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# taz.de -- Überraschung bei Football-Talentsichtung: Mit Herz und Hand
> In der NFL schwärmt man derzeit vom Verteidiger Shaquem Griffin. Trotz
> seiner Handprothese ist ihm sein erster Profivertrag fast sicher.
Bild: Stemmt mit seiner Prothese 102 Kilo: Shaquem Griffin
Einmal im Jahr ist Fleischbeschau. Einmal im Jahr lädt die National
Football League (NFL) all jene ein, die zukünftig gerne ihre Knochen
hinhalten wollen für den allseits beliebten
Milliarden-Dollar-Unterhaltungsbetrieb. Einmal im Jahr heben die
hoffnungsvollsten Talente Gewichte und rennen gegen die Uhr, werfen und
fangen Footbälle, um den Verantwortlichen der 32 Mannschaften bei der
Entscheidungsfindung zu helfen, wen sie Ende April beim Draft, der
alljährlichen Talentverteilung, auswählen sollen.
Diese Talentsichtung, der sogenannte Scouting Combine, fand am vergangenen
Wochenende statt. Ort war – wie üblich – das Stadion der Indianapolis
Colts, das nach einem Motorenöl-Hersteller benannt ist. Gar nicht üblich
war aber der Verlauf des diesjährigen Combine.
Die größte Aufmerksamkeit bekam nicht etwa einer der Quarterbacks, der
demnächst zum Aushängeschild eines Klubs werden soll, sondern ein
Linebacker, der eben diesen Quarterbacks das Leben möglichst schwer machen
soll. Allein, dass ein Verteidigungsspezialist im Mittelpunkt des Combine
steht, ist eine Sensation. Dass diesem Linebacker im Alter von vier Jahren
die rechte Hand amputiert wurde, das ist unglaublich.
Aber Shaquem Griffin legte seine Handprothese an und stemmte dann beim
Bankdrücken sage und schreibe 102 Kilogramm – und das gleich 20 Mal
hintereinander. Anschließend nahm er seine Prothese wieder ab und sprintete
40 Yards in irrwitzigen 4,38 Sekunden – ein Rekord für die
Linebacker-Position.
Danach explodierte Twitter: Prominente Profis wie Ryan Shazier von den
Pittsburgh Steelers („Er fliegt.“) oder Von Miller von den Denver Broncos
(„Mit dem Typen will ich zusammen spielen.“) waren genauso begeistert wie
Exprofi Terrell Owens („Ist der Junge schnell. Verdammt.“).
## Bald der erste einhändige Profi?
Sollte Griffin gedraftet werden – und das ist nach seinem Auftritt in
Indianapolis eigentlich sicher –, würde er zwar nur der zweite NFL-Spieler
in seiner Familie, weil sein Zwillingsbruder Shaquill seit dem vergangenen
Jahr für die Seattle Seahawks spielt. Aber er würde der erste einhändige
Profi werden, der jemals in der NFL gespielt hat.
Zwar gibt es durchaus noch Bedenken, denn beim Abfangen von Pässen oder
beim Blocken von Gegenspielern dürfte der 22-jährige Griffin ohne seine
linke Hand weiter Probleme haben. Defizite, die er aber mit seiner
überragenden Athletik auszugleichen in der Lage ist.
Das bewies er in den vergangenen Jahren schon in seiner College-Mannschaft,
den University of Central Florida Knights, deren überragender
Defensiv-Akteur er war. In seiner letzten Spielzeit wurde er gar zum besten
Verteidiger der Liga gewählt, in der die Knights antreten.
Griffins linke Hand hatte sich schon im Mutterleib wegen amniotischer
Schnürringe nicht entwickelt. Ein Geburtsfehler, der dem jungen Shaquem
schlimme Schmerzen bereitete, bis die verkümmerte Hand endgültig amputiert
wurde. Heute rekapitulieren die amerikanischen Medien gern die Geschichte
und unterlegen sie mit rührseliger Musik.
## Er kann alles schaffen
In TV-Reportagen berichtet Mutter Griffin, dass Shaquem trotz seiner
Behinderung noch vor seinem Zwillingsbruder lernte, eine Schleife zu binden
und auf einen Baum zu klettern. Und Shaquem Griffin selbst lässt wissen:
„Wenn mir jemand sagt, dass ich etwas nicht tun kann, will ich es erst
recht.“
Hinter dem mediengerechten Pathos erkennen die Erbsenzähler, die für die
Klubs die Talente evaluieren, allerdings einen Willen und eine
Entschlossenheit, die man im brutalen Kontaktsport Football durchaus gut
gebrauchen kann. Eine Einschätzung, die Griffins College-Trainer Scott
Frost stützt: „Ich bin mir sicher, dass es immer wieder Menschen gab, die
ihm gesagt haben, dass Football nichts für ihn ist. Aber Shaquem beweist:
Wenn man etwas wirklich erreichen will, dann kann man es auch schaffen.“
Und wenn sie eins lieben in Amerika, dann ist es eine dieser
Ich-kann-alles-schaffen-wenn-ich-nur-will-Geschichten, wie sie gerade
Shaquem Griffin schreibt.
7 Mar 2018
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
NFL
American Football
Menschen mit Behinderung
Leben mit Behinderung
NFL
Donald Trump
Colin Kaepernick
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