelle Studien belegen aber, dass so gut wie jede Frau anatomisch dazu in
der Lage ist. Warum erfährt man das nicht im Biologieunterricht?
Es fühlt sich erstaunlich selbstverständlich an, zwischen all den Frauen
meine Finger über die Vulva gleiten zu lassen. Zu massieren, zu tasten, mal
mit mehr, mal weniger Druck. Es geht um die geriffelte Fläche, gut zwei
Zentimeter einwärts des Scheideneingangs, in Richtung Bauchdecke. G wie
Genussfläche, sagen wir hier dazu. G wie Gräfenberg-Fläche heißt es in
anatomischen Abbildungen, benannt nach ihrem männlichen Entdecker. Wird
diese Fläche stimuliert, schwillt sie an und es kann zur Ejakulation
kommen. Das kann, muss aber nicht mit einem Orgasmus einhergehen.
Ich habe den schwerer werdenden Atem, das kleine Seufzen der Nachbarin im
Ohr, während sich in mir selbst eine Welle aufbaut – und wieder
verflüchtigt. Meine Nebensitzerin keucht erstaunt auf, als sich ein kleines
Rinnsal über ihr vorsorglich ausgebreitetes Handtuch ergießt. Ich verspanne
mich. Vielleicht, weil ich erwarte, jetzt bitte schön auch ejakulieren zu
müssen? Schließlich bin ich genau dafür zu diesem Workshop gekommen.
Leistungsdruck verträgt sich bekanntlich nicht gut mit Sex. Oder
irgendeiner Art des Sich-gehen-Lassens. Die Körpererkundung endet für mich
nicht im spritzigen Finale.
Dazu kommt es erst ein paar Tage später, in aller Ruhe und mit
Unterstützung. Das Ergebnis ist allerdings unspektakulär. Statt ungekannte
lustvolle Höhen erlebe ich einen eher mechanischen Spannungsabbau.
Zufrieden bin ich trotzdem. Und ein bisschen stolz: Die eigene Scham zu
überwinden fühlt sich unglaublich befreiend an. Gundula Haage
## Sex ohne Penis ist ein Universum
Edan wollte nicht, dass sein Penis beim Sex irgendeine Rolle spielt. Er
meinte, er brauche dafür Zeit und Vertrauen. Anfangs behielt er sogar seine
Boxershorts an. Mit der Zeit begann er, es zuzulassen und zu genießen, wenn
unsere Genitalien sich von außen berührten, aber er wollte auf keinen Fall
Penetrationssex, vorerst zumindest. Er nannte es Circlusion – ein
feministischer Begriff für dieselbe Sache, der aber im Gegensatz zu
„Penetration“ die Aktivität der Vagina in den Vordergrund stellt:
„Umschließen“ anstatt „eindringen“.
Ich fand die Begegnung zwar bemerkenswert genug, um mit verschiedenen
Freundinnen darüber zu sprechen. Wirklich erstaunt war ich allerdings
hauptsächlich darüber, wie erstaunt sie waren. Sex ohne Penetration! – ich
benutze hier bewusst den nicht-so-feministischen Mainstreambegriff – ja,
krasser noch: Sex ohne Penis! Das war etwas, was viele
Gesprächspartnerinnen sich im ersten Moment kaum vorstellen konnten.
Viele Jahre war auch für mich Sex gleichbedeutend mit
Penis-Vagina-Penetration. Mein „erstes Mal“ war für mich selbstverständli…
mein erstes Mal Penetrationssex – obwohl ich schon viel früher Oralsex
gehabt hatte. Als meine Mutter mich aufklärte, meine ich mich an den Satz
„der Mann steckt den Penis in die Scheide“ zu erinnern. Im
Sexualkundeunterricht ging es fast ausschließlich um Fortpflanzung.
Ich hatte fast immer Schmerzen beim Penetrationssex. Meistens sagte ich
nichts. Ich dachte, na ja, vielleicht ist es gleich vorbei. Oder aber: So
geht Sex eben, wenn es mir nicht gefällt, muss irgendetwas mit mir nicht
stimmen. Schon beim Rumknutschen war ich angespannt, weil klar war: Gleich
kommt der Moment, gleich muss ich die Notbremse ziehen und mich
rechtfertigen – oder es eben aushalten.
In meiner ersten Beziehung mit einer Frau öffnete sich mir ein Universum
sexueller Möglichkeiten. Gleichermaßen bekam ich zu spüren, wie wenig Sex
zwischen Frauen gesellschaftlich als solcher anerkannt wird – klar, da
fehlt ja auch der Penis! Das denken sich wohl zumindest all die Männer, die
sich dazu berechtigt fühlen, sich ins Gespräch einzumischen, uns
anzubaggern oder sich auch vor uns einen runterzuholen, wenn ich mal in
einer Bar ein offensichtlich romantisches Date mit einer Frau habe.
Spätestens mit Edan öffnete sich ein weiteres Universum für mich. Weil er
mich oft fragte, worauf ich gerade Lust hätte, fiel es mir plötzlich
erstaunlich leicht, ihm das genau zu beschreiben. Weil er so offen mit
seinen Unsicherheiten umging und sich Zeit damit ließ, war es auch für mich
einfacher, mir Zeit und Raum für meine Unsicherheiten zu nehmen. Die
Heteroselbstverständlichkeiten bekamen Risse. Wenn ich jetzt – mit seinem
Einverständnis – irgendetwas mit seinem Penis mache, habe ich zum ersten
Mal in meinem Leben das Gefühl, dass es eine freie Entscheidung ist, zu der
es Alternativen gibt. Dass ich es aus Lust und nicht aus Pflichtgefühl tue.
Ich habe zum ersten Mal Sex mit einem Mann, auf eine Weise, zu der das Wort
Circlusion passt – und die ich wirklich genießen kann. Lou Zucker
## Kohl für meine wunden Brüste
X-mal schon gedacht, aber jetzt wird es Zeit, diese beiden gebührend zu
feiern.
Also: Liebe Titten! Ein Hoch auf euch. Viele tolle Hebammen erzählen ja
gern in Geburtsvorbereitungskursen, dass das Stillen eine der schönsten
Erfahrungen überhaupt im Leben einer Frau ist. Mag ja auch so sein, in
Einzelfällen. Bis dann die frischgebackene Mutter nach der Geburt merkt:
Nee, so einfach ist das alles gar nicht. Stillen, so als Naturschauspiel,
wenn das Kind zufrieden an der Brust der Mutter nuckelt – das sind
Werbebildchen, die unsere Fantasie fest im Griff haben.
Denn die erste Zeit mit dem Neugeborenen ist geprägt von körperlichen
Qualen, Unsicherheiten und Kohl. Wenn die „Milch einschießt“, wie man das
so im Hebammenfachjargon nennt, sind Brüste dick und schmerzen. Das Kind
trinkt nur in den allerwenigsten Fällen wie vorgesehen und macht nicht das,
was es soll, nämlich friedlich die Nahrungsaufnahme im Drei-Stunden-Modus
in Angriff nehmen.
Und weil sich das Ganze eben einspielen muss, wie die Hebammen dann
seelenruhig versichern, werden bis zum „Einspielen“ die Brustwarzen rot, in
den schlimmsten Fällen entzünden sie sich und bluten. Jede Stillzeit wird
so zur Qual. „Ah, falsch angelegt“, sagt dann die Hebamme und zeigt einem
die Fußballerhaltung – wie ein Fußball wird das Kind unter den Arm
geklemmt. Bei mir half das immer semi, und Schweißausbrüche vor dem Stillen
waren fester Bestandteil des Tagesablaufs.
Denn nein, die erste Zeit klappt oft nicht. Das Kind wollte nicht trinken,
dann wollte es nur an die linke Brust. Was ich mit der Milch in der anderen
Brust machen sollte, war dem Kind egal. Aber der verschmähten Brust nicht.
Sie entzündete sich beleidigt. Die Rettung kam aus dem Kühlschrank, in Form
von gekühlten Kohlblättern. Auf die brennende Brust gelegt, kann das
helfen. Kann. Gegen die Grippesymptome, die mit einer entzündeten Brust
einhergehen, half es allerdings wenig. „Flaschenfütterung!“, dachte ich
zweifelnd. Aber wie verpönt das in unseren linken Kreuzberger
Akademiker*innenkreisen ist, kann Frau sich denken.
„Gib dem Kind die Flasche!“, sagte meine Mutter pragmatisch. Denn natürlich
hatte sie mich mit der Flasche aufgezogen, in den 1970ern bekamen die
Frauen in den Krankenhäusern noch Tabletten, um den Milcheinschuss zu
stoppen. Bekanntlich waren die 1970er nicht unbedingt das Zeitalter der
stillfreundlichen Krankenhäuser.
„Versuche es weiter!“, riet die Hebamme. Und siehe da: nach drei Monaten
hätten das Kind und ich die neue Werbeikone fürs Stillen werden können. Die
Brüste und das Kind taten endlich naturgegeben das, was sie sollten.
„Diese Qualen – warum erzählt einem das keine?“, fragte letztens eine
Kollegin, die vor wenigen Wochen ihr Kind bekommen hat und nun im
gemischten Doppel (Flasche und Brust) versucht, ihr Kind satt zu kriegen.
Vielleicht sollte ihr noch jemand erzählen, dass Kinder in die Brustwarzen
beißen, wenn die ersten Zähne kommen. Aber auch das halten Titten aus.
Deshalb: Lasst euch feiern! Ebru Tasdemir
8 Mar 2018
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