# taz.de -- Grand Finals im Tischtennis: Wende nach der Ping-Pong-Revolte | |
> Der Deutsche Dimitrij Ovtcharov könnte am Freitag Weltranglistenerster | |
> werden. Das liegt auch an einer Rebellion chinesischer Tischtennisstars. | |
Bild: Wird er nun Ranglistenerster? Dimitrij Ovtcharov | |
Dimitrij Ovtcharov war not amused. „Natürlich bin ich in keiner Weise damit | |
einverstanden“, hatte der beste deutsche Tischtennisspieler im März über | |
seine Social-Media-Kanäle losgepoltert. Seine Kritik richtete sich an den | |
Tischtennis-Weltverband und dessen Entscheidung, zum 1. Januar 2018 die | |
Berechnung der Weltrangliste zu verändern. | |
Neun Monate später würde Ovtcharov anstelle einer digitalen Wutrede wohl | |
eher einen Blumenstrauß zur ITTF-Zentrale nach Lausanne schicken. Der | |
viermalige Olympiamedaillengewinner kann sich bei den am Freitag im | |
kasachischen Astana beginnenden Grand Finals zum Führenden der | |
Weltrangliste machen – zu verdanken hätte er das vor allem dem neuen | |
Weltranglistensystem, in dem nur noch ausgewählte Resultate aus den | |
vorherigen zwölf Monaten berücksichtigt werden. | |
Die Grand Finals, traditionell der letzte Höhepunkt des Turnierkalenders, | |
beschließen ein Tischtennisjahr, das so viele Facetten bot wie kaum eines | |
in der letzten Dekade. Die deutschen Tischtennisspieler haben daran einen | |
großen Anteil. Timo Boll tat es der fast gleichaltrigen Tennislegende Roger | |
Federer gleich. Boll spielte im Alter von 36 Jahren wie die jüngere Kopie | |
seiner selbst. | |
Wenn Boll in diesem Jahr verlor, dann meistens gegen seinen | |
Nationalmannschaftskollegen Ovtcharov. Der Olympia-Dritte von London hat | |
sein Spiel auf ein neues Level gebracht. Er gewann in diesem Jahr sechs | |
hochkarätige Turniere, etwa den World Cup und jüngst die German Open in | |
Magdeburg – beide Male gegen Boll im Finale. | |
## Streit um Cheftrainer Liu Guoliang | |
Das denkwürdigste Endspiel zwischen den beiden Deutschen aber hatte Ende | |
Juni bei den China Open stattgefunden. Die offenen chinesischen | |
Meisterschaften in Chengdu markierten einen Wendepunkt in der Saison, | |
vielleicht sogar in der Entwicklung der gesamten Sportart. Der Wettbewerb | |
war überschattet worden von einem Boykott der chinesischen Topstars. Die | |
waren vor heimischem Publikum und laufenden Fernsehkameras nicht zu ihren | |
Spielen angetreten – ohne Ankündigung. Sie waren einfach nicht da. | |
Die Aktiven um Ma Long und Fan Zhendong, die im Mai in Düsseldorf noch das | |
vielleicht imposanteste WM-Endspiel aller Zeiten dargeboten hatten, wollten | |
mit der Aktion Solidarität zu ihrem langjährigen Cheftrainer Liu Guoliang | |
zeigen. Liu war zuvor einem Machtkampf in der chinesischen Sportpolitik zum | |
Opfer gefallen, in dem seine Fürsprecher in den Ministerien geschasst | |
worden waren. | |
Dem erfolgreichsten Nationaltrainer aller Zeiten, unter dem China seit fast | |
15 Jahren jede Goldmedaille bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen | |
gewonnen hatte, sollte den Posten als Cheftrainer für das Amt | |
Vizepräsidenten des chinesischen Sportverbands räumen. Der Verband hatte zu | |
diesem Zeitpunkt bereits 18 andere Vizepräsidenten. | |
## Nächster Gegner: Koki Niwa | |
Nachdem Chinas Funktionäre vor den Augen der Sportöffentlichkeit von ihren | |
Sportlern der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, ging ein Beben durch die | |
chinesische Nationalmannschaft. Die Athleten tauchten über Monate nicht auf | |
der internationalen Tour auf. Sogar Gerüchte machten die Runde, dass die | |
besten Spieler die Rebellion mit dem Ende ihrer Nationalmannschaftskarriere | |
bezahlen würden. | |
Als sie im Oktober doch in den Turnierzirkus zurückkehrten, wirkten sie | |
ohne Liu und seinen gesamten Trainerstab verunsichert. Chinas Spieler | |
verloren in wenigen Wochen so viele Matches wie sonst in mehreren Jahren. | |
Beim World Cup in Lüttich gewann Timo Boll gegen Ma Long, Dimitrij | |
Ovtcharov bei den German Open wenige Tage später gegen Fan Zhendong. Beide | |
gelten gerade für Nichtchinesen als unschlagbar. Oder sollte es heißen: Sie | |
galten als unschlagbar? | |
Bundestrainer Jörg Roßkopf betonte zuletzt immer wieder, die Chinesen | |
„haben gerade ein paar Sorgen“. Sie „wackeln“ derzeit, heißt es unison… | |
Ovtcharov und Boll. Ans Ende der chinesischen Dominanz wollen sie noch | |
nicht glauben. Wie groß die selbst herbeigeführte Krise ihrer Konkurrenz | |
aus Fernost tatsächlich ist, werden sie schlussendlich erst Ende April | |
erfahren, wenn im schwedischen Halmstad die Mannschafts-WM stattfindet. | |
Dort könnte das deutsche Team mit dem offiziell besten Spieler der Welt | |
anreisen. Dimitrij Ovtcharov reicht in Astana der Einzug ins Viertelfinale, | |
um ab Januar die Weltrangliste anzuführen. Dazu muss er am Freitag | |
lediglich den fünf Positionen tiefer geführten Japaner Koki Niwa bezwingen. | |
15 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Lüke | |
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