Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach einer Rede im Bundestag: Hexenjagd auf Schüler in Russland
> Der Schüler Nikolai Desjatnitschenko aus Sibirien hat sich über
> Wehrmachtssoldaten geäußert. In seiner Heimat ist die Entrüstung groß.
Bild: Nikolai Desjatnitschenkos Heimatstadt Nowy Urengoi in Sibirien
Moskau taz | Nikolai Desjatnitschenko nimmt sich das alles sehr zu Herzen.
Sieben Kilo hätte der russische Schüler nach seinem Auftritt im Bundestag
am Volkstrauertag verloren, erzählt der Verwaltungschef des Kreises der
Jamal-Nenzen, Dmitri Kobylkin, im regionalen Fernsehen.
Nikolai stammt aus Nowy Urengoi am Polarkreis. Seine Schule unterhält ein
Austauschprogramm mit dem Kassler Friedrich-Gymnasium.
Vor dem Bundestag erzählte Nikolai von dem Wehrmachtssoldaten Georg Rau,
der einer der Soldaten war, die „von der sowjetischen Armee im sogenannten
Kessel von Stalingrad eingekreist wurden“. Der junge Hobbyhistoriker hatte
dessen Grab ausfindig gemacht und berichtete, wie traurig ihn das gemacht
hätte. Viele Gräber von unschuldig gefallenen Menschen hätte er gesehen,
„von denen viele in Frieden leben und nicht kämpfen wollten“, sagte der
16-Jährige.
Seither tobt ein Sturm der Empörung über Russland. Nikolai wird
verdächtigt, Sympathien für den Nationalsozialismus zu hegen. Soziale
Medien verunglimpfen ihn und zeigen ihn in Naziuniform. Eine Hexenjagd hat
begonnen. Wer Wehrmachtssoldaten für unschuldig hält, spreche sowjetischen
Opfern die Würde ab, lautet der Tenor. Auch der „sogenannte“ Kessel von
Stalingrad sei eine Verunglimpfung, wütet es in den Kommentaren. Russlands
Verluste sollen geschmälert werden.
## Kreml bezeichnet Reaktionen als „exaltierte Kampagne“
Der Bürgermeister von Nowy Urengoi versuchte die Wogen zu glätten. Er rief
dazu auf, einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. Schon vorher hatte der Kreml die
Reaktionen als „exaltierte Kampagne“ bezeichnet. Nicht zuletzt war es
Präsident Wladimir Putin, der 2015 in der Literaturzeitschrift Russki
Pioner erzählte, dass seine Familie damals die deutschen Soldaten nicht
pauschal für alle Verbrechen verantwortlich machte.
Kobylkin beklagte das „aufgeheizte Klima in unserer Gesellschaft“, das
alles habe detonieren lassen. Das Bildungsreferat der Stadt kündigte
unterdessen disziplinarische Maßnahmen gegen Schule und Lehrer an.
Die Scharfmacherei geht indessen weiter. Erst verbreitet der
Nachrichtenkanal Rossija24 die Version, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung
die Schülerreise nach Deutschland finanziert habe. Nach Angaben der
Stiftung hat sie damit jedoch nichts zu tun. Sponsor ist das deutsche
Energieunternehmen Wintershall in Verbindung mit dem Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge.
Nach Rossija24 schaltete sich auch noch der Duma-Abgeordnete Jewgeni
Fjodorow ein. Er sitzt für die Kremlpartei Einiges Russland (ER) im
Parlament. Fjodorow bat in einem Schreiben Moskaus
Generalstaatsanwaltschaft, die Arbeit der FES zu prüfen und festzustellen,
ob die Stiftung nicht unter das Gesetz der „unerwünschten Organisationen“
falle.
Die FES vermutet, sie sei mit dem Friedrich-Gymnasium in Kassel verwechselt
worden. Die Gefahr besteht indes, dass ungeachtet der Faktenlage der Fall
eine Eigendynamik annimmt.
21 Dec 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Bundestag
Russland
Schule
Russland
Schwerpunkt Nationalsozialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Präsidentschaftswahl in Russland: Alexej Nawalny darf nicht kandidieren
Die Wahlkommission untersagt Nawalny, Wladimir Putin 2018 herauszufordern.
Der Amtsinhaber hat derweil noch kein Wahlprogramm.
Neuauflage von „Odyssee in Rot“: Linsen, in Stalingrad geschliffen
Heinrich Gerlach beschrieb als einer der ersten das wahre Gesicht der
deutschen Wehrmacht. Sieben Jahre verbrachte er in sowjetischen Lagern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.