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# taz.de -- Wird Hamburg noch eine richtige Stadt?: Willkommen, neue Dichte!
> Die Wohnungsnot in den Großstädten gebiert eine neue Architektur der
> Verdichtung. Führt die zu mehr Stress? Quatsch, Hamburg zum Beispiel kann
> sie nur gut tun.
Bild: Haus an Haus und dazwischen Verkehr: Altonas neue Dichte
„Hamburg hat meine Illusion von der Großstadt zerstört.“ Das hat mal ein
junger Student aus Bosnien gesagt. Er hatte seine neue Heimat zu Fuß
erkundet, war radial vom Zentrum aus losmarschiert – und immer wieder
erschrocken, wie jäh endete, was er für Stadt hielt.
Stattdessen, gleich hinter Eimsbüttel: breite Straßen, von denen sich wie
zufällig hingewürfelte Wohnbebauung abwendet, dazwischen Rasen und
Gestrüpp. Mietskasernenriegel. Einfamilienhaushölle. Es fehlt jeder
Zusammenhang. Mitten in dem, was die Hamburger ihre Stadt nennen, eine Art
vorgezogener Speckgürtel, der jedes Wachsen tatsächlich urbaner Strukturen
abschnürt.
Die Unwirtlichkeit dieser zersiedelten Zwischenwelt hat sich
herumgesprochen. Alles drängt heute in die innerstädtischen Viertel, am
liebsten in eng gebaute Gründerzeitzeilen, die noch bis in 1980er-Jahre dem
Verfall preisgegeben schienen. Heute strahlen sie eine Behaglichkeit aus,
die nicht nur in der historischen Bausubstanz gründet, sondern auch in dem
Gefühl der Möglichkeit von Gemeinschaft.
Der hohe Druck auf den Hamburger Wohnungsmarkt potenziert sich in diesen
Vierteln, und das ist gut so. Denn er führt dazu, dass sie ganz allmählich
wachsen. An ihren Rändern werden Gewerbetreibende weichen müssen, die dort
bislang noch mit einstöckigen Lagerhallen aasen dürfen, und, das stimmt,
auch manch Kleingarten oder Hundekackwiese. Stattdessen entstehen zentrale
Stadtviertel wie die „Neue Mitte Altona“, die enger und höher gebaut sind,
als man das nach dem Zweiten Weltkrieg je gewagt hat.
Und die begehrten Viertel „wachsen“ auch nach innen. Der Hype macht
Baugrundstücke rentabel, an die Immobilienentwickler jahrzehntelang keinen
Gedanken verschwendet haben: Zu klein, zu laut, rechtlich zu kompliziert
schienen lange die Brachen, Hinterhöfe oder Hauptstraßenränder. Nun werden
überall Baulücken geschlossen, Nachkriegspavillons abgerissen und Häuser
aufgestockt. „Nachverdichtung“ ist das Stichwort, das Investoren frohlocken
und manchen Anwohner zittern lässt.
Ist das jetzt ein historischer Rückfall, ein Produkt verschärfter
Kapitalverwertung ebenso wie der Einsicht der Hamburger SPD, dass ihre
Wohnmaschinen auf der grünen Wiese gescheitert sind? Drohen wieder Zustände
wie einst im Hamburger Gängeviertel, das die Nazis in einer Pervertierung
des Lebensreform-Ansatzes von „Licht und Luft“ einfach platt gemacht haben?
Nein, schon die Brandschutzauflagen verhindern, dass wieder so gebaut wird
wie im Gängeviertel, wo sich einst ein windschiefes Haus ans andere lehnte
und mancher Wohnverschlag nur über eine wackelige Stiege erreichbar war.
## Mehr Menschen = mehr Stress?
Aber nimmt nicht mit der Zahl der Menschen in der Stadt unweigerlich auch
der Stress zu? Das Argument bringen komischerweise immer jene vor, die sehr
bewusst in eines der innerstädtischen Viertel gezogen sind – weil sie so
bunt und lebendig sind, weil sie ein „kreatives“, also eigentlich: der
Kreativität förderliches, Ambiente bieten. Nur ist es mit dem bunten Leben
immer genau im Moment des eigenen Zuzugs gerade genug. Mehr Leben ist
irgendwie ungesund, mehr Menschen von Übel.
Dabei sind es doch nicht die Menschen, die Stress verursachen. Früher, in
der viel beklagten Stadt des 19. Jahrhunderts, war es der Lärm der
industriellen Revolution, der einen in den Wahnsinn treiben konnte. An
jeder Ecke eine Werkstatt, ein Sweatshop, eine Fabrik; Dampfhämmer wummern,
Funken sprühen, ein infernalischer Krach. All das hat die moderne
Stadtplanung ja längst vom Wohnen geschieden, wenn es nicht durch
Emissionsschutz ganz abgeschafft ist. Noch nie war die Stadt so leise wie
heute.
Heute ist der Stressfaktor Nummer eins der Verkehr. Und dagegen kann man
leicht etwas tun: Nahverkehr billiger machen, Taktung erhöhen,
Anwohnerparken, Tempo-30-Zonen, die Elektromobilität endlich wirksam
fördern. Und vielleicht ein paar Halligalli-Events weniger. Dann werden
neue Nachbarn leicht zu verkraften sein.
Den ganzen Schwerpunkt zum Streit um den Wohnungsbau lesen Sie in der taz
am Wochenende am Kiosk oder [1][hier].
12 Jan 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Jan Kahlcke
## TAGS
Stadtentwicklung Hamburg
Wohnungsnot
Wachsende Stadt
Mobilität
Wohnungsbauprogramm
Altonaer Bahnhof
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