# taz.de -- Russland und die Winterspiele: Schrecklich nette olympische Familie | |
> Nach 17 Olympiatagen gewinnt das Team der „Olympischen Athleten“ sein | |
> erstes Gold. Am Sonntag entscheidet das IOC, wie es weiter geht. | |
Bild: Große Kunst: Alina Sagitowa bei der Kür | |
GANGNEUNG taz | Gold für Russland. Sie hatten 17 Olympiatage darauf warten | |
müssen. Die Mannschaft, die sich in Pyeongchang [1][„Olympic Athletes from | |
Russia“ nennen muss], hatte bis Freitag immer nur Silber und Bronze | |
gewonnen. Sie hatte sich im Medaillenspiegel in der Nähe von Nationen wie | |
Australien und der Ukraine aufgehalten, weit hinten. An Tag 17 aber ist | |
sogar ein Doppelsieg herausgesprungen – im Eiskunstlauf der Frauen. Alina | |
Sagitowa vor Jewgenija Medwedewa. Das 15-jährige Sprungwunder vor der | |
zweimaligen Weltmeisterin, die auch jung ist, erst 18 Jahre alt, aber schon | |
über die Ausdrucksstärke einer gereiften Eiskünstlerin verfügt. | |
Die vielen russischen Fans in der Gangneung-Eisarena durften endlich | |
jubeln, ihre Spruchbänder „Vorwärts, Alina!“, „Vorwärts, Schenja!“ u… | |
„Schenk uns den Sieg!“ ausrollen. Ihre Schenja hatten sie etwas mehr ins | |
Herz geschlossen, denn nach deren Kür, der besten des Tages, flogen so | |
viele Kuscheltiere aufs Eis, mit denen hätte man glatt zwei Dutzend Kitas | |
ausrüsten können. Sie wird vielleicht ein wenig Trost finden im | |
Streichelzoo aus Plüsch, denn es fehlte ihr nur gut ein Punkt zum Sieg, | |
eine lächerliche Winzigkeit. | |
Medwedewa heulte, aus Enttäuschung. Sagitowa heulte, vor Glück. Später | |
umarmten sie sich, und die Siegerin sagte, eine Rivalität habe nie zwischen | |
ihnen bestanden, „sie hat mich einfach nur angespornt, mein Bestes zu | |
geben“. | |
Das waren schöne Bilder, die bestimmt auch dem IOC gefallen, das ja noch | |
vor der Abschlussfeier am Sonntag darüber entscheiden muss, ob die Russen | |
wieder in vollem Ornat und mit ihrer Trikolore an der finalen Show im | |
Olympiastadion von Pyeongchang teilnehmen dürfen. Zur Siegerehrung der | |
russischen Eiskunstläuferinnen am Freitagabend wurde wie immer nur die | |
olympische Flagge gehisst. Ob sie das gut finde, wurde Sagitowa gefragt, | |
aber sie wollte darauf nicht antworten. Medwedewa sagte, nachdem sie sich | |
etwas Bedenkzeit ausbedungen hatte: „Wir haben heute hier bewiesen, wer wir | |
sind und was wir können.“ | |
## Die OAR-Sportler | |
Das ist Musik in den Ohren vieler russischer Sportfans, die sich gedemütigt | |
fühlen und einen größeren Plan hinter dem Olympiabann vermuten. Auf dem | |
russischen Portal Sport-Express wollten sie dieser Tage in einer Umfrage | |
wissen, ob der Dopingfall des russischen Curlers Alexander Kruschelnitzki | |
ein Anschlag sei. Mehr als zwei Drittel sagten Ja. Sie glauben, dass dem | |
Athleten, der mit seiner Frau Anastasija Brysgalowa zu Beginn der | |
Winterspiele die Bronzemedaille im gemischten Doppel gewonnen hatte, das | |
Kreislaufmittel Meldonium in ein Getränk gemischt worden sei. | |
„Wir haben die Bronzemedaille durch harte Arbeit und dauerhaftes Training | |
gewonnen“, sagte der Curler in Gangneung. Er räumte ein, dass ihm ein | |
formeller Dopingverstoß nachgewiesen worden sei, „es wäre dumm, das zu | |
bestreiten, nachdem zwei Tests positiv ausgefallen sind“. Aber gerade | |
deswegen wabern auf russischer Seite Verschwörungstheorien. Warum, so fragt | |
man sich, sollte ein Präzisionssportler ausgerechnet ein Medikament | |
einnehmen, das seit etwa zwei Jahren auf der Verbotsliste der | |
internationalen Antidopingagentur Wada steht und nach dem Dopingfall von | |
Tennisstar Marija Scharapowa eigentlich ein No-Go sein sollte? | |
Die Zeitung Moskowski Komsomolez hat den „Erfinder“ der Substanz Meldonium, | |
Ivars Kalviņš, interviewt. „Eine Winzigkeit von Meldonium genügt, um im | |
Blut oder im Urin entdeckt zu werden“, sagte er und befeuerte damit | |
Verdächtigungen. Es sei unmöglich, Meldonium im Essen oder in Getränken zu | |
schmecken, denn es habe keinen spezifischen Geschmack. Das Portal | |
Sputniknews behauptete, im Westen sei Meldonium-Doping legal, dort heiße | |
die Substanz nur anders, nämlich L-Carnitin. Tatsächlich ist Meldonium mit | |
Substanzen wie Kreatin oder Carnitin verwandt, aber es ist, hin oder her, | |
nun einmal verboten. | |
Die russische Medienoffensive zeigt, dass man im Reich des Wladimir Putin | |
nervös ist. Und das hat eben den Grund, dass das IOC am Samstag oder | |
Sonntagmorgen darüber entscheidet, ob das russische NOK wieder aufgenommen | |
wird in den Olymp. Im Dezember 2017 war es ja suspendiert worden, und nur | |
168 handverlesene und durchgecheckte Athleten durften nach Pyeongchang | |
reisen, um dort als „Olympic Athletes from Russia“, als OAR-Sportler | |
aufzuschlagen. | |
## Zurückhaltend und demütig | |
Die Russen fühlten sich – Achtung, Wortspiel! – ziemlich verOARscht, | |
durften die Sportler aus Moskau oder Sankt Petersburg ja nicht mal mit der | |
russischen Fahne wedeln, wenn sie etwas gewonnen hatten. Sie hatten sich in | |
olympischen Gefilden zurückzuhalten und ihre Bewährungsstrafe während der | |
Winterspiele brav abzusitzen. Ein „Code of Conduct“, ein Verhaltenskodex, | |
schrieb vor, wie sich die russischen Sportler zu benehmen hatten: | |
zurückhaltend und demütig. | |
Über das Wohlverhalten der Russen wachte eine Frau aus dem IOC, Nicole | |
Hoevertsz, 53. Sie war früher Synchronschwimmerin und hat die meiste Zeit | |
ihres Lebens auf der niederländischen Karibikinsel Aruba verbracht. Die | |
Juristin fand kürzlich auf dem holländischen Portal sportknowhowxl.nl | |
überraschend deutliche Worte: „Am Ende hoffen wir, die Olympiateilnehmer | |
aus Russland während der Abschlusszeremonie als russische Delegation im | |
Stadion willkommen zu heißen. Das Exekutivkomitee möchte ausdrücklich die | |
Aussetzung Russlands während dieser Spiele beenden.“ | |
Russland gehöre nun einmal zur olympischen Familie, „also muss man weiter | |
kommunizieren und dafür sorgen, dass sich ernsthafte Situationen, wie sie | |
in Russland aufgetreten sind, nicht wiederholen“. Die Frage ist nun, wie | |
schwer der Dopingfall Kruschelnitzki wiegt. Wird er vom IOC als Lappalie | |
betrachtet, oder zeigt er, wie unbelehrbar die Russen im Grunde sind? | |
Bewirkt der Charme der jungen Eiskunstläuferinnen etwas? Und was wird | |
IOC-Chef Thomas Bach tun, der in dieser Woche den russischen NOK-Vize und | |
Putin-Vertrauten Igor Lewitin in Pyeongchang getroffen hat? Angeblich hat | |
das Gespräch aber vier Minuten gedauert? | |
Die Russen haben jetzt auch mit einer Zahlung über 15 Millionen Dollar an | |
das IOC Abbitte geleistet. Sie wollen mit Macht ihre Fahne zurück. Aber | |
selbst wenn das so schnell nichts wird, bei der russischen Ersatzolympiade, | |
die angeblich im März stattfinden soll, wird die Flagge wehen für | |
Shorttracker Wiktor Ahn, Biathlet Anton Schipulin oder Eisschnellläufer | |
Pawel Kulischnikow. | |
23 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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