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# taz.de -- Bundesligawettkampf im Schießsport: In Serie perfekt
> Die Luftgewehr-Bundesliga ist weltweit einmalig und bietet reichlich
> Überraschungen. Ein Besuch bei der Schützenbrüderschaft Freiheit e. V.
Bild: Jolyn Beer ist derzeit die beste Schützin der SB Freiheit und hat gerade…
Badenhausen taz | Ruhe könnte helfen. Es ist schließlich keine leichte
Aufgabe, aus zehn Meter Entfernung präzise einen Punkt zu treffen, dessen
Durchmesser ein wenig kleiner als ein Stecknadelkopf und in etwa so groß
wie die Eier der asiatischen Tigermücke ist. Aber in der Schulturnhalle in
Badenhausen am Rande des Harzes tut ein jeder, was er kann, um Ruhe erst
gar nicht aufkommen zu lassen.
Soeben hat der Kampfrichter das Startsignal gegeben: „Die Sportgeräte
dürfen ausgepackt werden.“ Gemeint sind die Luftgewehre. Von Waffen
sprechen die Sportschützen nicht so gern. Es ist Samstagnachmittag, die
fünfte Runde der 1. Bundesliga Nord Luftgewehr steht an. Aus Sicht des
Publikums sollen die Gastgeber, die Schützenbrüderschaft Freiheit e. V. aus
dem nahe gelegenen Osterode, den klitzekleinen Kreis von 0,5 Millimeter
Größe möglichst oft treffen, weshalb sie besonders lautstark unterstützt
werden. Konzentration hin oder her.
Die Hallenregie spielt einen Sirtaki, den gern beklatschten griechischen
Volkstanz, ein. Der Lautstärkeregler ist nahe am Maximum. Dazu setzen
Trommeln, Ratschen, Rasseln, ein Tröte und mitunter Sprechchöre wie im
Fußballstadion ein: „Kämpfen, Freiheit, Kämpfen!“ In den nächsten 50
Minuten wird der Hallensprecher trotz des Mikrofons und seiner zweifellos
großen Marktschreierqualitäten zu den knapp 150 Zuschauern kaum
durchdringen mit seiner Stimme. Nur Wortfetzen sind zu hören wie
„Weltklasseleistungen“, „super Show“, “die Besten der Welt“ sowie Z…
und Punktestände.
Spitzensportler würde vermutlich kaum einer in dieser etwas
heruntergekommenen Schulturnhalle in der niedersächsischen Provinz zwischen
Göttingen und Braunschweig vermuten. Doch Jolyn Beer beispielsweise, die
derzeit beste Schützin der SB Freiheit, hat gerade erst Ende Oktober das
Weltcupfinale mit dem Kleinkaliber im Dreistellungskampf in Neu-Delhi
gewonnen – der bislang größte Erfolg der 23-jährigen Sportsoldatin, für d…
sie ein Preisgeld von 1.200 Schweizer Franken erhielt. Beängstigend still
ist es vergleichsweise in der indischen Metropole gewesen.
In der dichten Lärmwolke von Badenhausen fühlt sich Beer erstaunlicherweise
wohler. „Wir sind hier ja nicht auf dem Friedhof“, erklärt sie in einer
Pause. „Das macht den Sport attraktiv, wenn Action reinkommt.“ Wenn man
sich nicht so sehr auf sich selbst konzentriere, nicht so viel Zeit zum
Nachdenken habe, sei das bis zu einem gewissen Maß gut. Im Training hört
sie deshalb Musik, bevorzugt HipHop, um „eine andere Reizquelle“ zu haben.
Sie erklärt: „Man braucht eine gewisse Abgezocktheit und drückt dann
einfach mal ab.“
Fast vier Minuten lässt sich Beer beim Duell gegen den Wissener SV am
Anfang Zeit, bis sie zum ersten Mal abdrückt und die Zielmitte, die Zehn,
trifft. 39 weitere Schüsse folgen. Siebenmal wird Beer die Zehn verfehlen.
Der Volltreffer ist die Norm, die Perfektion das angestrebte Ideal. Die
knapp danebengesetzten Schüsse entscheiden die Duelle. Beer hat an diesem
Tag Probleme. Etwas stimmt nicht, die Fehlerquote ist anfangs zu groß. Nach
Rücksprache mit Trainer Christian Pinno verändert sie ihre Stellung zum
Ziel. Es geht dabei wie immer um winzige Korrekturen.
Beer muss gegen die Beste des Gegners antreten. Insgesamt fünf Duelle, die
sich aus der Rangordnung im jeweiligen Team ergeben, werden zeitgleich
ausgetragen. Und die Zuschauer verfolgen das Geschehen indirekt, über die
an eine große Leinwand projizierten vielfach vergrößerten Zielscheiben.
Ihre Blicke kleben an der Projektion, nicht an den Sportlern. Und sie sind
fasziniert von den engen Millimeterentscheidungen in den Duellen, die dort
angezeigt werden. An diesem Spieltag geht es selbst für
Luftgewehr-Bundesligaverhältnisse besonders eng zu. Drei Duelle müsse im
Stechen entschieden werden, weil die Beteiligten nach 40 Schüssen jeweils
exakt gleich nah an der Perfektion waren. Am Ende siegt die SB Freiheit
3:2.
## Frauen in der Überzahl
Die halbe Liga gastiert an diesem Wochenende in Badenhausen. Sechs Teams,
die in zwei Tagen zwei Partien austragen. Mit der Liga lernt man
Deutschlands Provinzen kennen. Sie sind aus Kevelaer (Niederrhein), Elsen
(Paderborn), Wissen (Westerwald), Buer-Bülse (Gelsenkirchen) und
Wieckenberg (Landkreis Celle) angereist. Und mit ihnen ein kleiner Anhang
aus dem jeweiligen Schützenverein. Manches Team, erzählt Christian Pinno,
sei schon einmal auch mit einem Bus voller Unterstützer angefahren.
Einige Sportschützen allerdings kommen von noch viel weiter her. Der Ungar
István Peni etwa, die Nummer 1 der Weltrangliste, startet für Buer-Bülse.
Oder der Rumäne Alin George Moldoveanu, Olympiasieger von 2012 in London,
verstärkt die SB Freiheit. Nur die Fahrtkosten werden Moldoveanu erstattet.
„Das Format der Liga“, sagt Pinno, „ist weltweit einmalig.“ Die
Zweierduelle, der Lärm, das Teamgefüge – all das ziehe die weltweit besten
Individualsportler an. Anfangs reiste Moldoveanu noch mit dem Auto an. Und
nach seinem ersten Einsatz schrieb er auf dem Rückweg bei seinem ersten
Stopp in Nürnberg seinem neuen Team eine SMS: „Das ist genau das, was ich
gesucht habe.“ Er erklärt: „Für mich ist das hier wie eine Familie und
sportlich eine große Herausforderung.“
Anders als bei den Olympischen Spielen treten in diesem Wettkampfmodus
Frauen und Männer nicht getrennt an. In der Partie zwischen Freiheit und
Wissen nehmen in beiden Teams Frauen die Spitzenpositionen ein, und sie
sind mit einem Verhältnis von drei zu zwei jeweils in der Überzahl. „Frauen
sind vielleicht sogar besser“ sagt Pinno auch mit Blick auf den eigenen
Nachwuchs. Bei den Olympischen Spielen würden Männer für belastbarer
gehalten, weshalb ihre Wettkämpfe länger angelegt seien.
Für den Wissener SV schießt mit Kevin Zimmermann auch ein Schütze vom
Rollstuhl aus. Fünf bis sechs Parasportler, erzählt er, mischen in der
Bundesliga Nord und Süd mit. Mit Gleichberechtigung und Inklusion scheinen
die Schützensportler schon weitergekommen zu sein als viele andere
Sportarten.
Erstaunlich, denn die Schützenvereine, aus denen die Leistungssportschützen
hervorgehen, sind noch von altem Schrot und Korn. Bei der SB Freiheit wird
etwa beim Schützenfest auf die alten Vorschriften geachtet. In der
Einladung hieß es dieses Jahr: „Kleidung für Aktive an allen Tagen:
schwarze Hose/Rock, weißes Hemd/Bluse, Schützenjacke, Hut und Handschuhe.
Zum Kirchgang wird am Sonntag […] in Schützenkleidung eingeladen.“
Mit etwa 1,3 Millionen Mitgliedern ist der Deutsche Schützenbund e. V. der
viertstärkste Sportverband in Deutschland und übt in ländlichen Gebieten
nach wie vor eine große soziale Bindungskraft aus. Und dennoch wird dieser
Sport von vielen mit Argwohn betrachtet. Kevin Zimmermann berichtet, er
werde häufig komisch beäugt, wenn er sich als Sportschütze vorstelle.
Arglos gehen wiederum auch Schützenvereine mit dem Gewehrsport um. Etliche
werben noch mit dem Slogan „Schießen lernen, Freunde treffen“.
## Bedenkliche Waffenfans
Neonazis haben ihre Anhänger mancherorts schon aufgerufen, Schützenvereinen
beizutreten. Die Ausbildung an der Waffe und der erleichterte Zugang zu
ihnen finden mitunter bedenkliche Fans. Auch der 17-jährige Amokläufer von
Winnenden, der 15 Menschen mit den nicht vorschriftsgemäß aufbewahrten
Waffen seines Vaters erschoss, lernte im Schützenverein das Zielen. Da
hilft es wenig, lieber vom Sportgerät zu sprechen.
Aber Christian Pinno verweist auf die vielen Hürden. Bei der SB Freiheit
hätten auch einmal vor etwa zehn Jahren Rechtsradikale versucht, in den
Verein aufgenommen zu werden. Vergeblich. Man kenne sich ja schließlich in
kleineren Ortschaften, sagt Pinno. Für die Bewilligung einer
Waffenbesitzkarte braucht es ein polizeiliches Führungszeugnis, mehrere
Waffensachkundelehrgänge und letztlich auch die Unterschrift des
Schützenvereins. „Da schaue ich schon genau hin, sonst werde ich ja meines
Lebens nicht mehr froh.“
Ralf Schumann, der dreimalige Olympiasieger, sagte 2012 das Ende des
Sportschießens mit scharfer Munition voraus. Die Zukunft liege im
ungefährlichen Lasersystem. „Ich brauche kein Bum beim Schießen“, erklär…
er, „mir geht es vor allem um das Zielen, alles andere ist eher
unbedeutend.“ Unter den Schützen nimmt er damit eher eine
Außenseiterposition ein. Jolyn Beer sagt, dass etwa das Fehlen des
Windeinflusses, der ansonsten einkalkuliert werden muss, die Disziplin mit
dem Kleinkalibergewehr zu sehr verändern würde. Sichtlich genervt von der
Debatte ist der rumänische Olympiasieger Moldoveanu. Er fragt: „Fahren Sie
Auto? Das ist auch eine Waffe“. Er erinnert an die vergangenen
Terroranschläge in Europa.
Beim Luftgewehr gibt es sowieso kein „Bum“. Die Waffe ist normalerweise
nicht tödlich und speziell zur Schulung der Schießfertigkeit konstruiert
worden. In Badenhausen beherrscht es an diesem Tag der Weltranglistenerste
István Peni am besten. 40-mal zielt er aus zehn Meter Entfernung und trifft
40-mal das Ziel.
20 Nov 2017
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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