| # taz.de -- Medikament aus Abfallstoffen: Grüne Chemie hilft Malariakranken | |
| > MPI-Forscher entwickeln ein neues Verfahren zur Gewinnung des Wirkstoffs | |
| > Artemisinin. Genutzt werden dazu Pflanzenabfälle. | |
| Bild: Anbau von Artemisia-Pflanzen in China: Der Einjährige Beifuß wird von d… | |
| Wissenschaftler von zwei Max-Planck-Instituten haben ein Verfahren | |
| entwickelt, mit dem sich ein Impfstoff gegen die Tropenkrankheit Malaria | |
| schneller und zugleich umweltfreundlicher als bisher herstellen lässt. Mit | |
| dem Transfer aus der Grundlagenforschung in die pharmazeutische Praxis ist | |
| bereits begonnen worden. Ein Potsdamer Forschungsunternehmen ist an der | |
| großtechnischen Produktion des Wirkstoffs Artemisinin im US-Bundesstaat | |
| Kentucky beteiligt. | |
| Keine Scheu vor Superlativen: „Unser Durchbruch bei der Produktion schafft | |
| die Möglichkeit, Millionen von Menschenleben zu retten“, sagte der | |
| Biochemiker [1][Peter Seeberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für | |
| Kolloid- und Grenzflächenforschung], bei der Vorstellung des Verfahrens | |
| vorige Woche in Berlin. „Da sich jetzt die Kosten für | |
| Anti-Malaria-Medikamente deutlich senken lassen, können viel mehr an | |
| Malaria erkrankte Menschen davon profitieren“, so Seeberger. | |
| Anlass war die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Papers mit der | |
| Beschreibung des Verfahrens in der Zeitschrift [2][Angewandte Chemie | |
| International]. Erstautorin ist die Chemie-Doktorandin Susann Triemer vom | |
| Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg. | |
| Hintergrund: Die von Moskitos übertragene Malaria (Sumpffieber) ist eine | |
| der am meisten gefürchteten Krankheiten in den tropischen Regionen. An ihr | |
| erkranken jährlich mehr als 200 Millionen Menschen. Rund 650.000 Kranke | |
| sterben jährlich an den Folgen der Malaria, der übergroße Anteil von ihnen | |
| – mehr als 600.000 – sind Kinder unter fünf Jahren. Als wirksam haben sich | |
| Medikamente mit dem Pflanzen-Wirkstoff Artemisinin erwiesen, der aus dem | |
| Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnen wird. | |
| Für die wissenschaftliche Grundlegung dieses Verfahrens wurde 2015 die | |
| chinesische Forscherin Tu Youyou mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. | |
| Der großflächige Anbau der Beifußpflanzen hat vor allem in Vietnam | |
| Tradition. Die pharmazeutische Nutzung ist aber bisher extrem aufwendig. | |
| Das macht die Medikamente gerade in den Ländern, in denen sie gebraucht | |
| werden, besonders teuer, was zudem Arzneifälscher auf den Plan bringt. | |
| ## Ein bisher ungenutztes Nebenprodukt | |
| „Unser Prozess stellt einen konzeptionellen Sprung in der | |
| Naturstoffsynthese dar“, hebt Forscher Seeberger hervor. An seinem | |
| Institut, dem MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung mit Sitz in | |
| Potsdam-Golm, war es schon 2012 in einem ersten Schritt gelungen, den | |
| gesuchten Wirkstoff aus der Vorläufersubstanz Artemisininsäure DHAA zu | |
| erzeugen. | |
| Die Artemisininsäure war bis dahin ein ungenutztes Nebenprodukt, das bei | |
| der Isolierung des Wirkstoffs Artemisinin aus der Pflanze entstand. Der | |
| Planzenabfallstoff konnte von dem Seeberger-Team mit Techniken der | |
| Durchflusschemie in kurzer Zeit und mit hohen Ausbauten des gewünschten | |
| Wirkstoffs umgewandelt werden. Durch die Kopplung der Verfahren | |
| Chromatografie und Kristallisation ließen sich so Wirkstoffe in großer | |
| Reinheit erzeugen, die den Nutzungskriterien der | |
| Weltgesundheitsorganisation WHO entsprachen. Schon damals war das Golmer | |
| Institut in der Lage, wie Seeberger berichtet, „das von den Extrakteuren | |
| gewonnene Artemisinin in den Schwellenländern direkt in Medikamente | |
| umzuwandeln und andererseits zusätzlich aus dem Abfall Medikamente | |
| herzustellen“. | |
| Jetzt wurde dieser Prozess von einem Team um den Wissenschaftler Kerry | |
| Gilmore am Golmer MPI nochmals deutlich verbessert, weil der pflanzliche | |
| Ausgangsstoff DHAA nicht mehr aufwendig gereinigt werden muss. Der Kniff: | |
| Das Chlorophyll der Pflanze wird als Katalysator eingesetzt, der die | |
| Umwandlung beschleunigt. Das Verfahren ist zudem ökologischer, weil nicht | |
| mehr umweltbelastende Fotoaktivatoren eingesetzt werden müssen. | |
| ## Zurück zur Natur | |
| Auf die Idee mit dem Chlorophyll war die Magdeburger Chemiedoktorandin | |
| Susann Triemer gekommen. „Der Trick ist eigentlich, dass wir von | |
| herkömmlichen Methoden zurückgegangen sind zur Natur“, erzählt die | |
| Wissenschaftlerin. „Wir nutzen im Labor das Chlorophyll, das eh schon in | |
| der Pflanze ist, um für uns die Reaktion durchzuführen.“ Der grüne | |
| Pflanzenstoff fängt die Lichtenergie ein und stellt dadurch Zucker her, die | |
| klassische Fotosynthese. Triemer versetzte den Rohextrakt mit Chlorophyll | |
| anstatt wie bisher mit einem teuren und giftigen Farbstoff, schickte ihn | |
| durch einen transparenten Plastikschlauch und bestrahlte ihn mit Licht. Zur | |
| Überraschung aller kam auf diese Weise am Ende der Pipeline eine große | |
| Menge an Artemisinin heraus. Wunder der „grünen Chemie“. | |
| Die Effekte für die Produktion sind bedeutend. Der Umwandlungsprozess vom | |
| DHAA-Vorläufer zum Artemisinin-Wirkstoff, der in der Natur üblicherweise | |
| rund drei Wochen dauert, kann nun auf nur noch 15 Minuten verkürzt werden. | |
| Der Prozess ist nach Angaben Seebergers so effizient, „dass sich damit das | |
| 50- bis 100-Fache der natürlichen Konzentrationen an Artemisininsäure | |
| verarbeiten lässt“. | |
| Zusammen mit seinem Mitarbeiter Kerry Gilmore hat Seeberger schon vor | |
| einiger Zeit das Forschungs-Start-up ArtemiFlow gegründet, das nun die im | |
| Labor erprobte Technik in den Markt bringen will. Konkrete Gespräche gibt | |
| es bereits mit dem US-Bundesstaat Kentucky, wo der traditionelle Anbau von | |
| Tabakpflanzen kontinuierlich zurückgeht, indirekt verursacht durch eine | |
| andere Krankheit: Lungenkrebs durch Zigarettenrauchen. Bei der Suche nach | |
| Nachfolger-Kulturen für die heimische Landwirtschaft ist man in Kentucky | |
| auf die Arzneipflanze Beifuß gestoßen. | |
| „Da wir die gesamte Lieferkette kontrollieren und die großtechnische | |
| Produktion von Malariawirkstoffen in jeder Phase verbessern, können wir den | |
| Prozess nun industrialisieren“, sagt der aus den USA stammende Gilmore. | |
| Derzeit befinde man sich in Gesprächen mit möglichen Förderern, darunter | |
| die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die viel Geld in die Medizinforschung | |
| für Entwicklungsländer steckt. Konkrete Planungen für die | |
| Artemisinin-Gewinnung haben die Forscher-Unternehmer bereits: „Unser Ziel | |
| ist es“, erklärt Gilmore, „dass wir innerhalb von drei Jahren 50 Tonnen pro | |
| Jahr produzieren, das sind ungefähr 20 bis 25 Prozent des Weltmarktes.“ | |
| MPI-Direktor Seeberger blickt noch weiter, denn das Verfahren lässt sich | |
| auch für die Entwicklung anderer Therapeutika einsetzen: „Es bietet die | |
| Chance, nicht nur die Herstellung von Malaria-Medikamenten zu | |
| revolutionieren, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten für andere | |
| Arzneistoffe, die ähnlich hergestellt werden.“ | |
| 4 Mar 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.mpikg.mpg.de/biomolekulare-systeme/direktor/peter-seeberger | |
| [2] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/anie.201801424/abstract | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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