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# taz.de -- Eishockey-Finale bei den Winterspielen: Nur 55,5 Sekunden
> Nach dem verlorenen Finale merkt die deutsche Mannschaft: Wir sind doch
> gar nicht so schlecht im Eishockey.
Bild: Erhobener Abtritt: Christian Ehrhoff verlässt nach der Siegerehrung das …
Gangneung taz | Nach dem Ende gaben sich alle Spieler die Hände, und dann
lief aus den Lautsprechern wieder diese Melodie: „Those were the days, my
friend“. Ja, das waren die Tage: ungesehen, unvergesslich, vielleicht sogar
unwiederholbar. Trotz dieses Finals, trotz dieses unfassbaren Dramas.
Zwei Minuten, 20 Sekunden, so lange war Deutschland Olympiasieger im
Eishockey. 3:2 führte die Mannschaft gegen Russland. Eine Minute war noch
zu spielen, 49 Sekunden davon würde Deutschland in Überzahl sein. „Da denkt
man schon fast, man hat es geschafft“, sagte Jonas Müller, der dieses 3:2
erzielte hatte. Müller, ein 22-Jähriger von den Eisbären Berlin mit
Kindergesicht. Ein Verteidiger, der im Gruppenspiel gegen Norwegen sogar
nur Reserve war und erst in die Mannschaft kam, als Sinan Akdag verletzt
abreisen musste. Dieser Jonas Müller schießt also dieses herrliche Tor mit
der Finte eines angetäuschten Schusses vorher – es wäre eine Geschichte wie
ein Monument geworden für alles, was man über das deutsche Underdog-Märchen
von Gangneung wissen muss.
Aber im Eishockey ist es nie vorbei, bis es nicht vorbei ist. Einer wie
Franz Reindl weiß das. „Jetzt können wir es schaffen“, das habe auch er in
diesem Moment gedacht, sagte der Präsident des Deutschen Eishockeybundes
und Bronzemedaillengewinner von 1976 später. Mehr nicht: „Ich bin zu lange
dabei, um zu denken: Da wird es schön, da wird es gemütlich. In so einer
Lage: Da geht es erst richtig los.“
Vielleicht lag es sogar an der russischen Strafzeit. Vielleicht war es der
erste Moment des Zweifels auf dieser Welle traumwandlerischer Überzeugung,
die das Team durch die letzten Wochen trug und scheinbar unüberwindliche
Hürden nehmen ließ, immer entlang des Matchplans ihres Trainer Marco Sturm.
Aber jetzt fand es sich in einer Situation ohne Automatismen, weil sie im
Eishockey sonst nicht vorkommt: Was tun, wenn man nichts passieren lassen
will, obwohl man einen Mann mehr hat. Ein normales Powerplay spielen? Oder
einfach die Scheibe halten?
Die Russen kämpften sich verzweifelt ins deutsche Drittel, nahmen den
Torwart heraus, und dann musste Yannic Seidenberg zur Bank, weil er seinen
Helm verloren hatte, man darf so nicht weiterspielen. Für kurze Momente
waren die Russen nun in Überzahl, ein ewiges Gestocher, der Puck trudelt
nach links, gerade genug in die Nähe von Nikita Gusew, damit dieser ihn mit
gestrecktem Schläger erreicht. Tor. 55,5 Sekunden vor Ende des Spiels.
## Danach flossen die Tränen
55 Sekunden vor dem Olympiasieg. Die Deutschen hatten sich von zwei
Rückständen erholt, war ab dem zweiten Drittel sogar ebenbürtig, teilweise
dominant gegen den haushohen Turnierfavoriten. Doch jetzt war das Momentum
verloren, das dieses Team immer so beschworen hatte.
In der Verlängerung rettete der Schoner des überragenden Danny aus den
Birken – vom Weltverband zum besten Torwart des Turniers ernannt – noch
einmal. Aber als Patrick Reimer wegen hohen Stocks eine Strafzeit
kassierte, brauchten die Russen nur 29 Sekunden für das Siegtor von Kirill
Kaprisow. Für den „Stich ins Herz“ (Aus den Birken).
Danach flossen Tränen. Doch als sie die Medaillen bekamen, konnten schon
fast alle wieder lachen. „Im ersten Augenblick war es sehr schmerzhaft“,
sagte Seidenberg später ganz gefasst, „aber als wir uns dann aufgereiht
haben, war ich unglaublich stolz, hier dabei gewesen zu sein und die
Medaille in der Hand zu haben.“
Ja, das waren die Tage. „Ich werde sie nie vergessen“, sagte Bundestrainer
Marco Sturm, der kurz davor war, zu einem Sepp Herberger des Eishockeys zu
werden, denn ein Olympiasieg nach Siegen gegen die drei ewigen Mächte
Schweden, Kanada und Russland, das wäre aus rein sportlicher Sicht
allenfalls mit dem „Wunder von Bern“ zu vergleichen gewesen. „Die
Enttäuschung ist schon größer als die Zufriedenheit jetzt gerade“, sagte
Sturm, aber das sollte nicht lange so bleiben, das betonten alle, bevor sie
sich zu Schlussfeier und Party im Deutschen Haus verabschiedeten.
55 Sekunden vor der Ewigkeit, zu der sie es trotzdem gebracht haben. Man
muss sich ja nur anschauen, wie mythisch seit 1976 die Dritten von
Innsbruck verehrt werden. Ein Überraschungsteam würde es geben bei diesem
Eishockey-Turnier ohne NHL-Profis, das war erwartet worden. Dass es
Deutschland war, damit rechneten nicht mal die Spieler selbst, trotz ihrer
WhatsApp-Gruppe „Mission Gold“. „Klar, wir lassen uns jetzt auch 40 Jahre
feiern“, lachte Danny aus den Birken, kurz nach Spielende schon wieder
bester Laune. „Vielleicht hat ja Hollywood Lust, einen Film über uns zu
machen. Ich möchte nur, dass mich dann Brad Pitt spielt.“
Als die russischen Sieger aufgerufen wurden, da guckten die deutschen
Spieler hoch zum Videowürfel: Kowaltschuk, Dazjuk, große Namen ihres Sports
erschienen da. Deutschland trieb sie in ein Herzschlagfinale und hatte sie
fast geschlagen. Deutschland hat gelernt, das es vielleicht doch gar nicht
so schlecht ist im Eishockey. „Wenn wir uns sehen, in wer weiß wie vielen
Jahren, werden wir uns an die Momente von hier erinnern“, sagte Kapitän
Marcel Goc. Bis dahin wird noch viel von einem möglichen Boom die Rede
sein, von der Chance, die neu entfachte Euphorie im Land für den Sport zu
nutzen. Aber für die nähere Zukunft lautet die Botschaft erst mal, so Goc:
„Ja, wir können spielen.“
25 Feb 2018
## AUTOREN
Florian Haupt
## TAGS
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