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# taz.de -- Kommentar Türkei und Deniz Yücel: Dreiste Zuständigkeitslüge
> Der türkische Ministerpräsident sieht Handlungsbedarf bei der Justiz im
> Fall Yücel. Falsch: Die Staatsanwaltschaft muss Anklage erheben.
Bild: Binali Yildirim und Angela Merkel im Bundeskanzleramt
Der türkische Ministerpräsident will also nicht zuständig sein. Er hoffe,
dass Deniz Yücel bald seinen Prozess bekomme, sagte Binali Yıldırım [1][am
Donnerstagabend während seines Besuchs] im Kanzleramt. Das sei aber Sache
der Justiz, und die arbeite im türkischen Rechtsstaat unabhängig. Eine
Behauptung, die die türkische Regierung regelmäßig wiederholt – und der die
Bundesregierung bisher nicht widersprochen hat. Dabei ist sie
offensichtlicher Blödsinn.
Im Fall Yücel müssen nicht die Gerichte den nächsten Schritt machen,
sondern die Staatsanwaltschaft. Ihre Aufgabe ist es, nach über einem Jahr
Untersuchungshaft endlich Anklage zu erheben – oder die Vorwürfe fallen zu
lassen und das Ermittlungsverfahren einzustellen. Unabhängig agieren die
Staatsanwälte in dieser Frage entgegen Yıldırıms Behauptung wohl nicht.
Schon institutionell sind die Strafverfolgungsbehörden in der Türkei eng
mit der Regierung verwoben. Und das ist an und für sich auch noch keine
Schande.
Selbst in Deutschland handeln Staatsanwälte nicht unabhängig. Anders als
Richter sind ihre Behörden den Justizministerien von Bund und Ländern
unterstellt. Die Regierungen dürfen den Staatsanwaltschaften Weisungen
erteilen und machen von diesem Recht auch Gebrauch.
Unter Juristen ist die Sinnhaftigkeit dieser Struktur zwar umstritten, für
das Weisungsrecht gibt es aber zumindest einen guten Grund: Dürfen die
Justizminister auf die Staatsanwälte Einfluss nehmen, sind sie für deren
Entscheidungen politisch verantwortlich. Sie haben also ein sehr
persönliches Interesse daran, grobes Unrecht zu verhindern – wenn nicht aus
Überzeugung, dann zumindest, um selbst keinen politischen Schaden zu
erleiden.
Die türkische Regierung stiehlt sich aus ihrer Verantwortung, wenn sie
jegliche Zuständigkeit für den Fall Yücel leugnet. Dass die Bundesregierung
dabei mitspielt und ebenfalls von Entscheidungen einer unabhängigen Justiz
spricht, ist wahrscheinlich Taktik: Sie will Erdoğan, Yıldırım und Co eine
goldene Brücke bauen, um das Verfahren zu beenden, ohne das Gesicht zu
verlieren.
Wenn die türkische Regierung aber partout nicht über diese Brücke gehen
will, sollte die Bundesregierung über eine neue Taktik nachdenken: die
Verantwortlichen klar benennen und den Rechtfertigungsdruck auf die
türkische Regierung damit erhöhen.
16 Feb 2018
## LINKS
[1] /Tuerkischer-Ministerpraesident-in-Berlin/!5485092/
## AUTOREN
Tobias Schulze
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