# taz.de -- Roman über tschechische Raumfahrt: Im böhmischen Kosmos | |
> Eine Wundertüte ist Kalfařs „Eine kurze Geschichte der tschechischen | |
> Raumfahrt“. Sie ist Helden- und politische Abrechnungsgeschichte | |
> zugleich. | |
Bild: Alexei Gubarew (UdSSR, l.) und Vladimír Remek (CSSR) flogen am 2. März … | |
Oh, wie schön ist Panama!, möchte man manchmal vor sich hin seufzen bei der | |
Lektüre von Jaroslav Kalfařs Erstlingsroman, so sehr ist dieses Buch von | |
Sehnsucht durchtränkt. Nur dass das Sehnsuchts-Panama in diesem Fall | |
Bohemia heißt. | |
„Spaceman of Bohemia“ ist der Originaltitel des auf Englisch geschriebenen | |
Romans, der als „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ nun ins | |
Deutsche übersetzt wurde. Sein Autor Jaroslav Kalfař entstammt selbst dem | |
böhmischen Kosmos, ist er doch geboren und fast ganz fertig aufgewachsen in | |
Prag und erst mit 15 Jahren in die USA emigriert, wo er seither lebt. Aber | |
zumindest in diesem Roman kehrt er mit so leidenschaftlicher Zugewandtheit | |
in die alte Heimat zurück, dass man die emotionalen Detonationswellen beim | |
Eintritt in die tschechische Kulturstratosphäre zu spüren glaubt. | |
Unter anderem packt Kalfař ein längst nicht fertig geschmiedetes Eisen an, | |
das auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der „samtenen Revolution“ von 1989 | |
immer noch glüht: Er thematisiert die gesellschaftlichen und emotionalen | |
Verwerfungen, die das überwundene repressive System in der | |
postkommunistischen Gesellschaft hinterlassen hat. Der Autor selbst ist | |
1988 geboren, also ganz Kind der neuen Zeit. Es seien aber zum Teil | |
Erfahrungen seiner eigenen Familie, die er im Roman verarbeitet habe, | |
erklärt er in einem Interview mit einer tschechischen Nachrichtenseite. | |
Außerdem habe er in der Kindheit aufmerksam den Diskussionen in den Kneipen | |
gelauscht, wohin die Erwachsenen ihn manchmal mitnahmen. Diese | |
Kneipenkultur, das sei eine Sache, die er in Amerika vermisse. | |
Bei der Lektüre von „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ | |
gewinnt man den deutlichen Eindruck, dass es wohl noch eine ganze Menge | |
andere Dinge gibt, die Jaroslav Kalfař vermisst – oder dass er selbst auf | |
einer fast ebenso bedeutsamen Mission ist wie der Held seines Romans. In | |
seinem Fall: der Welt die tschechische Kultur zu erklären. Denn obwohl er | |
auf Englisch schreibt (und auch die tschechische Übersetzung seines Romans | |
getrost jemand anderem überlassen hat), empfindet Kalfař sich als | |
tschechischer Schriftsteller. Das sei, so sagt er, im übrigen auch Milan | |
Kundera immer geblieben – und der schreibe auch nur noch auf Französisch | |
(nachdem er seit immerhin schon vier Jahrzehnten in Frankreich lebt). | |
## Für tot erklärt | |
Die Mission des Jakub Procházka, Held von Kalfařs Roman, wiegt aber wohl | |
auch in tschechisch-nationaler Hinsicht noch weitaus schwerer als die | |
seines Autors. Denn Jakub Procházka ist der erste Tscheche im All. Und soll | |
gleich eine für die gesamte Menschheit sehr wichtige Sache klären, nämlich | |
ergründen, was es mit einem seltsamen, unbeweglichen Nebelfeld auf sich | |
hat, das sich zwischen die Erde und die Venus gelegt hat. Procházka, seines | |
Zeichens Professor für Astrophysik und ausgewiesener Experte auf dem Gebiet | |
galaktischen Staubs, merkt leider zu spät, dass er sich dazu im Grunde gar | |
nicht ins All hätte begeben müssen; denn ein mindestens ebenso störendes | |
Nebelfeld liegt schon lange zwischen ihm und seiner Frau Lenka. Und als | |
Lenka ihn schließlich verlässt, um sich ein Stück eigenes Leben | |
zurückzuholen, kann Jakub rein gar nichts dagegen unternehmen, weil er | |
gerade monatelang allein in seinem Raumschiff sitzt. | |
Allerdings: Ganz allein wohl nicht, denn ein seltsames kluges Wesen, das | |
mal aussieht wie eine Spinne mit Kussmund, dann wieder in Jakubs Kopf zu | |
wohnen scheint und seine Gedanken liest, leistet ihm immer öfter | |
Gesellschaft im All. Jakub nennt den Gefährten „Hanuš“, nach dem legendä… | |
Schöpfer der berühmten Prager Aposteluhr. In deren Uhrenturm übrigens, der | |
eigentlich strengstens gesperrt sein müsste, hatten Jakub und Lenka mal | |
Versöhnungssex. Einst; in einem anderen Leben, in das Jakub nie wieder | |
zurückkehren wird – auch wenn er, nach vielen dramatischen Ereignissen, an | |
denen auch die Besatzung eines russischen Raumschiffs beteiligt ist, | |
tatsächlich mit letzter Kraft auf den Planeten Erde zurückkehrt und die | |
böhmische Heimat wiederfindet. | |
Dort ist er längst für tot erklärt worden. Doch pragmatisch und down to | |
earth, wie die Tschechen sind, kommt sein alter Chef schnell über den | |
ersten Schreck hinweg und schickt ihn erst mal nach Karlsbad zur Kur. Was | |
man halt so macht. | |
## Die gewisse Unfertigkeit | |
Wenn es trotz aller tollen Einfälle, Drehungen und Wendungen in diesem | |
Roman ein minimales Problem gibt, so liegt es darin, dass eigentlich zu | |
viel darin steckt. Dass Jaroslav Kalfař sich offenbar in den Kopf gesetzt | |
hatte, eine traurige Liebes- und eine verrückte Helden- und noch eine | |
politische Abrechnungsgeschichte in einem einzigen Buch zu erzählen, ist | |
schon etwas tollkühn. Da alles irgendwie ungefähr gleich gewichtet | |
daherkommt, bleibt insgesamt der diffuse Eindruck einer gewissen | |
Unfertigkeit zurück. | |
Um die (Familien-)Geschichte einer endgültigen Abrechnung mit der jüngeren | |
Vergangenheit in Ruhe zu Ende erzählen zu können, muss der | |
Lenka-Erzählstrang, der zwischendurch so wichtig erschienen war, kurzerhand | |
gekappt werden. Auch Jakubs Weltraumabenteuer, das ihm immerhin ein Denkmal | |
im Prager Stadtbild und zahlreichen anderen Menschen den Tod gebracht hat, | |
erfährt keine wie auch immer geartete erzählerische Nachbereitung, so dass | |
die Raumfahrerei im Nachhinein nur mehr als fantasievoll ausgearbeitete | |
Metapher über die Geschichte einer großen Liebesentfremdung – die am Ende | |
gar nicht mehr so wichtig ist – unaufgelöst irgendwo im Raum hängen bleibt. | |
Im anderen Erzählstrang, der sich zum Ende hin immer mehr als der | |
eigentlich wichtige zu erkennen gibt, rächt sich ein Mann, der zu | |
kommunistischen Zeiten Opfer der Staatsgewalt in Gestalt von Jakubs Vater | |
wurde, stellvertretend an dessen Familie. Diese Geschichte, die tragische | |
und kafkaeske Momente vereint, mündet letztlich aber auch allzu glatt in | |
eine Art Auflösung. Die komplexe moralische Problematik, die dahintersteht, | |
haben wir zwar gesehen. Aber am Schluss liegt wieder der Deckel drauf. Ob | |
das jetzt die Lösung sein soll, bleibt recht unklar. | |
Während der Lektüre allerdings gibt es für solche und ähnliche kritischen | |
Beobachtungen kaum Gelegenheit. Der Roman platzt vor Geschichten und | |
Fantastereien, weil sein einfallsreicher Autor mit so ungebremstem | |
Erzähldrang bei der Sache ist. Ebenso groß ist dementsprechend auch der | |
Lesedrang. | |
Dass auf dem Weg das eine oder andere verlorengeht, wenn einer so volle | |
Fahrt voraus alles auf einmal zu erzählen versucht, was ihm so am Herzen | |
liegt, ist kein Wunder und darf bei einem ersten Roman ruhig so sein. | |
Jaroslav Kalfař hat ja, wenn es gut für ihn läuft, hoffentlich noch viele | |
Romane vor sich. Auf den nächsten kann man jedenfalls schon mal gespannt | |
sein. | |
18 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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